Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.. Hans-Joachim Grünitz
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      Alles lief weiter wie gehabt, in der Hoffnung auf einen baldigen VKU, den verlängerten Kurzurlaub, mit längst fälliger Heimreise. Leider enttäuschte man uns. Wir führten noch tagelang diese und jene hochwichtige militärische Übung durch, wollte unser KC, der Kompaniechef, doch der Beste sein. Die Ausbildungskompanien standen nämlich untereinander in einem »Sozialistisch-Militärischem Wettkampf«. Offenbar Karrieresprungbrett für besonders gute KCs, was uns allerdings völlig egal war. Wir wollten endlich raus! Raus aus dem Kasernenmief, der uns schon weltfremd hatte werden lassen. Und das trotz allabendlich befohlenem Schauen der »Aktuellen Kamera« im Fernsehen!

      Nach 14 Wochen war es dann endlich soweit und man erklärte uns eindringlich, wie wir uns draußen zu benehmen hätten. Die ganze Kompanie fuhr in den VKU nach Hause. Das wurde auch Zeit, der Stumpfsinn hatte sich schon mächtig in unsere Hirne eingenistet. Freuten wir uns jetzt doch über die einfachsten alltäglichen Dinge des zivilen Lebens wie die kleinen Kinder, wußten wir doch, daß dies nur von sehr kurzer Dauer sein würde.

      Kaum raus aus der Kaserne, eilten wir zum Bahnhof. Die meisten hatten eine lange Reise vor sich, denn es war vielfach Methode, den Wohn- und den Dienstort weit voneinander festzulegen. So verbrachten wir also eine nicht unbeträchtliche Zeit unseres spärlichen VKUs auf den Schienen und Bahnhöfen der Deutschen Reichsbahn. Schnelle Zugverbindungen, in denen eventuell der Klassenfeind hätte sitzen können, wie z.B. in den sogenannten Interzonenzügen, waren ohnehin verboten. Ein solcher Westkontakt wäre unserer Armee wegen der bereits weiter oben schon einmal beschriebenen »politisch-ideologischen Diversion des Gegners« nicht gut bekommen! Aber das war uns jetzt auch erstmal egal. Alle wollten vor Abfahrt noch Bier kaufen. Zwei Flaschen reichten, um uns endgültig glücklich zu machen. Nach so langer Zeit der alkoholischen Entwöhnung brauchte es nämlich nicht viel. Man wollte ja zu Haus auch ankommen und Militärstreifen sowie Bahnpolizei hatten immer ein Auge auf uns. Wer das nicht ernst nahm, sah sich unter Umständen schneller in der Kaserne wieder, als geplant. Also blieben wir artig und beschmutzten unsere Uniform nicht, wie man sinnbildlich meinen könnte. Das Tragen der Uniform war in der NVA und bei den Grenztruppen für Grundwehrdienstleistende im Ausgang und bei Urlaubsfahrten grundsätzlich vorgeschrieben. Wir besaßen in der Kaserne ja auch keine Zivilkleidung mehr, aber zuhaus. Wäre es nach Dienstvorschrift gegangen, hätten wir auch dort Uniform tragen müssen. Hier ignorierten aber alle in fester Verbundenheit die Dienstvorschrift.

      Diese DV war offensichtlich von einem äußerst weltfremdem, wahrscheinlich vergreistem und verkalktem Militär-Gesetzgeber erlassen worden. Stützte sich ihre Durchsetzung doch auf das Bewußtsein der Soldaten. Dieses ließ allerdings, bis auf unbekannte Ausnahmen, die gewünschte Ausprägung vermissen und so führte mich, zu Hause angekommen, der erste Gang zum Kleiderschrank und der zweite zur Hausbar in meinem Zimmer. Ich wohnte damals noch bei meinen Eltern und die sorgten sich rührend um mich und natürlich auch um die Auffüllung meiner kleinen Bar. Dafür bin ich ihnen heute noch sehr dankbar.

      Die Zeit verging viel zu schnell, immer überschattet von dem Gedanken an die Rückfahrt und die noch folgende, scheinbar unendlich lang zu dienende Zeit. Der Abschied von zu Haus nach dem ersten VKU ist mir auf Grund der deprimierenden Gedanken an die damals von mir sehr verhaßte Armee in besonders guter Erinnerung. Das hing sicherlich auch mit der besonders militärisch-straffen Dienststelle in der Ausbildungskompanie in Johanngeorgenstadt zusammen. Später, in anderen Dienstorten, war dann alles nur noch Routine. Man nahm es wie es kam und diente Zeit ab. Aber jetzt war noch nicht mal ein halbes Jahr rum und es ging unbarmherzig zurück in die Höhle des Löwen.

      Ob dieser Wehrdienst jemals zu Ende ging?

