Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger
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Название: Die Ströme des Namenlos

Автор: Emma Waiblinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066113612

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СКАЧАТЬ ob solch unpassendem Gebaren verdutzte Tante Fischer herum und lächelte uns an, als habe sie uns schon lang nimmer gesehen. Am Abend aß sie mit uns zu Nacht; wir mußten ein weißes Tischtuch auflegen und sie trug den Brei in einer schönen bemalten Schüssel herein, wie es sonst nie geschah. Ich hatte auch den Eindruck, als wäre dies alles nicht bloß der Tante Fischer zu Ehren. Meine Mutter war nett und lieb, sie aß mit gutem Appetit und unser aller Stimmung war fast heiter. Dann kam die Nacht. Ich lag schlaflos in meinem Bett. Eine warme, dunkle Mailuft kam zu dem offenen Fenster herein, es war so weich und lau und einschläfernd. Ich spürte auch, wie der Margret Atemzüge regelmäßiger und tiefer wurden, das arme, liebe Ding! – Sie mußte viel mehr unter dem allem gelitten haben als ich, und ich war für sie eigentlich noch froher als für mich, daß es so gekommen war. Ich rief leise ihren Namen hinüber, aber es kam keine Antwort.

      Der Leichenbesorger, der sein Amt für heut versehen hatte, stolperte die Treppe hinab, ich hörte die Tante Fischer noch lange hin und her gehen und leise sprechen und endlich auch in ihre Gastkammer hinaufsteigen. Die Mutter schloß noch einen Fensterladen und riegelte die Haustür zu, dann wurde es still. –

      Auf einmal fiel mir etwas ein, das mich ungeheuer freute. Ich stand auf und sah zum Fenster hinaus. Da drüben war der Friedhof. Die Bäume gingen im Nachtwind hin und her, und ich mußte denken, wie schön das nun wäre, drüben zu sein in der lauen Luft, die mit dem Geruch des blauen Flieders getränkt war. Da schlüpfte ich in meinen Aermelschurz und stieg zum Fenster hinaus und vorsichtig an der Kammerz hinunter, ich tat zaghafte Schritte durch den dunkeln Garten und hob zitternd die Zaunlatte weg. Dann saß ich im nachtfeuchten Kirchhofgras, der Fliederbusch roch übers Mäuerlein und große Tränen liefen mir hinunter. Es ist, glaube ich, das letztemal gewesen, daß ich anhaltend geweint habe, und es scheint mir überhaupt, daß diese Nacht ein Abschluß, und wenn ich so sagen darf, wie eine Erlösung von meinen Kinderjahren war. Es war mir einfach, als könnte ich leichter atmen und sei ein böser Druck von mir weggewischt, daß erst jetzt das eigentliche Ich herauskäme. Ich trug noch eine Scheu und Scham, es zu zeigen, und wollte es mir selber noch nicht recht eingestehen, aber ich spürte, daß es da war, und fein und fröhlich werden konnte. Ich lief die schmalen Wege auf und ab und kostete die laue Seligkeit aus, die mich durchrann. Ich streichelte den Rosenzweig der Melitta und warf mich auf des Namenlos' Grab und küßte so in die feuchte, herbe Erde hinein, weil etwas in mir überlief, mit dem ich nicht wußte, wohin.

      »Ich hab dich so lieb, Namenlos; ach, es schlägt über mir zusammen und flutet mit mir fort. Du bist es nicht allein, Namenlos; es ist alles miteinander, weil es so schön ist, und ich weiß es selber nicht!«

      Es kam nicht so ganz, wie wir's uns vorstellten. Wohl war der Vater tot, und alle Unruhe und lärmende Aufregung still; aber der Druck hatte zu lang über uns gelastet, er konnte jetzt nicht so mit einem Male behoben sein.

      Ueberhaupt war das mit meiner Mutter seltsam. Sie war, ich glaube das mit Bestimmtheit annehmen zu können, ehe mein Vater in ihr Leben trat, ein lustiges und schönes, aber ganz ungebildetes Mädchen, das nicht viel über andere und noch weniger über sich selbst nachdachte.

      Dann kamen ihre Ehejahre, in denen sie innerlich reifte und wuchs, wie wohl selten ein Mensch in späteren Jahren noch, da die Seele sich den Eindrücken der jeweiligen Zeiten nimmer so anpassen kann. Es war plötzlich eine innere Kraft in ihr, die sich noch stählte an all den ungeheuren Anforderungen, die ihr zugemutet waren.

      Eine seltsame seelische Größe hob sie über sich selbst hinaus und hieß sie in schweren Stunden in einer plötzlichen Eingebung das Rechte tun. Sie muß sich in ihren leichtsinnigen Mädchenjahren, da sie umschwärmt und bewundert und geliebt wurde, einen guten, festen Stolz auf sich selber und eine unüberwindliche Lebensfreude erworben haben. Das und ein starker religiöser Halt halfen ihr, daß sie in allen Wettern und Nöten ihrer Ehe so steifnackig und jungfräulich stolz war und im Gemüt so unverwundbar gesund blieb.

