Название: Gesammelte Werke
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026884484
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»Ein mexikanisches Messer, Fräulein«, antwortete er, indem er sich die trockenen Lippen anfeuchtete und sich räusperte. »Es war nur eine Schlägerei. Als ich ihm das Messer weggenommen hatte, versuchte er mir die Nase abzubeißen.«
So nüchtern er das sagte, stand doch vor seinem Auge das farbenprächtige Bild jener heißen, sternenklaren Nacht in Salina Cruz, der schmale weiße Strand, die Lichter der Zuckerdampfer im Hafen, die Stimmen der betrunkenen Seeleute in der Ferne, die fleißigen Güterpacker, die flammende Leidenschaft im Gesicht des Mexikaners, das Funkeln seiner Raubtieraugen im Sternenlicht, der Stich in den Hals, das hervorschießende Blut, die schreiende Menge, die beiden Körper – seiner und der des Mexikaners –, die, ineinander verschränkt, wütend über den Sand rollten, und weit in der Ferne das weiche Klimpern einer Gitarre. Das war das Bild, das er sah, und das ihn völlig in Anspruch nahm, während er darüber nachdachte, ob der Mann, der den Lotsenkutter an der Wand gemalt hatte, auch das wohl malen könnte. Der weiße Strand, die Sterne, die Lichter auf dem Zuckerdampfer müßten ein prachtvolles Bild ergeben, dachte er, und mitten auf dem Strand dazu die dunkle Gruppe, die die Kämpfenden umgab. Das Messer würde auch seinen Platz auf dem Bilde haben, entschied er, und es würde großartig aussehen, wie es im Sternenlicht funkelte. Aber von alledem wurde seine Erzählung nicht berührt. »Er versuchte, mir die Nase abzubeißen«, schloß er.
»Oh!« sagte das junge Mädchen mit leiser, ferner Stimme, und er bemerkte den erschrockenen Ausdruck in ihren beweglichen Zügen.
Er erschrak selbst, und eine schwache Röte der Verlegenheit stieg ihm in die sonnenverbrannten Wangen, aber er hatte das Gefühl, daß sie ebenso stark brannten, wie wenn er vor der offenen Heizungstür im Feuerungsraum gestanden hätte. Derartige schmutzige Dinge wie Messerstechereien waren offenbar kein Unterhaltungsgegenstand für eine Dame. In den Büchern sprachen Menschen ihres Standes nicht über derlei – wußten vielleicht gar nichts davon.
Eine kurze Pause trat in dem Gespräch ein, das sie gerade in Gang zu setzen versuchten. Dann fragte sie nach der Narbe an seiner Wange. Als sie fragte, merkte er, daß sie sich bemühte, so zu sprechen, wie er zu sprechen gewohnt war, und er beschloß, in ihrer Sprache zu antworten.
»Das war nur ein Unfall«, sagte er und legte die Hand an die Wange. »Eines Nachts, bei stillem Wetter und schwerer See, sprang die Großbaumtopnant und gleich darauf die Talje. Die Topnant war aus Stahldraht und fuhr wie eine Schlange hin und her. Die ganze Wache versuchte sie einzufangen, und ich kriegte beim Zupacken mächtig eins in die Fresse.«
»Oh!« sagte sie, diesmal in einem Ton, als hätte sie alles verstanden, obwohl seine Sprache das reine Griechisch für sie gewesen war und sie gern gewußt hätte, was eine Topnant war und was Fresse bedeutete.
»Dieser Mann, der Swineburne«, begann er mit einem Versuch, seinen Plan zur Ausführung zu bringen.
»Wer?«
»Swineburne,« sagte er mit derselben falschen Aussprache, »der Dichter.«
»Swinburne«, berichtigte sie.
