Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger
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Название: Die Ströme des Namenlos

Автор: Emma Waiblinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066113612

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СКАЧАТЬ ein aufkeimendes Interesse für mich hatte, mein Herz schlug ganz schnell und ich wußte, die Gelegenheit dauerte nicht lange, dann kamen wieder die andern und verdrängten mich. Und ich prahlte mit den paar Worten französisch, die meine Mutter in dem Haus, wo sie gedient hatte, aufgeschnappt hat. Und ich log und wurde nicht einmal rot dabei, und log immer ärger, je mehr ich sah, daß die Gräther daraufhin nett zu mir war.

      »Meine Mutter ist überhaupt Lehrerin gewesen, ehe sie meinen Vater geheiratet hat und ich werde auch Lehrerin, ich könnte alles grad so gut wie Aufsatz, wenn ich nur wollte!«

      Die Gräther setzte sich auf eine Bank und ich mich neben sie und hatte eine elende Freude, sie so plötzlich gewonnen zu haben und schwätzte immerfort, bis die Emilie Maier, ihre Vertraute, gelaufen kam und sie von der Bank herunterzog, bei ihr einhakte und verwundert auf mich sah. Die Gräther aber schaute mich noch einmal freundlich an und sagte: »Morgen in der Freistunde kannst du an der unteren Treppe auf mich warten; du mußt mir dann noch mehr von dir sagen!«

      Ich war so vergnügt und munter an jenem Nachmittag wie noch nie. Und am Abend rutschte ich ganz leis in Margret's Bett hinüber: »Du, Margretle, kennst du die Gräther in unserer Klasse?«

      »Ja,« nickte sie. »Warum?«

      »Sie hat heut ein weißes Kleid angehabt, und morgen lauf ich mit ihr in der Freistunde herum; dann weißt du's gleich, wenn du uns siehst!«

      Am Morgen lief ich die Schultreppe hinauf, und wollte eben zum letzten Stufenabsatz umbiegen, da hörte ich oben die Stimme der Emilie Maier.

      »Du, Elsbeth, die Flaig hat dich gestern elend angelogen. Ich hab's gleich nicht geglaubt und heut morgen meine Mutter gefragt, die kennt die Flaig's ganz genau. Die Frau ist bloß Dienstmagd gewesen bei dem Kaufmann Plieninger, und er war schon im Narrenhaus und die Kinder haben's sicher von ihm geerbt, hat meine Mutter gesagt; das sei immer so. Ich soll nur nie mit der Flaig gehen; sie ist auch so wüst angezogen. Und wenn man so lügt! –«

      Es wurde mir schwindelig, und ich mußte mich fest am Treppengeländer halten. Ich hatte die Empfindung, als fiele ich von irgendwo herunter in eine große Leere und wüßte gar nicht wohin. Endlich ging ich in die Schulstube hinein, setzte mich leise in meine Bank und sah vor mich hin die ganze erste Stunde.

      Da rief der Lehrer die Elsbeth auf. Und wie so der Name Gräther durch das Zimmer tönte, war mir, als schwinge alles mit, wie die Luft um eine große Glocke herum; ich sah auf und die Elsbeth groß und fein dastehen. Die Sonne schien zum Fenster herein, und mitten in den Strahlen war der Kopf mit dem bräunlichen, schönen Gesicht und dem dunkeln Haar.

      Da hätte ich aufschreien mögen vor Liebe und Schmerz; ich spürte, wie mir alles Blut ins Gesicht stieg; ich krampfte die Hände unter der Bank zusammen und wehrte mich gegen das arge Würgen, das mir heraufstieg. Ich fühlte, jetzt kann ich mich nicht mehr beherrschen, ich stehe auf und sage, es sei mir nicht wohl, – ob ich nicht heim dürfe – oder ich weine – jetzt –

      Da läutete die Glocke zum Vesper und alle gingen in den Hof hinunter; und in der plötzlichen verzweifelten Hoffnung, die Maier könne das vorhin vielleicht auch zu jemand anderem gesagt haben, stellte ich mich an die untere Treppe. Da kam meine Elsbeth herunter, mit der Maier Arm in Arm, und wie sie bei mir war, drehte sie den Kopf mit einer seltsam stolzen Bewegung ein wenig nach mir, streifte mich mit einem kühlen, fremden Blick, wie eine vornehme Dame einen ansieht und ging vorbei.

      Da hatte ich die Freistunde, auf die ich mich so gefreut hatte, und konnte wieder auf dem Hof ins Eck stehen und zusehen, wie sie mit den andern lachte, und es war noch ärger als vorher.

