Название: Die kalte Braut
Автор: Stefan Bouxsein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Mordkommission Frankfurt
isbn: 9783939362098
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»Was machst du denn da?«, wollte Charly wissen.
»Kontakt aufnehmen. Ich habe meine Handynummer notiert und um dringenden Rückruf gebeten.«
»Gute Idee. Jetzt bin ich richtig neugierig, wer sich da meldet.«
»Ich auch. Ich schaue mich mal in den anderen Zimmern um.« Siebels ging in die Küche. In der Spüle stand noch benutztes Geschirr und auf dem Küchentisch eine halb volle Weinflasche und ein Weinglas. Im Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Siebels fragte sich, warum Müller nicht mit seiner Freundin Sabine Lehmann zusammengezogen war, und ging ins Schlafzimmer. Ein ungemachtes schmales Bett und bergeweise schmutzige Wäsche erwarteten ihn dort. An der Wand über dem Bett hing ein gerahmtes Foto. Sven Müller und Sabine Lehmann unter Palmen.
»Ich bin drin«, rief Charly vom Arbeitszimmer aus. Als Siebels hinter Charly stand, hatte der schon sein nächstes Erfolgserlebnis vorzuweisen. »Schau mal hier. Er hat über diesen Wurmbach ein kleines Exposé angelegt. Detlev Wurmbach, Diplom-Volkswirt, nach seinem Studium im Juni 2000 von Paulsen und Partner angeheuert. Sechsmonatiges Partnerprogramm absolviert. Im März 2001 eigenständiges Büro eröffnet. Seminarbesuche durchgehend von 2001 bis 2004. Stetig steigende Umsätze mit dem Beratungsbüro. Selbstmord im Januar 2005. Hinterließ Schulden von knapp 200.000 Euro.«
Siebels pfiff leise durch die Zähne. »Ziemlich hohe Schulden für einen jungen aufstrebenden Berater.«
»Vielleicht war das der Grund für seinen Selbstmord?«
»Sieht jedenfalls so aus, als hätte Sven Müller auch an anderen Partnern von Paulsen ein reges Interesse gehabt.«
»Ein Bi-Sexueller, der auf Paulsens Partner steht? Bizarr, bizarr.«
»Blödmann. Jedenfalls ist der Fall um einiges interessanter, als es Jensen sich vorgestellt hat.«
Plötzlich schrie ein Baby. »Was ist das denn?«, fragte Charly entsetzt. »Hier muss noch ein Baby in der Wohnung sein.« Kaum hatte er den Satz hektisch ausgesprochen, verstummte er kopfschüttelnd. Siebels hatte sein Handy aus der Tasche gezogen und nahm das eingehende Gespräch entgegen. Am Gesprächsverlauf erkannte Charly, dass es sich bei dem Anrufer um den Absender der Todesanzeige handeln musste. Siebels verabredete sich mit ihm für 18:00 Uhr in einer Kneipe an der Bockenheimer Warte.
»Nun erzähl schon«, drängte Charly, als Siebels das Gespräch beendet hatte.
»Andreas Wurmbach, der ältere Bruder von Paulsens verstorbenem Partner. Er wurde von Müller vor zwei Wochen kontaktiert. Mehr wollte er am Telefon nicht erzählen.«
»Und ich soll jetzt alles über Paulsen und Partner rausfinden, richtig?«
»Charly? Seit wann kannst du Gedanken lesen?«
»Bei deinen Gedanken ist das ganz einfach. Dachte ich jedenfalls, bis ich eben deinen neuen Klingelton gehört habe. Das nächtliche Geschrei von deinem Kleinen genügt dir wohl nicht?«
»Das war die Idee von Sabine. Sie meinte, ich würde mich auf diese Weise schneller daran gewöhnen, wenn der Kleine mitten in der Nacht losbrüllt.«
»Aha. Und? Funktioniert es?«
»Wenn er nachts losbrüllt, suche ich jetzt erst mein Handy und dann sein Fläschchen. Ich bin also besänftigt, wenn der Kleine schreit, weil es dann kein nächtlicher Anruf von Jensen ist.«
»Psychologisch sehr gut durchdacht«, feixte Charly.
