Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Das war freilich ihr zu viel, vor allen den Leuten, vor dem vornehmen Domherrn, dem jungen Freiherrn.
»Aber Louis!« sagte sie.
Da sah Louis Becker auch etwas anderes als die Geliebte.
Und der junge Freiherr sah auch ihn und rief:
»Du bist es, alter braver Kamerad Becker?«
»Und Du, alter Freund Aschen?« rief der andre zurück. »Ja, ja, wir hatten uns beide bisher nur in der Uniform gesehen. Und — alle Wetter, die Uniform machte uns gleich. Wir waren also etwas anderes, als wir jetzt sind, und ein Kellner und ein Freiherr —«
»Können beide ein paar große Narren sein«, fiel der Domherr ein. »Und wenn Ihr das nicht seid, dann —«
Aber sie ließen ihn nicht ausreden.
»Können treue Freunde bleiben!« sagte der junge Freiherr.
Und die beiden treuen Freunde lagen sich in den Armen.
Louis Becker sagte dann:
»Und nun sollst Du auch mit meiner Braut tanzen. Wie ich Dich nicht erkannte, wollte ich Dir zuvorkommen.«
Da musste aber doch der junge Freiherr lachen, wie wenig Lachen auch in seinem Herzen wohnen mochte.
Er hatte die hübsche Kellnerin angesehen. Sie machte zu den Worten ihres Bräutigams ein fast trauriges Gesicht.
Alle Eitelkeit, aller Stolz musste in ihrem braven Herzen vor der Liebe zurücktreten.
»Nachher!« sagte der junge Freiherr.
Und das schmucke Paar eilte glücklich und fröhlich dem Tanzplatze zu.
Der Domherr und sein Neffe standen allein.
»Hm, und wir beiden?« fragte der Domherr.
»Ich ziehe weiter, Gisbertine zu suchen.«
»Du wirst hier bleiben und tanzen.«
»Ich tanzen?«
»Ja, mit den Bräuten Deiner Kameraden. Und auch mit einer Frau.«
Gisbert sah den Domherrn fragend an.
»Die Frau Mahlbergs ist hier, und ich will sie Dir holen.«
Der Domherr wollte gehen.
Er wurde aufgehalten. Die alten Leute auf dem Platze waren auf ihn zugetreten, umringten ihn, begrüßten ihn. Sie kannten ihn alle seit vielen Jahren. Sie hatten eine herzliche Freude, ihn wiederzusehen, und er freute sich wie sie.
Mit seiner herzlichen Freude ging er dann zu dem Herrenhause.
»Hm«, sagte er im Gehen, »hat denn das Glück oder das Unglück mehr Freude in seinem Schoße? Wie waren wir hier unglücklich! Sie, ich! Sie ruht; der stille Friede der Seligen umgibt sie. Und sie hatte noch die Freude, die schöne Entwicklung ihres lieben Kindes zu sehen. Und das Kind ist dieser Engel geworden, und ich habe diese reine Freude an ihr, an allem hier. Und hat nicht jenes Unglück dies alles geboren? Wäre sie denn, die arme Therese, mit mir so glücklich geworden, wie wir es träumten? In ganz andern Verhältnissen, für die sie nicht geboren, nicht erzogen war? In einem fremden Land? Unter andern Menschen, die sich über sie stellten, die sie gar als einen fremden Eindringling glaubten hassen zu müssen? Und Karoline? Was wäre ich, wenn sie nicht wäre? Für sie allein gebe ich alle Freude hin, die mir hätte werden können, die ich träumte, hoffte. — Hm, da kann ja auch die arme Frau, zu der ich jetzt gehe, künftig noch Glück und Freude erleben. Der Leiden hat sie wahrhaftig genug gehabt, und sie hat sie noch immer. Und auch Gisbert und Gisbertine? Aber haben die denn wirkliche Leiden, wirkliches Unglück? Findet denn nicht die eine in ihren Launen, in ihrem Trotz gerade ihr Glück, ihre Befriedigung? Und er? Lässt denn sein bequemes Wesen ihn zum rechten Schmerze gelangen? Er sei zum Durchbruch gekommen, meint er —«
Er wurde noch einmal aufgehalten.