»Ja, das meine ich auch«, stammelte er wieder mit heißen Wangen. »Wann ist er gestorben?«
»Wie bitte? Ich habe nie gehört, daß er tot ist!« Sie betrachtete ihn neugierig. »Wo haben Sie seine Bekanntschaft gemacht?«
»Ich habe ihn nie gesehen«, lautete die Antwort. »Aber ich habe einige von seinen Gedichten in dem Buch dort auf dem Tisch gelesen, ehe Sie hereinkamen. Wie finden Sie seine Gedichte?«
Und jetzt begann sie schnell und leicht über den Gegenstand zu sprechen, den er aufs Tapet gebracht hatte. Er fühlte sich wohler und setzte sich etwas mehr auf den Stuhl, stützte sich aber immer noch fest mit den Armen auf die Lehnen, als fürchtete er, daß er unter ihm hinwegschlüpfen würde. Es war ihm geglückt, sie zum Sprechen zu bringen. Und während sie drauflos redete, strengte er sich an, ihr zu folgen, verwundert über all das Wissen, das in dem reizenden Köpfchen steckte, und freute sich über die blasse Schönheit ihres Gesichts. Er folgte ihr auch, obwohl ihn unbekannte Worte, die leicht von ihren Lippen glitten, und kritische Bemerkungen und Gedanken störten, die ihm fremd waren, die aber doch seinen Geist reizten und entflammten. Hier war geistige Regsamkeit, dachte er, und hier war Schönheit, eine warme, wunderbare Schönheit, wie er sie sich nie hatte träumen lassen. Er vergaß sich und starrte sie mit gierigen Augen an. Hier war etwas, für das es sich lohnte zu leben, vorwärtszukommen, zu kämpfen – ja, und zu sterben. Die Bücher sprachen die Wahrheit. Es gab solche Frauen in der Welt. Sie war eine von ihnen. Sie verlieh seiner Phantasie Schwingen, und große leuchtende Bilder erschienen vor seinem Blick, undeutliche, riesige Bilder, die Liebe, Romantik und Heldentum um einer Frau willen darstellten – um einer bleichen Frau, einer goldenen Blume willen. Und hinter der zitternden schwingenden Vision sah er wie hinter einer Fata Morgana das lebendige Weib, das hier saß und von Literatur und Kunst sprach. Er hörte auch zu, aber er blickte sie dabei an, ohne sich bewußt zu sein, wie starr sein Blick war, und daß alles, was seine Natur an Männlichkeit besaß, ihm aus den Augen leuchtete. Sie aber, die wenig von der Welt der Männer wußte, weil sie ein Weib war, sie fühlte deutlich seine brennenden Augen. Sie war noch nie auf diese Weise angesehen worden, und es machte sie verlegen. Sie stockte und suchte nach Worten. Sie verlor den Faden ihrer Erklärungen. Er erschreckte sie, und doch wurde sie wieder von einer seltsamen Freude durchbebt, daß jemand sie auf diese Weise ansah. Ihre Erziehung warnte sie vor der Gefahr, die in dieser geheimnisvollen, seltsamen Lockung lag; aber ihre Instinkte klangen wie helle Fanfaren durch ihr ganzes Wesen und zwangen sie, die Hindernisse von Kaste und Stand zu nehmen und zu einem Wanderer aus einer anderen Welt zu gelangen, diesem linkischen jungen Burschen mit den zerrissenen Händen und dem roten Strich am Halse von dem ungewohnten Kragen, diesem Menschen, der, allzu offenkundig, von einem harten, strengen Dasein beschmutzt und angesteckt war. Sie war rein, und ihre Reinheit empörte sich dagegen; aber sie war Weib, und sie hatte gerade das Paradoxe der weiblichen Natur kennengelernt.
»Wie gesagt – ja, was sagte ich doch?« Sie unterbrach sich plötzlich und lachte heiter über ihre eigene Verlegenheit.
»Sie sagten, daß dieser Mann, der Swinburne, kein großer Dichter wurde, weil ... und weiter kamen Sie nicht, Fräulein«, half er ihr, während ihm schien, als ob er plötzlich hungrig würde und ein wundervolles leises Zittern ihm bei ihrem Lachen das Rückgrat entlang kroch. Wie Silber, dachte er, wie klingende, silberne Glocken, und im selben Augenblick, aber nur eine Sekunde lang, fühlte er sich in ein fernes Land versetzt, wo er unter rosa Kirschblüten saß, eine Zigarette rauchte und auf die Glocken der spitzen Pagode lauschte, die Gläubige mit Strohsandalen zur Andacht rief.
»Ja, danke«, sagte sie. »Das Höchste erreicht Swinburne nicht, weil er – nun ja, weil er unzart ist. Viele seiner Gedichte sollte man gar nicht lesen. Jede Zeile der wirklich großen Dichter ist von Schönheit erfüllt und wendet sich an alles, was erhaben und edel im Menschen ist. Von den Werken der großen Dichter könnte man nicht eine Zeile entbehren, ohne daß die Welt dadurch ärmer würde.«
»Ich fand es großartig,« sagte er zögernd, »das bißchen jedenfalls, das ich las. Ich hatte keine Ahnung, daß er so ein – ein Schurke war. Das wird wohl in seinen andern Büchern zum Vorschein kommen.«
»Viele Zeilen in dem Buch, das Sie gelesen haben, hätte er sich sparen können«, sagte sie, und ihre Stimme klang streng und lehrhaft.
»Die muß ich übersehen haben«, erklärte er. »Was ich las, war wirklich gut. Und es war so strahlend und schimmernd, es schien gerade in mich hinein und erleuchtete mich inwendig wie die Sonne oder ein Scheinwerfer. So wirkte es jedenfalls auf mich, aber ich verstehe ja nicht viel von Dichtkunst, СКАЧАТЬ