NOVA Science-Fiction 29. Cory Doctorow
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Название: NOVA Science-Fiction 29

Автор: Cory Doctorow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783957658852

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СКАЧАТЬ auch, er wäre besser dran, würde er die Medikation nehmen. Ich hatte das vergessen – doch urplötzlich wusste ich es wieder: Ich fand es damals bewundernswert, dass er die Pillen nicht nahm. Anders war als die anderen. Aber waren die Leeren, die Neukörper nicht auch eine Art Medikation? Hatte Hein sich verraten? Wann genau hat er einen Leerkörper besiedelt? Er muss mit einer der Ersten gewesen sein … Damals …

      Als Hatou nach unserer Trennung als erster Mann in einen Frauenkörper wechselte und deswegen zum Promi wurde, das war alles noch so neu, radikalisierte sich etwas in mir. Vielleicht. Vielleicht suchte ich auch nur einen Ausweg, weil aus mir »nichts geworden war«, wie ich, das muss ich mir eingestehen, schon damals dachte. Ich dachte: Fand ich zu jener Zeit wirklich, dass Hatou etwas Besonderes war, wertiger, bedeutender, weil die Leute über ihn redeten? War ich so … klein? Oberflächlich? Warum fühlte ich das?

      Eine andere Erinnerung stieg in mir auf. Hatou und ich gingen durch im Sonnenlicht glänzende, dicht zusammenstehende Pampasgräserbüschel, die so etwas wie ein Wäldchen bildeten, sich in einer sanften Brise bogen, spannten, dann langsam zurückschwangen. Ich sah zu ihm hinüber, die Luft flirrte vor Hitze, Vitalität. Er wirkte selbstverloren. Zufrieden. Sinnlich auf sich bezogen. Er sah mich gar nicht an. Warum … beneidete ich ihn? Hasste ich ihn dafür?

      Und dann waren da die ungenutzten und vertanen Chancen. Die Liebschaften, die »Begegnungen«, die ich als … unnötig erachtet hatte? Das Bedauern. Die Leute sagten … Echt? Stimmt das? Ich hielt die Schaukel an. Mir war etwas schwindelig. Früher sagten die Älteren, man leidet am meisten an den Dingen, die man sich nicht erlaubt hat, die man nicht versucht hat. Ich blickte zurück. Ja? Nein. Es waren meine Entscheidungen. Ich konnte, musste sie akzeptieren. Auch die Feigheiten. Ich merkte, dass es viel schlimmer war. Wie so oft war dieser Gemeinplatz nur eine Ausrede. Gewesen. Ich hörte in mich hinein. Es schmerzte mich mehr, mich nicht mehr gegen Dinge, die ich vielleicht irgendwie wollte, entscheiden zu können. Da sie … gar nicht mehr in meiner Reichweite waren. Das Bedauern der Vergangenheit, dachte ich, war nur eine Ausflucht, ein Mantel. Es war ohnehin egal – heutzutage sagte wohl niemand mehr solchen Quatsch.

      Ich starrte zu der spielenden, lachenden Gruppe hinüber. Sie genossen ein Berührungsspiel, umarmten einander im Kollektiv, bildeten Muster, stehend oder liegend, lachten. Im Hintergrund gingen andere Neumenschen vorbei, die kein Interesse für die Spielgruppe zeigten, obwohl sie laut war, Aufmerksamkeit heischte, fast »Macht mit!« schrie. Warum? Verweigerten sie sich, diese anderen? Wie ich, damals? Mit einem jungen Körper, dachte ich, konnte man nach vorne blicken, eigene Entscheidungen vertreten, sich – gefühlt aktiv – enthalten. Das war es. Man hatte die Freiheit, Dinge … nicht zu tun. Mit meinem verbrauchten Leib … Mir blieb nur das Kassenmodell oder das Ende.

      »Immerhin, eine Entscheidung«, murmelte ich. Haha.

      »Der Tod bedingt unsere Heimat in der Zeit«, hatte Phil betont. Immer wieder. Phil hatte ich nach der Trennung von Hatou auf einer Anti-Klon-Veranstaltung getroffen, wie man das damals nannte. »Klone« waren die Leute, die ihre Hirne in junge Zuchtkörper setzen ließen. Wir waren gegen die »Scheiß-Alten, die den Löffel nicht abgeben wollen«, an ihrem »kleinen bisschen Restleben« hingen und deswegen zu Verbrechern gegen die natürliche Ordnung wurden. Phil sah gut aus, war eloquent, hatte eine vielköpfige Gefolgschaft. Er sprach voll Elan und Leidenschaft über das Leben in Harmonie mit der Natur, über die Freuden des Teilhabens am Werden und Vergehen, den kreativen Akt der Kinderzeugung und -erziehung, den angestammten, versprochenen Platz des Einzelnen im umfassenden, Sinn gebenden Muster. Heute würde ich sagen, das Ganze war religiös angehaucht, eventuell stand auch der Wunsch, eine Elite zu sein, dahinter, aber damals …

