Atheistischer Glaube. Dr. Paul Schulz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Atheistischer Glaube - Dr. Paul Schulz страница 9

Название: Atheistischer Glaube

Автор: Dr. Paul Schulz

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Kleine philosophische Reihe

isbn: 9783843800358

isbn:

СКАЧАТЬ des olympischen Götterhimmels und langfristig zur totalen Auflösung der griechischen Götterwelt überhaupt. Diese erste radikale Religionskritik der Menschen ist eng verbunden mit dem Namen des Philosophen Xenophanes von Kolophon19.

      Eine entsprechende Bedeutung hatte die Religionskritik in der französischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Auch hier spitzte sich der Denkdruck zu auf die Frage, ob die Welt mit Gott oder ohne Gott zu interpretieren sei. Hat der Geist die Materie geschaffen oder die Materie den Geist? Die Dominanz in diesem Streit erlangten die frühen französischen Materialisten20 Lamettrie, Denis Diderot und Paul d’Holbach, eher noch geistreiches Feuilleton, aber von starker Wirkung als Impuls der französischen Aufklärung. Die erste wissenschaftliche Religionskritik begann dann 1841 mit Ludwig Feuerbach21.

      Schließlich entwickelte sich eine immer konsequentere Forschung ohne Gott. Sie setzte sich zunehmend frei von aller religiösen Bevormundung, zum Beispiel auch vom – noch immer gültigen – Antimodernisteneid22, mit dem Papst Pius X. 1910 den katholischen Forschern und Lehrern eine Beteiligung an der gottfeindlichen modernen Forschung und der Verbreitung ihrer Ergebnisse verbot. Jeder dem Katholizismus in Forschung und Lehre Zugehörige muss sich demnach den entscheidenden Erkenntnissen der modernen Wissenschaften nicht nur im Einzelnen, sondern von den Glaubensdogmen her gegen die Vernunft verweigern. Heute aber umfasst diese Forschung der Vernunft weltweit alle Gebiete einschließlich der Biogenetik mit dem Ziel, aus rein menschlichem Wissen Leben herzustellen.

      In unseren Tagen nun ist der Atheismus plötzlich hochaktuell.Über 30 Prozent der in Deutschland lebenden Staatsbürger sind konfessionsfrei23, das heißt, nahezu ein Drittel unserer Bürger fühlt sich keiner Religion zugehörig. Keineswegs alle sind Atheisten. Bei weitem nicht. Es sind auch Agnostiker, Freidenker, Humanisten, Pantheisten und immer wieder Indifferente. Doch alle haben sich von Kirche und Religion erklärtermaßen losgesagt.

      Auch heute geht es dem Atheismus natürlich um Religionskritik24. Solange die Religion und vor allem die institutionalisierten Religionen eine derartig private und öffentliche Präsenz haben, ist Religionskritik – auch in immer erneutem scharfen Widerspruch – notwendig. Dennoch ist Religionskritik heute eher ein begrenzter Aufgabenbereich im Atheismus.

      Dagegen geht es mir primär um die Präsentation der befreienden Kraft des Atheismus selbst. Es geht mir zuallererst darum, was das Denken ohne Gott für den Menschen positiv bewirken kann – völlig unabhängig von jeder Religion. Auf mein Leben als Atheist übt die Religion keinen Einfluss aus. Deren Glaubenssätze, hunderttausendmal verworfen, haben überhaupt nichts zu tun mit dem autonomen Selbstverständnis eines Atheisten.

      Deshalb: Dem Atheismus heute fällt die Aufgabe zu, mit und für die Menschen für die Zukunft ein sicheres Selbstverständnis zu entwickeln, ein Selbstverständnis ohne Gott:

      – Es ist großartig und menschenwürdig, befreit zu sein von einem Glauben an Dinge, die nicht glaubbar sind, und sich auf seinen Verstand verlassen zu können.

      – Es ist großartig und menschenwürdig, befreit zu sein von allen Vorschriften des Göttlichen und selbstverantwortlich leben zu können.

      – Es ist großartig und menschenwürdig, befreit zu sein von Ängsten vor irgendwelcher religiösen Macht und das Leben – mit allem Risiko – frei gestalten zu können.

      Erst ein Mensch, der sich aus der Bevormundung Gottes und der Religion befreit, wird ein autonomer Mensch.

