Название: Im Namen des Kindes
Автор: Martina Leibovici-Muhlberger
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783902862464
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Die Liebe natürlich, das weiß doch jedes Kind, wird die leicht genervte Antwort eines jeden auf diese unnötig anmutende Frage sein. Die Liebe als existenzbegründendes Ingrediens eines Paares steht außer Zweifel, ja bekleidet sogar den Status der Ausschließlichkeit, denn wer aus anderen Motiven denn der reinen Liebe eine Beziehung oder gar eine Ehe eingeht, gilt landläufig als moralisch äußerst zweifelhafter Charakter.
Diese Ideologie trägt heute den Wesenszug einer unantastbaren Kulturvariablen, ist tief in unserem gängigen Selbstverständnis verankert und wird mit allen Stilmitteln der Kunst von Hollywood bis Bollywood zum Teil bis in die Groteske hinein bedient.
So selbstverständlich, ja »natürlich« uns dieses auf der romantischen Anziehung zwischen zwei Menschen beruhende Konzept heute erscheint, so vergleichsweise neu ist es, betrachtet man den Gesamtzeitraum, seit unsere Spezies die Paarbildung erfunden hat.
Das will allerdings nicht sagen, dass Liebe zwischen Mann und Frau früher nicht existiert hätte, die Weltliteratur ist voll von berührenden wie tragischen Liebespaaren, deren Geschichten uns noch heute anzurühren wissen. Hier soll nur verdeutlicht werden, dass ursprünglich anderen Faktoren als der Liebe der Rang einer ursächlichen Begründung für eine dauerhafte Beziehung zwischen Mann und Frau zukam.
Geheiratet wurde lange Zeit, ausgehend vom festgesteckten gesellschaftlichen Segment, dem man durch die Geburt angehörte, nach Rang- und Positionsüberlegungen und wirtschaftlicher Günstigkeit. Geliebt wurde unter Umständen woanders.
Die Ehe war »Funktionsmittel« des Auftrags »wachset und vermehret euch«. Achtung und Respekt der Ehegatten voreinander, einhergehend mit einer klaren Rollenbefüllung und Rollenaufteilung, Ausdruck einer »positiven Betriebskultur« auf diesem Weg und Liebe zwischen den Eheleuten, waren zwar für den Alltag förderlich, aber nicht notwendig – und schon gar nicht ehebegründend. Aus Liebe allein zu heiraten, wäre absurd gewesen und hat, auch hiervon gibt die Weltliteratur eindrucksvoll Zeugnis ab, sofort besorgte Eltern und Abwehr auf den Plan gerufen. Für eine Welt, in der der Einzelne sein Selbstbild zum überwiegenden Teil aus der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und nicht in erster Linie aus sich selber schöpft, in der der Geburtsrang der jeweiligen Gesellschaftsschicht und zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer speziellen Handwerkerzunft Selbstgefühl und Identität des Menschen bestimmen und damit gleichzeitig den Lebensplan und alle darin enthaltenen Lebensoptionen festschreiben, ist dies auch durchwegs nachvollziehbar. Liebe als Ehebegründung wäre in diesem Gesellschaftsentwurf störend, ja könnte sogar gefährliche Unruhe und Aufmischung einer als »gottgewollten Ordnung« erlebten Gesellschaftskonstruktion bedeuten.
Dies ändert sich erst, als das Ich und damit eine mehr individualisierte Selbstwahrnehmung des Einzelnen in den Vordergrund zu treten vermag. Der einzelne Mensch beginnt sein Selbstbild und damit einen verbindlichen Verhaltenskodex zunehmend nicht mehr aus seiner Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht oder Berufsgruppenzugehörigkeit zu beziehen, sondern aus der eigenen Individualität. Das eigene Sein speist sich aus der Quelle der Ich-Wahrnehmung und die damit verbundenen Lebensentscheidungen werden nicht mehr im Spiegel vordefinierter, verbindlicher Verhaltensnormen von Bezugsgruppen getätigt, sondern finden Begründung im eigenen Wollen und im Spiegel der Selbstevaluation der persönlichen Möglichkeiten. Damit betritt auch die Liebe schön langsam, beginnend in intellektuellen Kreisen, in damals revolutionärer Form als allein beziehungsbegründend die Ehebühne. Das romantische Ideal greift um sich und hat bis heute ungebrochene Gültigkeit.
Aber wo stehen wir als Gesellschaft heute wirklich? Institutionen wie auch die Ehe müssen nüchtern betrachtet als gesellschaftliche Antworten auf spezifische Problemstellungen gesehen werden, wie das der bedeutende Soziologe Niklas Luhmann schon vor mehreren Jahrzehnten erstmals schlüssig ausgeführt hat.6 Die Ehe hat damit im strengen Sinn eine Transformation von einer wirtschaftlichen Besicherungseinheit (als Lösung für das wirtschaftliche Überleben des Einzelnen und Erhöhung des Aufzuchterfolgs für Nachkommen) hin zu einer die emotionalen Bedürfnisse der beiden Partner besichernden Einheit (emotionale Bestätigung durch ein sicher verfügbares Gegenüber) vollzogen.