      Für mich war wichtig, dass ich mich aufgehoben fühlte. Aufgefangen. In einer Familie, einem Clan mit, hm, elitärem Wissen, im ausgewählten Stamm. Ja. Dem ich, an Phils Seite, voranschritt. Es war eine schöne Zeit. Unsere Aktionen waren friedlich, sogar poetisch. Wir förderten temporäre Kunstwerke, hielten Lesungen in Bäumen ab, richteten gemeinsame Feiern mit Lesungen aus, unter freiem Himmel, bei jedem Wetter. Wir priesen das Leben als Fluss, als Abfolge unvermeidlicher und ergo richtiger, nötiger Ereignisse. Geburt. Zeugung. Helfen. All das verstanden wir als Gegebenheiten. Wir begriffen den Tod als unsere Natur, verstanden, dass er unsere Seelen heller brennen ließ, und schrien »Nein« zur Loslösung des Menschen aus der guten Mutter, der Heimat Natur. Laut. Die Leute redeten über uns, wir galten als radikal, wandten uns sogar, soweit möglich, von den technischen Assistenten ab, deren »Intelligenz« wir als »kalt« oder »falsch« betrachteten, deren behauptetes »Bewusstsein« als Imitation, als Lüge. Sie hatten das Körperersatzprogramm gestartet. Erfunden. Ermöglicht. »Unsere Natur verändert«, wie wir Klongegner meinten.

      »Nur durch die Erkenntnis der eigenen Endlichkeit, die bedingt, dass man erkennt, wir sind Teil von etwas Größerem, sind hier, um anderen zu helfen, Leben zu geben, zu zeugen, das Richtige zu tun und durchzusetzen, wird man erwachsen. Kann man wirklich helfen. Verantwortung übernehmen. Und nur darin liegt das wahre Glück, die wahre Belohnung, der tiefe Trost. Der sogenannte dauernde oder unsterbliche Mensch ist eine Hybris, ein ewiges Kind und ewig ohne Konsequenz«, sagte Phil, und ich glaubte ihm. »Der Tod ist unser Freund, unser Gevatter, der unserem Leben Sinn gibt. Und nun soll er nicht mehr sein? Wie können wir dann noch sein?«, rief Phil und sprach damit vielen aus der Seele. Doch als ich zum ersten Mal einen alten Menschen in den Tod begleiten sollte, meinen »Todfreund« …

      Es war eine Feierlichkeit, die Phil sich ausgedacht hatte. Es sollte gezeigt werden, dass man friedlich, harmonisch sterben konnte, dass ein solcher Tod vorgesehen war, von unserer Natur. Er wollte das Sterben öffentlich machen, um ihm seine Schrecken zu nehmen. Ihn zu propagieren. Ich hatte die Videos von den ersten solchen Feiern oder Ritualen gesehen, bei denen Phil selbst der Begleiter war. Es funktionierte. Hatte funktioniert.

      Aber bei mir stimmte etwas nicht. Es gab in Wirklichkeit keine Harmonie. Keinen Ernst. Keine Akzeptanz. Weder der Sterbende noch ich empfanden, was geschah, als Befreiung, als Erfüllung oder Erlösung, wie Phil es prophezeit hatte. Wie es in den Videos gewesen war. Es war, stattdessen … falsch. Grausam. Ich denke, der Sterbende tat sein Bestes, versuchte, friedlich zu gehen, aber … Phil sagte, der Todfreund hätte sich falsch verhalten, wäre kindisch geworden, die Lügen der Gesellschaft hätten ihn am Ende eingeholt. Und später … Die Schreie, diese unmenschlichen Schreie, die gar keine waren, eher ein verzweifeltes … Wüten. Sie hallen noch immer in mir nach.

      Nach dem Anschlag auf den Körpergarten verließ ich Phil und die »Freunde des Zyklus«, wie sie sich nannten. Ich konnte nicht mehr. Ich … So lächerlich es klingt, ich wurde Vegetarierin, aus einem Gefühl der Schuld. Weil ich getötet hatte. Als Teil eines Kollektivs, ja, aber …

      »Liebe die Existenz, nicht die Maschine«, hatte Hein gesagt, als er mich zum Abschied umarmte. »Maschine« – aktuell ist das ein geläufiger Name für die Natur, die reproduktive Natur, aus der sich der Mensch löste, indem er »dauerhaftes Individuum, Möglichkeit ohne Vernichtung« wurde, wie einer der Clipmods sagte, um das Bild einer schönen neuen Welt in die Hirne der Leute zu brennen. Wie stand ich dazu?

      Kritisch. Auch wenn meine anfängliche Abneigung gegen die »Körperfresser«, wie Phil sie privat genannt hatte, eher auf einer persönlichen … Beleidigung beruhte, gab es doch viel zu kritisieren. Ich gebe Phil in manchem noch immer recht, das Brennen im Leben ist doch sicher der Kürze des Seins geschuldet, die Flamme, die kurz brennt … Nein. Ich hatte das geglaubt, damals. Jetzt … würde ich nicht einmal mehr sagen, meine Flamme hätte je so heiß gebrannt, wie ich es wollte. Oder dachte. Weil ich zu lange gelebt habe, richtig, Phil? Haha.

      War mein Widerstand damals, der durchaus breite Widerstand in meiner Altersgruppe gegen die individuelle Dauerhaftigkeit, nicht auch eine Art Trotz gewesen? Eine Verletztheit, da wir, als Generation, überholt worden waren, nicht mehr die Zukunft besaßen, da sie nun allen gehörte? СКАЧАТЬ