Mein Leben für Amazonien. Erwin Kräutler
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Название: Mein Leben für Amazonien

Автор: Erwin Kräutler

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

Серия:

isbn: 9783702233884

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СКАЧАТЬ das Leben der indigenen Völker einsetzt.

      In Brasilien geht viel auf der persönlichen Schiene. Es gibt kaum eine Familie, die nicht einen Priester oder Bischof zu ihren guten Bekannten zählt. Es kann jemand ein überzeugter Atheist sein, aber er ist trotzdem stolz darauf, mit einem Bischof oder Priester befreundet zu sein. Es ist mir selbst schon passiert, dass mir jemand sagt, er habe nichts am Hut mit der Kirche, aber er finde gut, was ich tue, und unterstütze die Anliegen, die ich verteidige.

      Am Xingu bin ich jedes Jahr in jeder Pfarrgemeinde. Zum Teil eine ganze Woche, denn eine Pfarre ist ja immer die Summe von bis zu 80 Gemeinden. Zu Weihnachten bin ich nicht in Altamira, sondern immer am Unteren Xingu. Ich feiere mit den Leuten in Souzel die Christmette, am 25. Dezember ist dann die Firmung, denn wenn der Bischof kommt, ist Firmung, auch zu Weihnachten. Am Nachmittag fahre ich sechs Stunden flussabwärts nach Porto de Moz. Am nächsten Tag geht es weiter nach Gurupá, da ist dann am 27. Dezember das Fest des hl. Benedikt. Am 29. Dezember fahre ich nach Porto de Moz zurück. Dort höre ich in der Silvesternacht die Böller, aber den Dankgottesdienst feiern wir bereits um 20 Uhr. Am 2. Jänner geht es zurück nach Altamira. Die Leute in Altamira verstehen, dass ich nicht nur der Bischof von Altamira bin und daher nicht an allen Feiertagen am Sitz der Prälatur sein kann. Die Karwoche und Ostern verbringe ich aber immer in Altamira.

      2.Ein Bischof und Pendler

      zwischen zwei Welten

      „Ich bin Brasilianer, in Österreich geboren“

      Seit nunmehr knapp fünf Jahrzehnten lebe ich in zwei Welten. Ich sage immer: Ich bin Brasilianer, in Österreich geboren. Wenn ich in Österreich bin, fühle ich mich zu Hause. Aber auch am Xingu fühle ich mich zu Hause. Ich lebe mein Leben in Brasilien. Aber meine Wurzeln habe ich nie verleugnet, ich liebe Koblach und das Ländle und habe eine ganz tiefe Beziehung zur Stadt Salzburg, wo ich studiert habe und geweiht worden bin. Ich fühle mich heute noch als Priester, der von seiner Heimat gesandt worden ist, um für die Indios und die anderen Menschen hier am Xingu da zu sein. Ohne die Rückendeckung aus meiner Heimat wäre vieles nicht möglich.

      Wenn ich in Österreich bin, habe ich meist das Glück, die Kirche in besonderen Situationen zu erleben, etwa bei Firmungen. Da war und ist meist alles eitel Wonne. Ich habe oft sehr gute Gespräche in der Vorbereitung auf die Firmung geführt und gemerkt, da sind junge Menschen auf der Suche. Wenn die jungen Leute dann hören, dass ich in Amazonien lebe und mich für die Indios und den Regenwald einsetze, dann sind sie sehr aufgeschlossen, dann wollen sie genauere Informationen. Von manchen Firmlingen bekomme ich jahrelang E-Mails. Ein Mädchen schreibt, sie werde jetzt bald die Matura machen und sie hätte dieses und jenes im Sinne, und fragt mich, was ich dazu sage. Auch wenn ich es nur schwer schaffe, alle E-Mails zu beantworten, so achte ich doch sehr darauf, den Dialog mit meinen Firmlingen aufrechtzuerhalten.

      Im Einzelnen kenne ich natürlich die Lebenswelt der jungen Leute in Österreich nicht mehr so gut. Wenn ich mehr mit ihnen zu tun hätte, würde ich mich zuerst einmal mit ihnen zusammensetzen und sie erzählen lassen. Ich würde sagen: Ich bin da, redet euch aus, über eure Nöte und Sorgen, aber auch über das, was euch freut, was euch begeistert. Bei den Gesprächen im Vorfeld der Firmung haben sie ihre Fragen meist schon vorbereitet. Da sind sie ganz ungeniert. Das ist herrlich. Wir waren als Jugendliche nicht so offen. Bestimmte Fragen haben wir nicht gestellt, schon gar nicht einem Pfarrer oder Bischof. Mir kommt vor, dass die jungen Menschen heute schon mit 13, 14 Jahren sehr eingespannt und überfordert sind. Es bleibt kaum Zeit für andere Lebensbereiche und ich kann auch verstehen, dass sie am Sonntag zuallererst einmal ausschlafen wollen.

