Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke
Автор: Gabriele Reuter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814076
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Wo alle unsterbliche Fülle erscheinet –
Da, da ist Dein bestes, Dein seligstes Teil,
Dein Ein und Dein Alles – Dein ewiges Heil!
Wenn sie sich soweit bezwingen konnte, nichts mehr zu erwarten – gar nichts – dann vielleicht – dann hatte Gott vielleicht Erbarmen – –.
Im Flur bei Walters hing der wohlbekannte Paletot von Lutz am Haken, und darunter standen die großen närrischen Überschuhe.
Ängstlich horchte Agathe auf seine Unterhaltung mit Mama – die beiden hatten doch auch gar keine Berührungspunkte. Warum wollten die Eltern sie heute durchaus begleiten? Wie kam es nur? Es war ganz unmöglich, sich vorzustellen, dass Lutz jemals mit den Eltern auf freundschaftlichem Fuß verkehren konnte, trotzdem er doch fein und geschmeidig war. – Ach, du lieber Himmel, nun fing Papa sogar an, mit ihm über Kunst zu sprechen – so ganz von oben herab. Wie pedantisch das alles klang, und Lutz hörte ihm auch nur zerstreut zu, bis er plötzlich lebendig wurde und sich für einen Franzosen, den ihr Vater als überspannt bezeichnete, leidenschaftlich begeisterte. In seiner Gegenwart trat Walters geistige Unbedeutendheit peinlich hervor, und Eugenies Wesen wirkte aufdringlich, absichtlich. Hätte sich Agathe nun der Unterhaltung bemächtigen können, reizende, überraschende Sachen sagen – ihn fesseln – ihn in Erstaunen versetzen … Aber sie wusste es schon im voraus – alles war vergebens. Was konnte ihn denn entzücken? – Ihn? – Ihre Stimme war auch wieder fort.
Wären nur ein paar Freunde noch da gewesen, die Aufmerksamkeit abzulenken. Eugenie beobachtete sie – Mama ahnte auch schon – warum waren die Eltern mitgekommen, wenn ihnen nicht jemand verraten hätte, dass sich etwas anspann …
Und doch, und doch – ihn neben sich, ganz nahe zu haben, ihn ruhig betrachten zu dürfen – das war tiefe Freude. Und sie versuchte, sich zu laben, sich zu sättigen und ruhig zu werden in der Freude.
Er war ihr fremd – so bei Tage und im häuslichen Kreise. Er und das fieberhaft geliebte Traumbild waren nicht ganz ein und derselbe – es hatte unter ihrer zärtlichen Pflege Züge angenommen, die mit dem Leben nicht genau übereinstimmten. Aber der Lebendige besaß doch die größere Macht.
Er sah nicht so weiß und zart aus, wie in der dunklen Theaterloge – seine Farbe war eher fahl, die Augen von leicht geröteten Rändern umgeben. Die Art, wie er seinen kleinen, weichen Schnurrbart mit den Fingern misshandelte, konnte einen nervös machen – es zeigte sich darin etwas Friedloses. Und auch in dem fortwährenden Wechsel des Ausdruckes auf dem beweglichen Gesicht. Aber das Märchenprinzenprofil …
Der Maler und Heidlings wurden aufgefordert, zum Abend zu bleiben. Bei Tisch geriet plötzlich die Rede auf Heiraten.
Walter sagte, vor der Ehe wisse man überhaupt nicht, was Liebe sei.
Agathe blickte erstaunt zu ihrem Bruder hinüber, seine Augen ruhten mit innigem Stolz auf Eugenie.
»Der Trauschein vom Standesamt muss eine große Sicherheit geben«, rief Lutz lachend. Regierungsrat Heidling zog die Stirn missbilligend in Falten.
»Wie das kommt«, warf Lutz hin, »man sieht ein Mädchen so und so oft und hat sie doch nicht bemerkt – da hört man aus der Ferne ein Wort von ihr zu einem anderen – das trifft – irgendwie – irgendwo – man sieht sie eigentlich in diesem Augenblick zum ersten Mal.«
Agathe saß verwirrt und bange lächelnd neben ihm. Wie sonderbar – er konnte sie doch nicht meinen? In allem, was er sagte, entdeckte sie einen geheimen Sinn, für sie allein berechnet.
Ja – ganz gewiss – er wendete sich am meisten zu ihr. Eugenie, welche die Männer sonst so sehr anzog, schien ihn nicht zu interessieren.
*
Frau Heidling sagte ihrer Tochter eines Abends sanft und schonend:
»Liebes Kind – Du bist ein verständiges Mädchen – Papa hat mir gestern erzählt: Herr von Lutz steht gar nicht in gutem Ruf, und Papa wünscht nicht, dass er in unser Haus kommt.«
Onkel Gustav aber besuchte Lutz in seinem Atelier und machte Agathe eine ausführliche Beschreibung von der silberblauen Chaiselongue, den Louis-quinze-Stühlen, dem ganzen Interieur, das – ach wie lange schon – Herberge und Heimat ihrer leidenschaftlichen Träume war.
Agathe fragte sich trotzig, warum Adrian Lutz schlimmer sein sollte als ihr Bruder Walter? Wenn die Eltern nur wüssten … sicherlich würden sie dann Adrian nicht so ungerecht verurteilen. Er war ihnen nicht sympathisch – das war’s im Grunde.
Unbestimmte Erinnerungen alter Volksmärchen, die aus tiefen, verborgenen Quellen ihre Fantasie tränkten, weil sie des kleinen Mädchens erste Geistesnahrung gewesen, redeten ihr nun tröstlich von den Prüfungen zur Treue, zum Ausharren, der der König die Geliebte unterwirft – durch brennendes Feuer und stechende Dornen muss sie wandern und durch tiefe, dunkle Nacht – alles muss sie verlassen, was ihr lieb war – an der Hand der anderen, der Falschen, tritt er ihr entgegen … Und am Schlusse läuten doch die Hochzeitsglocken, und er hebt sie zu sich empor – sie, die nicht an ihm gezweifelt hat.
Lass adlermutig Deine Liebe schweifen
Bis dicht an die Unmöglichkeit hinan.
Kannst Du des Freundes Tun nicht mehr begreifen,
So fängt der Freundschaft frommer Glaube an.
Das flüsterte Agathe sich zu mit der Neigung des jungen empfindungsvollen Menschen für das Pathos, für die hohen, tönenden Worte und die hohen, begeisterungstrunkenen Gefühle.
Sie liebte Lutz – und sie glaubte an seine Reinheit wie an seine Schönheit, wie an ihre Liebe – glaubte blind, mit Fanatismus – dem Märtyrer gleich, der seinem Gotte Jubellieder singt, während die wilden Tiere seine Glieder zerreißen und er das Herzblut zu des Herrn Ehre opfern darf.
XIV.
Heidlings hörten lange nichts СКАЧАТЬ