      Margret fragte mich später: »Du, ich hab dich aber nicht mit der Gräther gesehen!«

      »O, das ist ein hochmütiges Ding, ich will nichts von ihr!« sagte ich, aber große Tränen liefen mir übers Gesicht.

      Ich kam im nächsten halben Jahr in der Schule ziemlich vorwärts; ich wollte mich vor der Gräther nicht noch einmal schämen, und wenn ich so von hinten her zwischen zwei Mitschülerinnen durch ihren lieben, feinen Kopf sah, war es mir ein heißer Ansporn. Auch war es zu Haus mit dem Vater schlimmer als je. Wir Kinder brauchten die Schule und die Schularbeiten nötig, um unsere Gedanken auszufüllen; wir spürten ohnedies damals schon genug, was Nerven seien, weil wir in der Nacht so wenig Ruhe hatten.

      Da hatten wir einmal den Buben ein Spiel abgeguckt, das uns absonderlich schön vorkam. Es war so, daß alle die für besiegt galten, die vom Gegner auf den Boden geworfen waren, und es ging greulich wild her dabei. Nun spielten wir's in der Freistunde. Wir waren zwei Parteien; die Elsbeth Gräther bei einer, ich bei der andern. Das Spiel war sehr lustig; eine ganze Reihe lagen schon besiegt auf dem Boden und sahen gemütlich und lachend dem tollen Ringen zu. Ich rannte gegen den Feind; da packten mich zwei Arme, ich sah die Augen der Gräther einen Moment fröhlich blitzend über mir und wurde ohne Kampf mit einem prächtigen Schwung auf den Boden geschmissen. Ein scharfer Schmerz ließ mich aufschreien, aber in dem allgemeinen Geschrei hörte das niemand. Ich war in einen spitzigen Stein gefallen und hatte eine Wunde am Hinterkopf, aus der Blut über meine Achsel lief. Ich drückte mein Sacktuch darauf und schloß die Augen und blieb still liegen.

      Ich lachte in einem leisen Hohn. »So, du vornehmes Fräulein, du ehrenkäsige Prinzessin du, jetzt hast du mir ein Loch in den Kopf geschmissen. – Geschieht dir grad recht, jetzt sind wir wieder gleich. Ich habe dich angelogen – und du bist schuld an dem Blut, das mir herunterläuft. Komm du nur auch einmal in eine Verlegenheit, du heilige Unschuld. Mein Unrecht und meine Verlogenheit kamen aus Elend und Schmerzen heraus; ich sprach in heißer Angst und Sehnsucht um dich. Pfui Teufel, wer wird so lügen! Ja freilich. Und du kommst im hellen Hurra mit deiner Lausbubenkraft und gibst mir einen Boxer, daß ich mich blutig schlage. Es ist grad recht so; fein ist das.«

      Ich spürte die Schmerzen mit einem grimmigen Behagen, und eine leise Seligkeit lief mir über den Leib.

      Das Spiel war aus und man rief, ich solle aufstehen. Aber in einer plötzlichen Müdigkeit und Schwäche blieb ich liegen.

      »Jetzt kommt's; geschieht dir grad recht,« dachte ich noch einmal. Die Mädchen standen ratlos und aufgeregt um mich herum, und man holte die Lehrerin.

      Sie beugte sich über mich, und als eine sagte, die Elsbeth habe mich hingeworfen, rief sie laut nach ihr.

      Richtig, da kam die Gräther herüber, und als ich ihre Stimme hörte, schlug ich die Augen auf. Sie war so schön mit roten Backen vom Spiel und mit den blitzenden, blauen Augen. Der schwarze Zopf hing ihr über die Schulter nach vorn herein, und wie ich sie so hübsch und begehrenswert sah, versank mein stacheliges Gefühl von vorhin, und in einem jähen Schmerz und in Traurigkeit fing ich an zu weinen.

      Die Elsbeth war heillos bestürzt.

      »Ja, freilich, ich habe sie hingeworfen. Wir haben so ein Spiel gemacht, wo man das mußte. Sie muß aber in etwas hineingefallen sein, so arg war der Fall nicht. Ach, das ist mir schrecklich arg!«

      Und dann stand sie ganz still da, und wußte sich nicht zu helfen.

      Die Lehrerin schob ihren Arm unter meinen Kopf und richtete mich auf.

      »Hast du weit heim?« fragte sie.

      Ich nickte. »Eine halbe Stunde die Steige hinauf!«

      »Wenn dich die Gräther führt, kannst du so weit gehen?«

      »Ich glaube, ja,« sagte ich.

      Da band sie mir ihr Taschentuch und das der Elsbeth um den Kopf, СКАЧАТЬ