Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche. Indrek Hargla
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Название: Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche

Автор: Indrek Hargla

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Hansekrimi

isbn: 9783863935207

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СКАЧАТЬ er bereits. Er konnte sich nicht erinnern, ob er diese Nacht überhaupt geschlafen hatte. Beten war eine Kunst, das wahre Beten, die flehende Kraft, die aus dem Inneren des Menschen hervorbricht und Gott erreicht, diese Kunst musste man lernen und zwar mit Hingabe. Prior Eckell hatte gelernt, vor dem Einschlafen so zu beten, dass seine Gebete die ganze Nacht über bei ihm blieben, bis in seine Träume. In seinen Träumen durchlebte er sie noch einmal, sie umkreisten seine Gedanken und er hörte sich sogar mit den Engeln und Heiligen sprechen. Er hatte sich diese Fähigkeit schon als junger Mann angeeignet, um Zuflucht vor den begehrlichen Träumen zu finden, die ihn, den zwanzigjährigen Mönch, des Nachts heimsuchten. Und diese Fähigkeit, diese Kunst hatte er sich erhalten. Die Sünde lauerte dem Menschen bei jedem Schritt auf. Die Gedanken eines Mönches mussten wie eine mit sicheren Mauern geschützte Stadt sein, im Schlaf aber standen die Stadttore offen und die Stadtwächter waren mitsamt den Torschlüsseln verschwunden. Deshalb lernte der junge Baltazar eifrig, mit seinen Träumen zu kämpfen, damit die Versuchungen der Nacht seine Gedanken am Tage nicht vergifteten.

      In der vergangenen Nacht hatte er diese Fähigkeit sehr gebraucht.

      »Hochwürden, diesem Ordensmann habt Ihr doch gestern auf dem Domberg die Beichte abgenommen?«, fragte der Cellerarius Hinricus beunruhigt.

      »Ja, das habe ich«, antwortete Eckell müde.

      »Als ob es also himmlische Vorhersehung gewesen wäre? Tagsüber will er beichten und schon ein paar Stunden später stirbt er durch das Schwert. Als ob er es geahnt hätte?«

      Aber Eckell antwortete nicht. Er sagte Hinricus nicht, dass der Ordensgebietige Clingenstain keinen Grund zur Annahme gehabt hatte, an diesem Abend auf dem Domberg seinen Tod zu finden. Die Heiligen sehen es als die Pflicht eines Priors, junge Mönche von weltlichen Gräueln fernzuhalten. Sie kannten den Tod noch nicht, sie kannten seinen Geruch noch nicht, sie erinnerten sich nicht an den Tod, so wie ein Prior sich erinnerte. Und er, Baltazar Eckell, erinnerte sich an sehr viele verschiedene Tode, er erinnerte sich an ihre Farben, Gerüche, Geräusche ... oh nein, ganz sicher hatte Clingenstain nicht damit gerechnet, dass sein Tod die Farbe hellroten Blutes hatte, das auf einen grauen Steinboden floss, und nach maßlos gezechtem Bier roch.

      »Soll ich dem Infirmarius auftragen, dass er Euch einen Efeuaufguss kocht?«, fragte Hinricus plötzlich besorgt. »Ihr seid blass, Hochwürden.«

      »Ich bin blass, weil mein Blut schon so weiß geworden ist wie mein Haar«, entgegnete der Prior. »Nein, den Infirmarius braucht es nicht. Weißt du, wo Wunbaldus ist?«

      »Vorhin war er in der Braustube und probierte sein kupferfarbenes Bier. Das Bier, welches heute Abend bei den Schwarzhäuptern bewertet wird. Soll ich ihn rufen lassen?«

      »Ja ... oder besser, nein«, murmelte der Prior. »Ich muss nachdenken.« Ich muss mich beruhigen und nachdenken. »Lass bitte mein Schachbrett in Wunbaldus‘ Arbeitsstube bringen und ...« Er verstummte plötzlich. Hinricus wartete geduldig. Der alte Mann atmete schwer, seine Hand ruhte auf dem Buchdeckel und sein Blick war ans Fenster geheftet, als hätte er dort die heilige Katharina erblickt. Von draußen drang Vogelgezwitscher in die heilige Stille des Skriptoriums mit seinen feuchten Wänden. Er spürte, wie ihm sein Gedankengang entglitt und wie Schnee im Frühling schmolz.

      »Schneit es noch, Hinricus?«, fragte der Prior unvermittelt, den Blick immer noch am Fenster, durch das die knospenden Obstbäume des Klosters zu sehen waren.

      »Nein, Hochwürden, es schneit nicht mehr«, antwortete Hinricus leise. Schon zwei Monate schneit es nicht mehr, die Jungfrau Maria sei uns gnädig.