Er war um das Herrenhaus herumgegangen, um von vorn auf dem gewöhnlichen Wege durch den runden Turm hineinzutreten. Als er die Vorderfronte des Hauses erreicht hatte, sah er den Burschen, der ihm am Morgen den Brief Karolinens nach Hofgeismar gebracht hatte, aus einer Seitenschlucht des Tals auf das Haus zukommen. Der Bursche ging eilig, und als er den Domherrn sah, winkte er diesem, als wenn er ihm etwas Dringliches mitzuteilen habe. Der Domherr blieb stehen, ihn zu erwarten.
Der Bursche war Bernhard Henke, der Sohn der armen Bauersleute in Niederhelmern, der Führer der Schmuggler, der in jener Nacht vor etwas länger als einem Jahre durch einen Schuss der Grenzsoldaten in der Schulter verwundet und fast sterbend von dem Domherrn und Karoline Lohrmann aufgenommen und nach Ovelgönne gebracht worden. Er war dort unter der sorgsamsten Pflege genesen und seitdem dageblieben.
Der kluge und gewandte Knabe hatte sich schon, wie er kaum wieder von seinem Krankenlager sich erheben und im Hause herumgehen konnte, so anstellig gezeigt und war jedermann im Hause so zur Hand gegangen, dass man, als er völlig wiederhergestellt war, meinte, er sei unentbehrlich auf Ovelgönne. So war er geblieben, hauptsächlich als Diener Karolinens und der Frau Mahler. Einen ganz besonders anhänglichen Eifer hatte er aber immer für die stille, leidende Frau und ihr Kind an den Tag gelegt; er hatte tausend Gefälligkeiten für beide.
Er war kein Knabe mehr; er zählte bald seine siebzehn Jahre, und wenn er auch nicht groß war, so verriet sein schlanker Körper in allen seinen Bewegungen eine für sein Alter ungewöhnliche Kraft der Sehnen und Muskeln, und dabei hatte er das kluge Gesicht.
Er kam bei dem Domherrn an.
»Euer Gnaden, im Walde ist eine Dame, die Sie zu sprechen wünscht.«
»Eine Dame, Bursche?«
»In einem Wagen, Euer Gnaden.«
»Wie sieht sie aus?«
»Eine sehr schöne junge Dame. Ich habe sie schon einmal bei Euer Gnaden gesehen.«
»Wo?«
»Auf der Dahlheimer Sägemühle, im vorigen Sommer.«
»Gisbertine?« fragte sich der Domherr. »Sie muss es sein. — Führe mich zu ihr.«
Er gab seinen Gang zu der Frau Mahler auf und folgte dem Burschen quer durch das Tal in den gegenüberliegenden Wald.
Unterwegs erzählte der Bursche.
Er hatte seinen Botengang nach Hofgeismar an den Domherrn dazu benutzt, auf dem Rückwege einen Abstecher nach Niederhelmern zu machen, um seine Mutter und Geschwister zu besuchen. Auf dem Wege von da nach Ovelgönne war es ihm, als er in die Nähe des Ovelgönner Tals kam, aufgefallen, das Rollen eines Wagens zu hören, der aus dem Tale in einem alten Holzwege in den Wald fuhr. Er war darauf zugegangen.
Mitten zwischen den Bäumen hatte der Wagen gehalten.
Er hatte nur die schöne junge Dame darin gesehen. Sie hatte mit dem Kutscher gesprochen. Auf einmal hatte sie ihn gesehen und herbeigerufen und nun ihm den Auftrag gegeben, den wohl der Kutscher СКАЧАТЬ