Название: Visionen und andere phantastische Erzählungen
Автор: Iwan Sergejewitsch Turgenew
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066116897
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»Sag mir bitte, man sagt, daß eure Herrin angekommen sei?«
Lukjanytsch schwieg eine Weile.
»Ja, sie ist angekommen ...«
»Allein?«
»Mit der Schwester.«
»Hatten sie nicht gestern abend Besuch?«
»Nein.«
Mit diesen Worten zog er wieder die Pforte an sich.
»Warte, warte, mein Lieber ... einen Augenblick ...«
Lukjanytsch hüstelte und krümmte sich vor Kälte.
»Was wollen Sie denn eigentlich?«
»Sage mir bitte, wie alt ist deine Gnädige?«
Lukjanytsch sah mich mißtrauisch an.
»Wie alt die Gnädige ist? Ich weiß nicht. Sie wird wohl über die Vierzig sein.«
»Über die Vierzig! Und die Schwester?«
»Etwas jünger als vierzig.«
»Ist's möglich! Ist sie schön?«
»Wer? Die Schwester?«
»Ja, die Schwester.«
Lukjanytsch lächelte.
»Ich weiß nicht, das kommt auf den Geschmack an. Ich finde sie nicht schön.«
»Wieso?«
»Sie ist schon gar zu unansehnlich. Ein wenig kränklich.«
»So! Und ist außer den beiden niemand hergekommen?«
»Niemand. Wer sollte denn noch herkommen?«
»Es kann ja nicht sein!... Ich ...«
»Ach Herr! Sie werden mit Ihren Fragen wohl nie aufhören,« sagte der Alte geärgert. »Es ist auch zu kalt! Adieu!«
»Warte noch ... Da hast du was!...« Ich reichte ihm einen Viertelrubel, den ich für ihn vorbereitet hatte; meine Hand stieß aber an die Pforte, die er mir vor der Nase zuschlug. Das Silberstück fiel zu Boden und rollte mir vor die Füße.
– Du alter Schwindler! – sagte ich mir. – »Don Quixote von La Mancha! Man hat dir wohl befohlen, zu schweigen ... Warte nur, mich wirst du nicht anführen ...«
Ich gab mir das Wort, die Sache um jeden Preis aufzuklären. Etwa eine halbe Stunde ging ich noch unschlüssig auf und ab. Endlich beschloß ich, mich zunächst im Dorfe zu erkundigen, wem eigentlich das Gut gehöre und wer augenblicklich darin wohne; dann wollte ich wieder zurückkehren und nicht eher fortgehen, als bis ich die Sache aufgeklärt haben würde. – Die Unbekannte muß doch früher oder später das Haus verlassen, und da werde ich sie endlich bei Tageslicht als einen lebendigen Menschen und nicht als Gespenst sehen. – Bis zum Dorfe mochte es eine Werst sein, ich begab mich aber schnell und rüstig dorthin: in meinem Blute siedete es, ich war ungewöhnlich kühn und entschlossen; die frische Morgenluft wirkte auf mich nach der unruhigen Nacht stärkend und zugleich aufregend. Im Dorfe erfuhr ich von zwei Bauern, die gerade an ihre Feldarbeit gingen, alles, was ich überhaupt erfahren konnte: nämlich, daß das Gut ebenso wie das Dorf, in dem ich mich befand, Michailowskoje hieß, daß es der Majorswitwe Anna Fjodorowna Schlykowa gehöre, daß diese noch eine unverheiratete Schwester Pelageja Fjodorowna Badajewa habe, daß beide reich seien, auf ihrem Gute fast nie lebten, meistens herumreisten, daß sie bei sich außer zweien leibeigenen Dienstmädchen und einem Koch niemand hätten und daß Anna Fjodorowna in diesen Tagen mit ihrer Schwester aus Moskau angekommen sei; sonst sei aber niemand mitgekommen ... Dieser letztere Umstand machte mich etwas verdutzt: ich konnte ja nicht annehmen, daß auch der Bauer den Auftrag hatte, über die Unbekannte zu schweigen. Ebenso unmöglich war auch die Annahme, daß die fünfundvierzigjährige Witwe Anna Fjodorowna Schlykowa und jene reizende junge Frau, die ich gestern gesehen hatte, eine und dieselbe Person seien. Auch Pelageja Fjodorowna zeichnete sich, wie sie mir geschildert wurde, keineswegs durch Schönheit aus; beim bloßen Gedanken, daß die Frau, die ich in Sorrent gesehen hatte, den prosaischen Namen Pelageja und dazu noch Badajewa tragen sollte, zuckte ich die Achseln