      Befreiung aus der Bevormundung der Eltern, aus der Bevormundung der Kultur, aus der Bevormundung der Religion, das bedeutet: Befreiung als Prinzip der Ich-Werdung. Der Mensch findet erst zu sich selbst, indem er sich aus den Zwängen der vielschichtigen Fremdbestimmung von Erziehung, Kultur und Religion befreit.

      Ich meine dabei ganz bewusst: Befreiung – nicht Freiheit. Denn Freiheit gibt es nicht wirklich. Freiheit ist eine philosophische Fiktion, die es deshalb im Leben nicht geben kann, weil der Mensch nie losgelöst sein kann von Bedingungen, die ihn halten, ihn verpflichten, für ihn notwendig sind. Deshalb ist der Mensch nie wirklich frei. Der Begriff Freiheit ist eine Sackgasse, eher eine Quizaufgabe für ein Oberseminar Theoretischer Philosophie. Freiheit meint im Konkreten vielmehr Befreiung, also einen ständigen Prozess, keinen dauernden Zustand. Befreiung ist die eigentlich positive Lebenserfahrung, nämlich Loslösung aus Verhältnissen, die man so nicht will; Loslösung aus Abhängigkeiten, die das eigene Leben hindern, etwas anderes zu machen; Loslösungen aus Lebenszwängen, die das eigene Handeln und Verhalten fremdbestimmen.

      Im Ersten ist Befreiung also – Loslösung vom Alten. Solche Loslösung kann oft nur unter starker Kraftanstrengung gelingen, weil die Verhältnisse, die den Menschen unfrei halten, ihn gleichsam eng umklammern, fesseln, abschnüren. Loslösung bedarf also einer Sprengkraft, die die unfrei machenden Bindungen aufbricht.

      Entsprechend können, ja, müssen die Mittel zur Loslösung oft hart sein. Je stärker die Umklammerung ist, desto härter muss der Befreiungsakt geraten. Meist ist der Mensch erst bereit sich zu verändern, wenn der Leidensdruck unerträglich geworden ist.Dann ist die notwendige Sprengkraft, die die alten Bindungen auseinanderreißt, natürlich äußerst groß.

      Im Zweiten bedeutet Befreiung – Freisetzung für etwas Neues. Befreiung fordert also unbedingt als zweiten Schritt die aktive Veränderung auf sich selber zu, einen elementaren Lernprozess mit sich selbst und der ehrlichen Frage: Was will ich eigentlich?

      Ist das Leben, das ich führe, mein eigentliches Leben? Ist das alles? Entspricht dieses Leben meinen persönlichen Vorstellungen? Renne ich nicht mit allem, was ich tun muss, vor mir selber weg? Sterbe ich nicht Tag für Tag an Alltagsstress, an Routine, an dem Gefühl, da komme ich nie wieder raus?

      Ist vielleicht schon alles verpasst, meine Gefühle verkümmert? Hatte ich nicht Wünsche, Träume, Sehnsüchte? Alles vorbei? Wo gibt es noch jemanden, der mich schützt, ermuntert, zu mir hält, wenn ich zusammenzubrechen drohe? Kann ich noch jubeln, zärtlich sein, lieben? Ist all das in mir schon verklungen?

      Was ist an meinem Leben lebenswert? Was ist daran schön und beglückend? Sollte ich nicht viel offener und freier sein, um die Fülle des Erfahrbaren viel tiefer auszuloten? Müsste ich mein Leben als einmalige Kostbarkeit nicht ganz anders gestalten?

      Liegt die Antwort auf manche dieser Fragen nicht doch nahe: Ich muss mein Leben überdenken, ändern, einen Ausweg finden, vielleicht sogar den Neubeginn wagen?

      Dieser Umbruch, diese Loslösung von fremdbestimmten Zwängen zur selbstbestimmenden Eigenverantwortung, das Prinzip der Befreiung des Ich zu sich selber lässt sich beschreiben als Rationale Geburt.

      Auf dem Weg zum eigenen Selbst

      Natur kontra Kultur

      [Zur Frage der Fremdbestimmung]

      (1)

      1. Mit den ersten Zuwendungen der Eltern zu ihrem Kind beginnt der Einfluss der Kultur auf den Menschen und damit auf sein natürliches Wesen. Die Eltern und die ersten Bezugspersonen tragen für den guten Einstieg des Kindes in sein zukünftiges Leben eine riesige Verantwortung.

      2. Das Grundproblem des heranwachsenden Kindes liegt weniger in einzelnen Negativerfahrungen mit den Eltern. Es liegt vielmehr in den permanenten Auseinandersetzungen mit СКАЧАТЬ