Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke
Автор: Gabriele Reuter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814076
isbn:
*
In dieser Zeit erfuhr Agathe, ein junger Mann aus ihrem Kreise liebe sie. Er warte nur auf eine Anstellung als Richter und wolle dann um sie anhalten, sagten ihr die Freundinnen, und die hatten es von seiner Mutter. Seine Neigung war verschwiegen und bescheiden. Schon jahrelang kannte ihn Agathe, war ihm immer freundlich begegnet und hatte nie geahnt, dass in ihrer Nähe ein ernstes, ausdauerndes Verlangen nach ihrem Besitz lebte.
Der Gedanke war ihr unerträglich. Er empörte sie. Kein Funke von Mitleid erwachte in ihr – sie behandelte den jungen Mann von dem Augenblick an mit eisigem Hochmut. Er wurde irre an ihrem Charakter, sie schien ihm Freude an der Grausamkeit zu haben. Aber das war ihr gleichgültig, denn er beleidigte sie. Er sollte sich nicht unterstehen, sie zu lieben – er sollte sich nicht mit seinen Träumen in den Zauberkreis wagen, der um sie und den einen gezogen war, dem ihr Herz gehörte.
*
»Gestern bin ich in den Anlagen der Daniel begegnet«, sagte Referendar Dürnheim, »ist die aber abgefallen! Die Treppe bei dem chinesischen Tempelchen kam sie herauf, hielt sich am Geländer und schleifte sich nur noch so vorwärts. Was hat denn die?«
»Nichts mehr hat sie«, wurde ihm geantwortet, »mit ihr und Lutz soll’s aus sein.«
»Ach so – na – wegen dem …«
»Er spricht ja jetzt vom Heiraten.«
Ein lautes Gelächter folgte.
»Der eignet sich auch schon zum Ehemann!«
»Die alte Schweidnitz – die exaltierte Person, läuft ihm ja nach wie ’ne Wahnsinnige.«
»Das war doch kostbar, als er die Villa beschrieb, die er mit ihrem Gelde bauen wollte, wenn er sich entschließen könnte … Da hätten Sie dabei sein müssen. Ein famoser Kerl …«
Der Sprecher wurde angestoßen. Agathe Heidling war in der Nähe. Vor jungen Damen redete man doch nicht in dem Ton.
Sie hatte den Ton gehört. Diese widerwärtigen Männer!
Nein – die Schwester von Lutz war Fräulein Daniel doch wohl nicht. Aber eine Schauspielerin konnte sich unmöglich eingebildet haben, sein Weib werden zu wollen … die selbst erzählt hatte, dass sie mit einer Wandertruppe auf den Dörfern herumgezogen war und mit dreizehn Jahren den alten Moor gespielt hatte – die sich schminkte und von wer weiß wie vielen Männern alle Abende vor dem Publikum im Arm gehalten und geküsst wurde … Die war doch kaum als ein richtiger Mensch zu betrachten – als ein Mensch wie Agathe selbst.
*
Es kam ein Sonntag, an dem Eugenie in der Breiten Straße mit Herrn von Lutz verabredete, ihn zum Kaffee bei sich zu erwarten.
Und wenn es nicht ein bedeutungsvolles Merkmal war, dass der Maler, der für das Wesen und die Formen der bürgerlichen Provinz-Eleganz stets eine lächelnde Verachtung zeigte, sich ihr in diesem Falle soweit anbequemte, zwischen zwölf und ein Uhr mittags der Breiten Straße seine Gegenwart zu gönnen – dann wusste Agathe nicht, welche Zeichen sie sonst noch erwarten sollte. Eugenie gab ihr recht.
Wie oft, seit Ada sich für Kain mit grünen Blättern kränzte, haben Mädchen vor klaren Bächen und Metallplatten, vor venezianischen Kristallen und zerbrochenen Scherben gestanden … Wie oft haben sie selig und zweifelnd, in zaudernder Unsicherheit oder lächelndem Selbstbewusstsein sich für den Geliebten geschmückt … Und wie oft haben sie fehlgegriffen in der Bangigkeit ihres Herzens – den Schmuck gewählt, der dem unbekannten Geschmack des erwarteten Gebieters am wenigsten zusagte! Wie schwer ist die Wahl zwischen dem schönsten Anzug und dem kleidsamsten – zwischen Putzsucht und Eitelkeit. Und er soll ja nicht ahnen, was man für ihn getan – das Festlichste soll alltägliche Gewohnheit scheinen. Aber die Hand bebt und Flimmerfunken tanzten vor den Augen – warum fällt heute – nur heute, das Löckchen am Ohr so absichtlich – warum will an diesem einzigen von allen Tagen die Schleife nicht gelingen?
Schon standen die Mokkatäßchen geleert auf Eugenies silberglänzendem Kaffeetisch – der Hauptmann und der Fähnrich rauchten – Walter rauchte – Eugenie hielt eine Zigarette zwischen den Fingern und Agathe saß still und steif, die Hände im Schoß gefaltet. Der Hauptmann schlug einen gemeinsamen Spaziergang vor – Lutz war noch nicht erschienen.
Die Herren empfahlen sich.
Agathe blieb zum Abend bei den Geschwistern. Nach Mitternacht musste sie doch endlich gehen.
Nun war es wohl zu Ende.
*
Er hatte sein Bild nach Paris absenden wollen, der Tischler ließ ihn im Stich – es war der letzte Termin zur Annahme bei der Jury – er hatte es selbst packen und am Sonntag Nachmittag zur Bahn hinausfahren müssen.
Herr von Lutz erzählte es Agathe, als er sie acht Tage später im Kunstverein traf. In ihr war alles still und stumm – es mochte ja so gewesen sein. Ein abgestorbenes Gefühl im Herzen … Sie wunderte sich über ihre große Ruhe.
Lutz fragte, ob ihre Schwägerin jeden Sonntag Gäste empfange? Ob er heute kommen dürfe? Er würde sie doch auch treffen?
»Ich bin meistens dort«, antwortete sie ohne Freude.
Sie bereitete sich nicht vor – sie änderte nichts an ihrem Anzug. Am liebsten wäre sie überhaupt zu Haus geblieben, so sehr fürchtete sie sich, noch einmal Ähnliches durchleiden zu müssen, wie am letzten Sonntag.
Und gerade heute wollten die Eltern auch mitgehn.
Während sie zwischen ihnen in der Pferdebahn saß, betete sie in krampfhafter Andacht alte Gesangbuchverse.
Eins ist Not, ach, Herr, dies Eine
Lehre mich erkennen doch.
Alles andre, wie’s auch scheine,
Ist ja nur ein schweres Joch,
Darunter das Herze sich naget und plaget