und lachte höhnisch. Und doch, dachte ich, habe ich sie erst gestern abend mit eigenen Augen in diesem Hause gesehen, ja, mit eigenen Augen! Geärgert, gereizt, doch in meiner Absicht noch mehr gefestigt, wollte ich sofort zum Gut zurückkehren; doch ich sah auf die Uhr: es war noch nicht sechs. Daher beschloß ich zu warten. Im geheimnisvollen Hause schlief wohl noch alles; wenn ich aber schon jetzt in der Gegend herumirren wollte, konnte ich leicht unnötigerweise Verdacht erwecken; auch stand ich gerade vor einem Gebüsch, und hinter diesem war ein Espengehölz zu sehen ... Ich muß zu meiner Ehre sagen, daß trotz der großen Erregung, in der ich mich befand, die edle Jagdleidenschaft in mir noch nicht völlig verstummt war. »Vielleicht stoße ich auf ein Nest,« sagte ich mir, »und so wird die Zeit schneller verstreichen.« Ich ging ins Gebüsch. Offen gesagt war ich recht zerstreut und beobachtete wenig die Regeln der Kunst: ich behielt nicht ständig meinen Hund im Auge, vergaß über manchem Strauch mit der Zunge zu schnalzen, damit daraus mit großem Lärm ein Auerhahn herausfliege, und sah jeden Augenblick auf die Uhr, was schon durchaus unerlaubt ist. Endlich zeigte die Uhr über acht. »Es ist Zeit!« sagte ich mir laut und wollte schon den Weg nach dem Landsitze einschlagen, als plötzlich kaum zwei Schritte vor mir im dichten Grase ein riesengroßer Auerhahn auftauchte; ich schoß auf den herrlichen Vogel und verwundete ihn am Flügel; er fiel beinahe um, überwand aber den Schmerz, schlug die Flügel und versuchte sich über die Espenwipfel zu erheben, doch die Kraft versagte ihm, und er fiel wie ein Stein ins Dickicht. Auf eine solche Jagdbeute zu verzichten, wäre doch ganz unverzeihlich gewesen; ich ging also ins Dickicht, gab meiner Hündin ein Zeichen, und nach einigen Augenblicken hörte ich ein verzweifeltes Flügelschlagen: der unglückliche Auerhahn war bereits unter den Tatzen meiner Diana. Ich hob ihn auf, steckte ihn in die Jagdtasche, sah mich um und – blieb wie angewurzelt stehen ...
Der Wald, in den ich geraten war, war so dicht, daß ich nur mit großer Mühe die Stelle erreichte, wo der Vogel hingefallen war; in nicht allzu großer Entfernung schlängelte sich durch den Wald ein Fahrweg, und auf diesem kamen gerade Seite an Seite und im Schritt meine Schöne und der Mann, der mich gestern eingeholt hatte, geritten; ich erkannte den Mann am Schnurrbart. Sie ritten langsam und schweigend und hielten einander an den Händen; die Pferde gingen im Schritt, schwankten träge von der einen Seite auf die andere und reckten die schönen Köpfe. Nachdem ich mich vom ersten Schreck – ja, es war ein Schreck: eine andere Bezeichnung kann ich für das Gefühl, das sich meiner plötzlich bemächtigte, gar nicht finden ... nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt hatte, heftete ich auf sie meinen trunkenen Blick. Wie schön sie war! Wie herrlich hob sich ihre schlanke Gestalt vom smaragdgrünen Hintergrund ab! Weiche Schatten, zarte Lichter huschten leise über ihr langes graues Reitkleid, über ihren feinen, leichtgebeugten Hals, über ihr zartes Gesicht, ihre glänzenden schwarzen Haare, die in üppigen Flechten unter dem niederen Hut hervorquollen. Wie soll ich aber jenen Ausdruck vollkommener, leidenschaftlicher, stummer Seligkeit schildern, den alle ihre Züge atmeten! Ihr Köpfchen schien von der Last dieser Seligkeit gebeugt; aus den dunklen, halbgeschlossenen Augen sprühten feuchtglänzende goldene Funken; sie blickten nirgends hin, diese seligen Augen, die feinen Brauen senkten sich über sie. Ein unbestimmtes kindliches Lächeln, das Lächeln grenzenloser Freude schwebte um ihre Lippen; der Überfluß von Glück hatte sie gleichsam ermüdet, sie schien beinahe gebrochen, ebenso СКАЧАТЬ