Digitaler Faschismus. Holger Marcks
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Digitaler Faschismus - Holger Marcks страница 7

Название: Digitaler Faschismus

Автор: Holger Marcks

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Социальная психология

Серия:

isbn: 9783411913220

isbn:

СКАЧАТЬ und Diskussionsforen auf, das nicht nur dem Zusammenhalt und der internationalen Vernetzung diente, sondern auch der Planung von Angriffen auf politische Gegner.17 Mit dem Siegeszug sozialer Medien erreichten die Hassbotschaften aus diesen randständigen Foren dann schlagartig ein größeres Publikum, konnten sie doch jetzt durch Verlinkungen in digitalen Öffentlichkeiten weithin sichtbar gemacht werden. Zugleich ergriff der Rechtsextremismus die Möglichkeit, seine zuvor von den Medien ausgeschlossenen Botschaften ungefiltert in der Öffentlichkeit verbreiten zu können. Indem er nun mit eigenen Nachrichtenformaten eine Gegenöffentlichkeit zu den verhassten »Systemmedien« aufzubauen versuchte, erfand er sich gar als Medienaktivismus neu. Rechtsextreme von heute inszenieren sich daher häufig als politische Influencer, die sich der Verbreitungslogik aller ihnen zugänglichen Plattformen anpassen, um politisch sichtbar und attraktiv zu werden.

      Ein weiterer Aspekt im Verhältnis des Rechtsextremismus zu den sozialen Medien ist seine Verschmelzung mit digitalen Gaming- und Trolling-Kulturen. Sie machen es zunehmend schwierig, zwischen kollektivem und individuellem Handeln, zwischen privater Äußerung und politischer Botschaft, zwischen Spaß und Ernst zu unterscheiden. Hier trifft eine Netzkultur, die rassistisch, homophob und antifeministisch geprägt ist, auf politische Vorstellungen von kultureller Überlegenheit und autoritären Sozialstrukturen, die nun in spielerischer Weise neu formuliert werden. Aus diesem politisch-kulturellen Amalgam ging etwa die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung hervor, die weltweit Einfluss auf die extreme Rechte nahm. Als wichtigste Zutat in ihrem Erfolgsrezept kann, wie der Journalist David Neiwert betont, insbesondere das profane Mittel der Ironie gelten.18 Damit konnte sie die Öffentlichkeit lange an der Nase herumführen, etwa wenn sie Gewaltfantasien als schlechte Scherze tarnte. Erst seit den Anschlägen von Christchurch, El Paso und Halle, die als gewaltsame Konsequenz dieser digitalen Kulturen nicht mehr zu leugnen sind, wird diese amorphe Form des rechtsextremen Aktivismus ernst genommen. Dabei zeigt sich an den jeweiligen Täterprofilen, dass rechtsextreme Organisationen für den heutigen Rechtsterrorismus kaum mehr eine Rolle spielen. Vielmehr geraten nun Foren wie das bildbasierte Forum 4Chan in den Fokus, die ein Eigenleben als Orte der Radikalisierung entwickelt haben.

      Was diese digitalen Kulturen aber mit den formalen Organisationen des Rechtsextremismus teilen, sind ähnliche Erzählungen von Untergang, Verschwörung und Verrat. Sie mögen in verschiedenen Online-Angeboten, die eine Vielzahl von Milieus abdecken, variieren, unterscheiden sich aber oftmals nur in ihren Handlungsperspektiven. Im deutschen Kontext gibt in diesem Konzert mittlerweile die AfD den Ton an, die einen Großteil ihrer Kapazitäten auf die politische Kommunikation in den sozialen Medien verwendet. Zugleich sind ihre Mitglieder dazu angehalten, durch Online-Aktivitäten die Stimmungsmache der Partei zu unterstützen. Im Ergebnis kann keine Partei in Deutschland mit den Interaktionsraten mithalten, welche die AfD etwa auf Facebook erzielt. Und da viele ihrer Mitglieder, Anhänger und Sympathisanten, die fleißig für die Sache interagieren, auch in digitalen Subkulturen unterwegs sind, verbinden sich ihre Erzählungen häufig mit extremeren oder absurderen Elementen aus randständigen Foren. Dabei werden sie in der digitalen Öffentlichkeit durch Schwarmaktivitäten unterstützt, die in jenen Subkulturen vorbereitet werden.

      Die Extremismusforscherin Julia Ebner beschreibt in ihrem Buch Radikalisierungsmaschinen zum Beispiel plastisch, wie sich rechtsextreme Online-Netzwerke zur fünften Kolonne des AfD-Wahlkampfs in der Bundestagswahl 2017 aufspielten.19 Ähnlich hatte bereits die Alt-Right bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 2016 einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass Trumps Prominenz in den digitalen Medien beträchtlich wuchs und sich seine Botschaften in Windeseile verbreiteten. Wie Vertreter der Alt-Right selbst bekräftigen, geht es rechtsextremen Online-Aktivisten wie ihnen nicht nur darum, die Öffentlichkeit digital zu manipulieren, sondern auch darum, das Bewusstsein von breiteren Massen langfristig zu beeinflussen.