»Meine psychologischen Kenntnisse probiere ich jetzt in der Praxis aus. Ich fahre ins Krankenhaus zu Sabine Lehmann. Vielleicht kann sie mir zu diesem Wurmbach etwas erzählen.«
3
Sabine Lehmann lag regungslos in ihrem Krankenbett und starrte an die Decke. Ein Polizeibeamter saß vor der Zimmertür und langweilte sich bei der Bewachung der mutmaßlichen Mörderin.
»Guten Tag, Frau Lehmann«, begrüßte Siebels die Verdächtige höflich.
»Ja, es ist ein guter Tag«, antwortete sie und lächelte versonnen. »Ein ruhiger und friedlicher Tag. Schön, dass Sie mich wieder besuchen kommen.«
»Möchten Sie mir etwas erzählen?«
»Was denn?« Sabine Lehmann schaute Siebels erstaunt an. Siebels schaute nicht weniger erstaunt zurück.
»Können Sie sich an Ihr letztes Treffen mit Sven Müller erinnern?«
»Ich kann mich nur an meine Träume erinnern. Alles andere ist wie ausgelöscht. Haben Sie über meinen Traum nachgedacht?«
»Ich habe ihn sogar aufgeschrieben, damit ich nichts vergesse.«
»Das ist gut«, seufzte Sabine Lehmann.
»Kannten Sie einen Herrn Wurmbach? Detlev Wurmbach?«
»Der ist tot.«
»Sie kannten ihn also? Wissen Sie, wie er sich das Leben genommen hat?«
»Vielleicht hat er auch so komische Träume gehabt?«
Siebels wurde langsam ärgerlich. »Frau Lehmann, Sie stehen unter dem Verdacht, Ihren Lebensgefährten Sven Müller getötet zu haben. Sven Müller hat sich für den Selbstmord von Detlev Wurmbach interessiert. Herr Wurmbach war wie Sie ein Partner von Paulsen. Sie sollten mir langsam was erzählen.«
»Ja, ich erzähle Ihnen am besten meinen Wüstentraum. Der ist sehr merkwürdig.«
Bevor Siebels etwas erwidern konnte, legte Sabine Lehmann los.
Der goldene Wüstensand glitzert in der hochstehenden Sonne. Soweit das Auge reicht, ist nur der feine glänzende Sand zu sehen, aufgetürmt zu erhabenen Dünen. Er brennt unter meinen nackten Füßen, doch ich spüre keinen Schmerz. Zielstrebig laufe ich durch die Wüste, immer der Sonne entgegen. Bekleidet bin ich mit einem weißen Brautkleid. Sein Weiß ist trotz meines Wüstenmarsches so rein und klar wie das Blau des wolkenlosen Himmels. Ich bin schon seit Stunden unterwegs, ohne einen Tropfen Wasser, ohne einem Menschen begegnet zu sein, ohne Rast und ohne Kompass. Ich schaue nicht nach links und nicht nach rechts, mein Blick geht starr geradeaus, immer auf die nächste Düne gerichtet. Endlich, nach unzähligen überquerten Dünen, erblicke ich einen Menschen. Ich stehe auf der Spitze des Sandberges und atme erleichtert durch, bevor ich die Düne wieder herabsteige. Unten sitzt eine alte Frau in einem Schaukelstuhl und wippt bedächtig im Sand. Als ich vor ihr zum Stehen komme, mustert sie mich von Kopf bis Fuß. Ihre schwarze Haut ist von der Sonne gegerbt.
»Da bist du ja endlich«, spricht sie mich vorwurfsvoll an. »Hier ist die Grenze, bist du bereit?«
Ich nicke selbstsicher und betrachte mir die unsichtbare Grenze. Auf beiden Seiten der Grenze gibt es nur Sand. Die alte Frau greift nach einer Kiste und gibt sie mir. »Beeile dich«, sagt sie. »Die Sonne geht bald unter.« Ohne zu antworten, laufe ich mit der schweren Kiste weiter. Als ich drei weitere Dünen überquert habe, erkenne ich in der Ferne aufgewirbelten Sand. СКАЧАТЬ