      Sehr großen Respekt habe ich vor den Priestern, die ich in Österreich und darüber hinaus im deutschsprachigen Raum kenne. Ich habe mir oft gedacht, dass sie in einer viel schwierigeren Situation sind als wir in Brasilien. Der Gesellschaft ist die Kirche oft ziemlich egal, viele gehen weg, treten aus. In den Medien herrschen kirchliche Skandale vor, für die der einzelne Seelsorger absolut nichts kann, die aber seine Arbeit schwer beeinträchtigen. Die Leute kommen zu ihm und sagen: Das kann doch nicht die Kirche sein, die wir wollen.

      Größten Respekt habe ich auch vor den Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Es ist unglaublich, was die oft an Kritik an der Kirche einstecken müssen, für Zustände, an denen sie selbst nichts ändern können. Trotzdem geben sie nicht auf! Manchmal erzählen mir solche Menschen aus ihrem Alltag und mir läuft es kalt über den Rücken. Das erlebe ich drüben nicht. Klar gibt es auch bei uns in Altamira junge Leute, für die die Kirche im Moment nicht interessant ist. Aber sie sind nicht unbedingt aggressiv. Dagegen habe ich in Österreich mit Religionslehrerinnen und Religionslehrern gesprochen, die ein Burn-out oder depressive Phasen erlebt haben, weil sie diese harsche Kritik nicht mehr ausgehalten haben.

      Anstatt ihnen unendlich dankbar zu sein für ihren Dienst, werden sie vor die Tür gesetzt, wenn zum Beispiel in ihrer Ehe etwas schiefgeht. Eine Religionslehrerin steht jahrelang, vielleicht jahrzehntelang in der Klasse, macht verantwortungsvoll ihre Aufgaben. Dann wird sie von ihrem Mann verlassen oder lässt sich scheiden, weil es für sie so nicht mehr weitergehen kann. Wenn sie eine neue Beziehung eingeht, fliegt sie hinaus. Da komme ich nicht mit. Da wird am Ende noch viel mehr kaputt gemacht und Leid zugefügt, als solche Menschen ohnehin ertragen müssen.

      Eine große Offenheit sehe ich den Gemeinden in Österreich. Die Menschen sind sehr interessiert, auch an unserem Schicksal in Brasilien, an der Bewahrung der Mitwelt in Amazonien. Wir könnten viele unserer Initiativen überhaupt nicht durchführen, wenn wir nicht diese tatkräftige und nachhaltige Unterstützung hätten. In dieser Solidarität, die über alle Grenzen und Einschränkungen hinweggeht, ist Österreich wirklich sehr vorbildlich. Das ist für uns eine Basis, ohne die wir nicht leben könnten.

      Wir haben in Brasilien den Vorteil, dass diese Säkularisierungswelle, wie wir sie in Europa erleben, dort noch nicht angekommen ist. In dem Ausmaß, wie in Europa der Kirche Gegenwind teils ins Gesicht bläst, kennen wir das in Brasilien nicht. Ob das auch auf uns zukommt? Hoffentlich nicht so rasch. Wobei das Naturell der Brasilianer einen solchen Trend immer ein wenig abschwächen wird. Ich habe nie erlebt und könnte mir das auch nicht vorstellen, dass mich zum Beispiel ein Jugendlicher als Priester oder als Bischof angepöbelt hätte, weder in der Schule noch sonstwo.

      Erholung finde ich, wenn ich jedes Jahr ein paar Wochen in Koblach bin. Ich liebe es, im Ried und im Wald zu gehen, und beginne oft bereits um fünf Uhr früh meinen Gesundheitslauf. Ich gehe schnell und bewältige fünf Kilometer in 45 bis 48 Minuten.

      Meine Familienbande schätze ich sehr und bin froh darum. Wir sind sechs Geschwister, aber es gibt darüber hinaus die Großfamilie und es gibt den Ort, wo ich aufgewachsen bin. Da habe ich nach wie vor meine Beziehungen aus der Jugendzeit, die habe ich nie abgebrochen. Darüber bin ich sehr glücklich, frei nach Goethe: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.“ Für meine früheren Hobbys bleibt mir aber kaum mehr Zeit. Früher bin ich in die Berge oder Ski fahren gegangen. Wenn ich in Vorarlberg bin, dann ziehe ich es heute vor, in der Ebene zu wandern. Steil hinauf tue ich mich schwer. Auch bin ich nicht mehr schwindelfrei. Ich weiß nicht, wie und warum ich es nicht mehr bin.

      Ich bin 1965, also vor einem halben Jahrhundert, von daheim weggegangen. Aber für die Leute in Koblach bin ich bis heute nicht Bischof, sondern ich bin der Erwin. Da fühle ich mich gut. Ich fühle mich aber auch in Brasilien zu Hause, am Xingu, im Urwald. Das ist mein Umfeld. Ich bin Brasilianer und ich bin bis heute überzeugt, dass das mein Weg ist. Ich bin glücklich in Brasilien.

      Ich habe beide Staatsbürgerschaften, die österreichische und die brasilianische. Ich wollte die österreichische Staatsbürgerschaft nie aufgeben. Das wäre für mich komisch, in Österreich sind meine Wurzeln, die ich nie vergessen habe. Ich bin nach wie vor immer wieder in Österreich und ich bin auch Österreicher. Aber ich lebe und arbeite СКАЧАТЬ