      Auch in der Fachliteratur zum Rechtsextremismus häufen sich Darstellungen darüber, wie rechtsextreme Akteure erfolgreich im Netz vorgehen. Die Frage, warum sie damit so erfolgreich sind, bleibt jedoch weitgehend ausgespart. Es ist ja nicht einfach Cleverness, die ihren digitalen Erfolg begründet – als machten sie sich die neuen Gelegenheiten nur besser zunutze als andere. Im Gegenteil steht zu vermuten, dass die extreme Rechte sich sogar weniger als andere politische Richtungen an die digitale Umwelt anpassen muss, um in dieser Raumgewinne zu erzielen. Wie bereits angesprochen, verändern neue Medientechnologien stets auch die menschliche Daseinsweise, da sie, wie Benjamin sagt, eine neue »Organisation der Wahrnehmung« hervorbringen.20 Der daraus resultierenden Erleuchtung muss allerdings nichts Kluges folgen. Schon im späten Mittelalter hatte etwa die Druckpresse zur Folge, dass viele Menschen angesichts all der Informationen, die nun eine Welt jenseits des eigenen Dorfes erfahrbar machten, ihren emotionalen Kompass verloren. Bezeichnenderweise war dies die Stunde der »Wutbauern«, die ein neues »großflächiges Wir« gegen das damalige »Establishment« von Kirche und Adel beschworen, wie der Kulturwissenschaftler Sebastian Dümling es beschreibt.21 Entsteht der gegenwärtige rechtsextreme Tumult also womöglich gerade aus der neuen Wahrnehmungsorganisation, die die sozialen Medien mit sich bringen?

      So ließe sich zumindest ein Argument des Historikers Antoine Acker ausdeuten. Ihm zufolge gründen illiberale Entwicklungen im digitalen Zeitalter mehr darauf, dass sich die Massen über die sozialen Medien selbst manipulieren – und weniger auf den Propagandatechniken einer autoritären Partei.22 Dieses Argument, das Acker vor dem Hintergrund der Massenunterstützung Bolsonaros in Brasilien entwickelt hat, spiegelt nicht nur die Vorstellung wider, dass die sozialen Medien für rechtsextreme Bewegungen besonders vorteilhaft sind. Es geht auch davon aus, dass aus neuen Kommunikationsstrukturen faschistische Entwicklungen resultieren können. Immerhin kommt den Medien in Demokratien die Funktion zu, zwischen den komplexen Anforderungen der Politik und der begrenzten Urteilsfähigkeit der Masse zu vermitteln – basierend auf gemeinsamen Standards der Realitätsabbildung. Die Tatsache, dass die Masse ihre Medien als Folge der Digitalisierung nun selbst organisiert und rechtsextreme Akteure sie unmittelbar mit postfaktischen Inhalten beeinflussen können, stellt indes ein Einfallstor für faschistische Dynamiken dar, die stets auf der Manipulation der Realität basieren.

      Der Begriff des Faschismus ist freilich selbst Gegenstand von Kontroversen. Immerhin handelt es sich dabei um einen Kampfbegriff par excellence, der links wie rechts verwendet wird, um politische Gegner als Feinde der Freiheit zu stigmatisieren. Ja, tatsächlich auch von rechts. Diese merkwürdige Karriere des Begriffs lässt sich gut an einem Zitat des Schriftstellers Ignazio Silone verdeutlichen: »Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ›Ich bin der Faschismus.‹ Nein, er wird sagen: ›Ich bin der Antifaschismus.‹ « Der angeblich 1944 in die Welt gesetzte Lehrspruch des italienischen Sozialisten erfreut sich heute großer Beliebtheit in rechten Kreisen. Dort führt man ihn gerne an, um antifaschistische Aktivitäten, insbesondere »der Antifa«, als freiheitsfeindlich zu entlarven und sich selbst so als wahrer Antifaschismus zu gerieren. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich in dieser rechten Instrumentalisierung des Zitats genau jene perfide Wendung zeigt, vor der das Zitat warnte.23 Hier soll uns der Umgang damit aber vor allem als Beispiel dafür dienen, welch widersprüchliche Lesarten dem Begriff anhaften.

      Vor dem Hintergrund ebendieser Widersprüche ist immer wieder zu hören, dass der Begriff des Faschismus für sachliche Debatten nutzlos geworden sei. Denn dass er polemisch genutzt wird, um zwischen politischen Gegnern und historischen Ereignissen irreführende Parallelen zu ziehen, scheint eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Zumindest aber wird er häufig unpräzise verwendet. Auch Acker ist davon nicht ganz frei, wenn er den Eindruck erweckt, unter Faschismus seien allgemein illiberale oder rechtsextreme Entwicklungen zu fassen. Genauer nehmen es da schon Definitionen aus der Faschismusforschung, wenngleich sich auch hier tiefe Gräben zwischen unterschiedlichen Denkschulen feststellen lassen. Da wäre etwa die marxistische Perspektive, die Faschismus vorwiegend als eine Herrschaftstechnik zur Unterdrückung der Arbeiterklasse analysiert. Andere Betrachtungsweisen machen das Phänomen an ideologischen Merkmalen fest oder definieren es anhand seiner politischen СКАЧАТЬ