Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Sie schwankte.
»Ah!« rief sie.
Er fing sie auf.
Als er sie anfasste, fühlte er ihr warmes Blut.
»Agathe, Agathe! Du stirbst!«
»Für Dich, mein Hermann!«
Vierter Teil
Erstes Kapitel.
Der Domherr unter den Zöllnern.
Deutschland hat viele freundliche Universitätsstädte.
Die Musen suchen nicht immer die dunklen, engen Studienstuben und die trüben Öllampen alter und jungalter Gelehrten auf. Es gibt nur ein Heidelberg, sagt der deutsche Student, wie der Österreicher sagt: es gibt nur eine Kaiserstadt, es gibt nur ein Wien. Berlin bildet sich jetzt ein, die einzige Weltstadt geworden zu sein.
Eine sehr freundliche und zugleich sehr pedantische Universitätsstadt ist Göttingen.
Es ist unter den Universitätsstädten, was Berlin unter den Weltstädten sein wird, wenn es eine wird.
An einem warmen Juliabend fuhr ein mit Extrapostpferden bespannter, bequemer und eleganter Reisewagen an dem Gasthofe zum König von England in Göttingen vor. Er war verschlossen. die Fenster waren mit weißem Chausseestaub bedeckt; darum waren sie auch wohl so fest verschlossen. In einem offenen Coupé hinten am Wagen saßen ein Kammerdiener und eine Kammerfrau; der Staub der Chaussee hatte beide weiß gepudert.
Im Gasthofe wurde die große Hausglocke geläutet.
Kellner und Hausknechte stürzten aus dem Hause.
In dem offenen Coupé hatten sich dessen beide Insassen erhoben. Die Kammerfrau schüttelte den weißen Staub von sich. Der Kammerdiener hatte nur einen Staubmantel abzuwischen, mit einem Tuche über das Gesicht zu fahren. Er war früher fertig als die Frau. Er sprang aus dem Coupé an den Wagenschlag, ihn zu öffnen.
Aber ein anderer war ihm schon zuvorgekommen.
Mit den Kellnern und Hausknechten war ein junger Mann aus dem Hotel geeilt; er hatte mich ihnen den Vorsprung abzugewinnen gesucht und abgewonnen.
Es war ein hübscher junger Mann von vornehmem, aristokratischem, militärisch-aristokratischem Aussehen. Orden zierten seine Brust; es·waren militärische Orden, Zeugen eines Mitkämpfens in den Freiheitskriegen oder doch irgendeiner Teilnahme an ihnen.
Er öffnete den Wagenschlag.
»Ei, schon da, lieber Graf? Das ist reizend von Ihnen.«
Eine jugendliche Frauenstimme rief es ihm freundlich entgegen.
Eine schöne junge Frau erhob sich im Wagen, entstieg ihm, gestützt an die Hand des jungen Grafen.
»Untertänigster, Exzellenz!« rief der Graf unterdes in den Wagen hinein.
»Gehorsamer Diener, Herr Graf Westernitz«, antwortete eine alte Soldatenstimme.
Der Graf Westernitz gab der jungen Dame seinen Arm und führte sie in den Gasthof.
Von dem Kammerdiener unterstützt, stieg der alte Soldat aus dem Wagen.
Es war die kräftige, stramme Figur des Generals von Steinau.
Der General konnte ohne Krücken und ohne Stock gehen und hinkte nur leicht.
Er folgte dem jungen Paare in den Gasthof.
Sie folgten alle drei dem Oberkellner, der den Neuangekommenen ihre Zimmer anwies.
An der Tür verabschiedete sich der Graf.
»Wann darf ich wieder aufwarten?«
»In einer halben Stunde werde ich mit meiner Toilette fertig sein«, sagte Dame Gisbertine. »Der Abend ist so schön. Wir machen dann eine Promenade, um die Sonne untergehen zu sehen.«
Sie musste die Straße hinaufsehen nach dem Tore hin. Es war die Weender Straße. Dort nach dem Tore hin hatte sie als schwarze Maske gewohnt, hatte die Wohnung ihres Mannes ihr gegenüber gelegen, hatte sie den von ihr Verlassenen wieder aufgesucht, dem schwer Verwundeten in der drohenden Todesgefahr das Leben gerettet, den Kranken mit treuester, hingebendster Gattenliebe gepflegt, den gelockerten, beinahe zerrissenen Bund der Herzen mit ihm erneuert, unter den süßesten, den heiligsten Schwüren, um ihn nach kurzer Zeit in Trotz und Laune und Eigensinn von neuem zu zerreißen.
Das sind Erinnerungen, die auf das leichtsinnigste, die selbst auf ein verdorbenes Herz ihre Macht mit erschütternder Gewalt ausüben müssen.
Die Kammerfrau war eingetreten, um ihr bei der Toilette behilflich zu sein.
Sie achtete nicht auf sie.
Der General hatte in dem Nebenzimmer sich schon umgekleidet; er kam daraus zurück.
»Du wolltest doch Deine Toilette machen, Gisbertine!«
»Sogleich, Onkel.«
Sie sah von dem Fenster, aus ihren Träumen nicht auf.
Es wurde an die Tür geklopft.
Der Graf Westernitz war es.
»Sagen Sie ihm, ich sei noch nicht fertig. In einer halben Stunde!« befahl sie der Kammerfrau.
»Aber in einer halben Stunde ist es stockfinster, Gisbertine«, sagte der Onkel.
»So, Onkel?«
Sie rührte sich nicht.
Der General kannte seine Nichte. Er ließ sich von seinem Bedienten die neuesten Zeitungen herausholen, setzte sich in das Sofa und las.
Gisbertine träumte weiter.
Der General war beim Lesen aufmerksamer geworden.
»Hm, Gisbertine, die Zensur ist ein gutes Institut, besonders in der jetzigen Zeit der demagogischen Umtriebe, da man das unwissende Volk auf alle Weise zu verführen sucht. Eins ist aber doch unangenehm, dass man in den preußischen Zeitungen nichts aus dem eigenen Lande liest. Da muss ich in einer fremden Zeitung eine Nachricht finden, die gerade für uns Preußen von der größten Wichtigkeit ist.«
Gisbertine schien nur halb oder gar nicht zugehört zu haben.
»Sie СКАЧАТЬ