      Nachtalarm

      Kaum in der Kaserne gelandet, den militärischen Alltag wieder in vollen Zügen aufgenommen, krähte der Erpel und zwar des Nachts, zu bestschlafender Zeit. Die in allen Fluren hängenden lautstarken Alarmgeber mit »Erpelklang« ließen uns kerzengerade aus den Betten springen. Nachtalarm! Jetzt galt es alle Befehle zu erfassen und die vorgegebenen Zeiten einzuhalten. Ansonsten hätte immer wieder geübt werden müssen, bis die Normen stimmten. Jeder hatte seine Aufgabe. Nach Anlegen der Bekleidung und Ausrüstung und dem Empfang der Waffen, hatte ich die Aufgabe, zusammen mit einem Genossen Soldat, eine Ausrüstungskiste auf den Hof zu schleppen und dort anzutreten. Nachdem die Anwesenheit von Mannschaft und Material überprüft wurde, fuhren LKW heran und nahmen das Material, wie Munitionskisten, Kisten mit ABC-Bekämpfungsmitteln und sonstige unabkömmliche Gegenstände auf. Uns nahmen sie nicht auf, wir durften laufen, d.h. marschieren. Und weil es in der Nacht gewöhnlich sehr still ist, marschierten wir ohne Tritt, also zwar geordnet aber nicht im Gleichschritt, denn dieser wäre zu laut gewesen. Aber kurze Zeit darauf mußte ich innerlich lachen und muß es heut noch, wenn ich an das skurrile Szenario zurückdenke.

      Wir schlichen also aus der Garnisonsstadt hinaus und marschierten auf einer Landstraße in Richtung eines Dorfes. Zur Sicherung der Truppe liefen drei Mann voraus. Einer in der Mitte an der Spitze, die zwei anderen je auf einer Straßenseite ein Stück dahinter. Der eine von der Seitensicherung war ich. Und nun sollte ich auf verdächtige Bewegungen achten und Geräusche hören, die von einem imaginärem Feind stammen könnten, um dann Alarm zu geben. Aber alles was ich hörte, war die in der Stille der Nacht fürchterlich klappernde und schlurfende Truppe hinter mir. Göttlich, welch seltener Spaß! Und was werden wohl die Dorfbewohner gedacht haben, als die dunkle, bis an die Zähne bewaffnete Truppe des Nachts zu Friedenszeiten durch ihre Gemeinde rasselte? »Die von Georgenstadt spielen mal wieder Krieg« Oder waren sie es gewöhnt und es berührte sie nicht weiter?

      Der Spaß verging jedoch mit der Anzahl der marschierten Kilometer. Wir liefen die ganze Nacht. Als es hell wurde, kam das Unvermeidliche: Vollschutz war anzulegen. Da hatte doch der Feind tatsächlich biologische Waffen eingesetzt. Zum Glück im Hellen, denn im Dunklen trauten sich die Vorgesetzten nicht so recht »Vollschutz« zu befehlen. Die Gefahr, etwas von der Ausrüstung zu verlieren war einfach zu groß. Die Konstruktion unseres Vollschutzanzuges kam dieser Annahme sehr entgegen. Nur aus einem Teil plus zwei Stiefelüberzüge, Handschuhen und Gasmaske bestehend, war das Anlegen eine Wissenschaft und damit marschieren erst recht. Die Dinger waren so sinnig konstruiert, daß sich nach sechs Kilometern Marsch bei den meisten im Ernstfall der Tod eingestellt hätte. Das ganze Gebinde löste sich nämlich auf und man sah es durch die Maske nicht einmal. Also mußte hin und wieder etwas gesucht werden und das war im Hellen einfach leichter. Daß die Konstruktion nicht ausgereift war, beweist, daß später andere Vollschutzanzüge, bestehend aus Jacke und Hose, eingeführt wurden. Diesen Luxus habe ich aber nie genossen.

      Irgendwann kamen wir dann im Gestellungsraum an. Die Truppe sammelte sich im Wald an vorgesehener Stelle. Alle sanken erschöpft zu Boden. Kurze Pause. Danach noch ein paar Spielchen im Gelände, wie Schützenlöcher und -gräben ausheben, an gespannten Seilen über einen Wassergraben hangeln, von Baumstumpf zu Baumstumpf hopsen, über eine Wippe rennen und ähnliche, viel Freude bereitende Aktivitäten. Eine Art Sturmbahn, nur eben gefechtsnah direkt im Gelände, sicherlich mit viel Liebe aus Naturmaterialien errichtet. Wir übten fleißig, denn hierher sollte es auch später gehen zum Abschlußkomplex. Der besten Gruppe winkte ein Sonderurlaub. Und den wollte und sollte ich meiner Gruppe nicht versauen. Da ich nunmal nicht der sportlichste Typ war und dies so schnell nicht ändern konnte (oder wollte?), meine Ausbilder dies schon längst erkannt hatten, beschlossen sie, mich während des Abschlußkomplexes für andere wichtige Tätigkeiten abzustellen.

      Der entgangene Sonderurlaub

      Alle waren einverstanden, mich fragte man auch und so ging ich, als der Tag herangekommen war in den Wandzeitungskeller und meine Mitgenossen ins Gelände. Ich pinselte also an meinen Wandzeitungen rum, da kommt ein Soldat vom Nachbarzug leise herein. Dieser Zug war aber ebenfalls zum Abschlußkomplex ausgezogen und der Genosse sagt mir, er hätte sich im Keller versteckt, weil er keine Lust hat, bei der Tortur mitzumachen. Unglaublich! Ich solle ihm nach Möglichkeit etwas zu Essen besorgen. Wie im Krimi, dachte ich СКАЧАТЬ