      Da aber nun die Anforderungen an meine Mutter ruhiger und kleiner wurden, ließ die Spannung ihrer Kräfte langsam nach; sie fand in ihrer Hausarbeit und Sorge für uns genügende Aufgaben und Pflichten, die ihre Gedanken vollauf beschäftigten. Ich habe nun zwar nicht den Eindruck, als wäre irgend etwas, das meine Mutter in den Kreis ihrer Pflichten aufgenommen hat, zu kurz gekommen, als hätten wir etwa zu wenig Liebe und Sorgfalt von ihr genossen; aber es ist mir so, als sei damals das Beste in ihr unverbraucht verdorrt und die göttlichen Quellen in ihr versiegt, da man ihrer nimmer bedurfte.

      Und so war auch die prachtvolle, heitere Freundlichkeit von jenem Abend, die uns so froh und erwartungsvoll gemacht hatte, von kurzer Dauer und ging bei uns allen unter in einer stillen, unbehaglichen Zeit, da man sich mit dem guten Zustande noch nicht recht abfinden konnte.

      Auch waren wir ja durch den Tod unseres Vaters bitter arm geworden, was uns manchmal nicht wenig niederdrückte. Nur mit allen vereinten Kräften konnten wir uns über Wasser halten. Meine Mutter kaufte eine Strickmaschine und wir Mädchen mußten helfen mit Maschenauffassen und Zusammennähen. In den Schulen bekamen wir Freistellen, und dem Greiner streckte jemand Geld vor zum Studieren, weil er so ein ordentlicher, gescheiter Kerl war.

      Eine Zeitlang nach unseres Vaters Begräbnis ging meine Mutter daran, das Gelaß im Erdgeschoß, das ihm als Werkstatt gedient hatte, zu lüften und als Schlafstube für uns Kinder umzuräumen. Es war ein lichter, seliger Sommertag; das Gärtlein war in der Blüte; ein Baum mit frühen Birnen stand drin und das süße Obst hing reif und lockend in der Sonne; auf der Wiese blähten sich die roten Bettstücke, unsere Geiß sprang frei dazwischen umher und meckerte fröhlich in die Lüfte, dazu ging unaufhörlich ein weicher, säuselnder Wind, nicht warm, noch kühl, aber mit einer leise tönenden, seltsamen Schwingung und Bewegung. Es war uns allen ungemein wohl; pfeifend stand der Greiner am Brunnen und putzte die Fensterläden, indes wir Mädchen wie ein Schwarm Hummeln im Haus herumschafften; dazwischen ging lieb und lächelnd die Mutter ab und zu, sah nach dem Rechten und kochte Schwedenknöpfe zu Mittag.

      Des Vaters Stube war, da er nie erlaubt hatte, daß man gründlich darin putze, elend muffig und verräuchert; um uns zu beweisen, wie schwarz die Decke sei, zeichnete Margret, die oben auf der Leiter stand, mit dem Zeigefinger einen Ring hinein; sodann zog sie quer durch noch eine Ellipse – da war es ein Saturn. Und weil es so hübsch aussah, geriet sie in Begeisterung, und unversehens war da an der Decke ein ganzes Himmelszelt mit Kometen und Sternbildern und Sonne und Mond in der Mitte, die Sonne rundlich und lachend, der Sichelmond aber dürr, spitzig und wütig, so daß der Hannes bemerkte, er sehe dem Vater gleich. Da fingen wir an zu lachen, Margret schrieb der Eltern Namen unter die beiden großen Himmelslichter, und da uns die Mutter den Spaß nicht verdorben hat, ist noch heutigen Tages in unserer unteren Stube das damals entworfene Firmament an der Decke zu sehen; und wenn eines von uns aus der Fremde heimkommt und wieder einmal eine Nacht in der alten Schlafstube liegt, freut es ihn unmäßig.

      Merkwürdig, wie deutlich ich mich noch jenes sanft durchwehten Sommertages erinnern kann! Ich weiß sogar noch, daß wir eine Drahtseilbahn vom Dachstock herab errichteten, daran wir Betten, kleine Möbelstücke und sonstiges Geräte in die neue Stube herunterließen; unter infernalischem Jubelgeheul schwebte zum Schlusse in einsamer Größe der irdene Pottschamber nieder. Wir wurden immer wilder, und gegen Abend stiegen Lust und Geschrei und Uebermut derart, daß uns die Mutter zur Abkühlung ein Bad im Brunnen riet. Meine Geschwister waren flinker als ich; bis ich die Röcke und mein Hemdlein herunter hatte, saßen sie schon alle im Wasser, und es gab keinen Platz mehr für mich.

      Es war aber an der Seite unseres Brunnens ein geräumiges, steinernes Tröglein, in das das Wasser ablief und aus dem die Hunde soffen, weshalb es bei uns der Hundsgumpen hieß, da setzte ich mich hinein. Das Wasser war wonnig kühl an meinem heißen Leib; hie und da lief von dem Toben der Geschwister der Brunnenrand über, und ein klarer Schwall flutete mir über Schultern und Rücken; das konnte ich mächtig gut leiden; ich hielt ganz still und wartete auf eine neue Woge. Dazu war der sonderbare Wind nun stärker geworden, und von einer ganz leisen, abendlichen Kühle; СКАЧАТЬ