      »Der Schneefall hat also nachgelassen«, flüsterte der Prior. »Das ist gut, Hinricus, gelobt sei der Herr, das ist sehr gut.«

      Kapitel 6

       Melchiors Apotheke 16. Mai, Morgen

      »Das arme Mädchen«, wiederholte Keterlyn, als sie neben ihren Gemahl trat und Gerdrud nachschaute.

      »Alles andere als das, meine Liebe«, sagte Melchior und schmunzelte. »Gerdrud ist vielleicht unglücklich, aber arm ist sie nicht, denn Herr Mertin ist einer der reichsten Männer Revals.«

      »Doch was nutzt dir der Reichtum, wenn du keinen Pfennig davon siehst und jeden Tag die geschwollenen Beine deines kranken Gemahls einreiben musst wie ein Armenpfleger?«, fragte Keterlyn. »Ich kenne Gerdrud schon seit meiner Kindheit, als wir zusammen auf der Wiese vor der Stadt gespielt haben, sie sprudelte nur so vor Lebensfreude, ein so vergnügtes Mädel, aber sieh sie dir jetzt an ...«

      Der Apotheker zuckte die Achseln. »Natürlich haben Gerdruds Eltern nicht so sehr für ihre Tochter gesorgt, dass sie sie einem jungen, tüchtigen Apotheker zur Frau gegeben hätten, aber wenn man den Brautpreis anschaut, den der alte Mertin Gerdruds Eltern gezahlt hat und das, was ich deinen Eltern geben konnte ...«

      »Mein Vater war auch nicht deutscher Abstammung, sondern ein Este und eben nur ein einfacher Steinmetz«, sagte seine Frau vorwurfsvoll.

      »Nun ja, da habe ich einen guten Handel gemacht, ich habe mir das stattlichste Mädel ausgesucht, für das nur ein geringer Brautpreis zu zahlen war ...«

      Keterlyn brach in Gelächter aus. »Du alter Geizhals!«

      »Aber ich beklage mich nicht, nicht im Geringsten, das käme mir gar nicht in den Sinn. Der Preis war nicht hoch, aber was für ein Prachtweib. Übrigens, ich habe vorhin auf meiner Sternenkarte nachgeschaut, was diese einem schlauen Apotheker für heute verspricht, und dort stand etwas sehr Erfreuliches«, verkündete Melchior und blinzelte seiner Gemahlin spitzbübisch zu.

      Keterlyn ertappte seinen Blick dabei, wie er ihren Körper entlangglitt und fragte mit gespielter Strenge: »So, was denn?«

      Melchior zwinkerte noch einmal und breitete die Sternenkarte aus. »Tritt nur näher, meine Liebe, und schau selbst.«

      »Dieses Sternenzeug ist doch Hokuspokus und ich glaube sowieso nicht dran, was soll ich da denn schauen?«

      Wenn Keterlyn überhaupt an irgendetwas ernsthaft glaubte, so war dies ihr weiblicher Instinkt, in dem sich die alte Bauernschläue ihrer Vorfahren und die Vorsicht einer modernen Städterin vereinten. Melchior aber schmunzelte und beugte sich über die Sternenkarte. Die Frau eines Apothekers ist eben kein Apotheker, dachte Melchior.

      »Wenn ich es richtig verstehe, so zeigt der Schütze ziemlich eindeutig, dass heute morgen ein tüchtiger und vortrefflicher Apotheker genau hier und jetzt von seiner lieben Gemahlin einen süßen Schmatz bekommt«, sagte er dann. Er drehte sich schnell um und zog seine Frau an sich. Keterlyn zierte sich anfangs, doch nur, weil sich das so gehörte. Ihren Einwand, dass doch jeden Moment jemand hereinkommen könnte, wollte Melchior nicht hören. Er drückte seine Frau sanft gegen den Ladentisch, drückte die Lippen auf ihren Mund, fuhr mit der Hand unter ihr Kleid und streichelte ihre geschwungene Hüfte.

      »Siehst du, Liebste, genau so, wie es der Schütze vorausgesagt hat: Ein süßer Schmatz, und der Tag kann beginnen. Du glaubst also ganz umsonst nicht an die Sternenkarte«, flüsterte er nach einer Weile seiner Frau ins Ohr.

      Und erst nachdem Keterlyn die Voraussage des Schützen bereitwillig entgegengenommen hatte, hörte Melchior Wakenstede, dass gestern auf dem Domberg ein hochrangiger Ordensritter umgebracht worden war. Keterlyn war am Morgen auf dem Markt gewesen, und wie Melchior schon oft bemerkt hatte, war der Markt der einzige Ort in der Stadt, wo man noch früher als in der Apotheke das Neueste hörte.

      »So, СКАЧАТЬ