Wie steht es heute, angesichts derartig hoher Scheidungsraten allerdings damit? Vermag die Ehe die in sie gesetzten Erwartungen noch zu erfüllen? Der Wunsch nach einer dauerhaften Verbindung, vertieft man sich zum Beispiel in die letzte Jugend-Wertestudie,7 findet sich auch bei der jungen Generation heute wieder. Ehe und Familie haben hohen Sehnsuchtswert.
Und dennoch hat sich einiges geändert. Hinterfragt man genauer, wie auch wir dies in einer von unserem Institut geleiteten Umfrage unter jungen Menschen gerade vergangenes Jahr wieder getan haben,8 so wird auffällig, dass zwar der Wunsch nach Ehe und Familie ungebrochen besteht, ja vielleicht als »Naturvariable« angesehen werden kann, dass aber der Glaube an eine Realisierung als dauerhaftes Beziehungsmodell deutliche Einbußen zu verzeichnen hat. Zu viel Enttäuschung des romantischen Ideals kursiert in der Umgebung und füllt die Seiten von Lebenstagebüchern.
Parallel und kontrovers wirkend zu dieser eher pessimistischen Sicht betreffend Dauerhaftigkeit des angestrebten Beziehungsmodells existiert eine fast traumhaft anmutende inhaltliche Befüllung des romantischen Ideals. Es mutet an, als wäre in einer zunehmend fragmentierten Welt, die dem Einzelnen zwar noch nie dagewesene Freiheit in der Entwicklung eines hochindividualisierten Selbstentwurfs zubilligt, ihm aber andererseits damit einhergehend auch die volle Wahlverantwortung für das Gelingen aufbürdet, die Zweierbeziehung der letzte, einzige Rückzugsort, an dem man Geborgenheit tanken und Selbstbestätigung über den Beziehungspartner bzw. die Beziehungspartnerin erlangen kann. Die das Paar verbindende Liebe schafft ein Erleben von persönlicher Totalität, einer eigenen, das individuelle Paar begründenden Realität, einer Insel im Meer von umgebender Unsicherheit.
Denn »nix is fix« in einer von pluralistischen Wertevorstellungen bevölkerten und von traditionellen Normen zunehmend entkleideten Gesellschaft. Der Einzelmensch als höchst individuelles Wesen muss sich ständig selbst definieren und begründen. Bezugsgruppen und Arbeitsplätze wechseln, ja sogar die eigene Stammfamilie bietet, oftmals bereits durch Scheidung in der Elterngeneration ihrerseits aufgesplittert und durch hohe Mobilitätsansprüche bisweilen auch unmittelbar schlecht erreichbar, kein stabiles Fundament mehr. Es scheint so, als wäre die Paarbeziehung der letzte Zufluchtsort für die Beglaubigung der eigenen Individualität.
Damit einhergehend ist jene inhaltliche Erwartungsüberfrachtung zu sehen, die mir auch dieses Jahr anlässlich eines Seminars mit jungen High Potentials zum Thema »Beziehungen der Zukunft«, das ich gemeinsam mit der deutschen Soziologieprofessorin Cornelia Koppetsch in Alpbach halten durfte, entgegenschlug.9 Partnerschaft soll heute nicht nur unsere wirtschaftlichen Interessen und Wünsche nach Sicherheit und Wohlstand erfüllen können, sondern auch unsere emotionalen nach Zuwendung, Geborgenheit, Treue, Verständnis, Freundschaft – und so weiter, denn der Katalog der Ansprüche ist lang.
Mit unserem Traumpartner bzw. unserer Traumpartnerin wollen wir täglich neuen aufregenden Sex und tolle Reisen erleben, und außerdem unsere Hobbys leben können; er bzw. sie soll in seinen bzw. ihren politischen Ansichten so ticken wie wir, von denselben Menschen fasziniert sein und sich für dieselben Filme begeistern wie wir. Außerdem natürlich gestylt und nicht zu weit vom Attraktivitätsideal entfernt sein, wenn man es sich aussuchen kann. Kurzum, er bzw. sie soll ein Gegenüber sein, das alle unsere Sehnsüchte und Wünsche zu erfüllen versteht und beständig, am besten 24 Stunden am Tag, mit einem strahlenden Lächeln bereit ist, allumfassende Liebe zu mir und meine Einzigartigkeit zu bestätigen; er bzw. sie soll mich also glücklich machen.
Bei näherer Betrachtung erweist sich dieses Konzept allerdings als sehr störanfällig, und abgesehen von der »Honeymoon Time« als wenig alltagstauglich. Da hilft es nicht, wenn mühselig Erspartes in überdimensionale, von »Wedding Plannern« zu Staatsempfängen hochstilisierte Hochzeitsfeste gesteckt wird, um den »schönsten Tag im Leben« zum unvergesslichen СКАЧАТЬ