Название: Die Technik des Dramas
Автор: Gustav Freytag
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066113346
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Wenn aus diesem Grunde schon die Griechen ihre Dramen in einfache und in solche mit Doppelhandlung theilten, so haben die modernen Stücke die Erweiterung des Gegen- oder Nebenspiels zu einer Nebenhandlung noch weniger vermieden. Die Einflechtung derselben in die Haupthandlung geschah allerdings zuweilen auf Kosten der Gesammtwirkung. Die Germanen namentlich, welche immer geneigt sein werden, während der Arbeit auch die Bedeutung der Nebenpersonen mit herzlicher Wärme zu fassen, mögen sich vor einer zu weiten Ausdehnung der Nebenhandlung hüten. Schon Shakespeare hat sich einigemal dadurch die Wirkung des Dramas beeinträchtigt, am auffälligsten im Lear, in welchem die ganze Parallelhandlung des Hauses Gloster, nur lose mit der Haupthandlung verbunden und ohne besondere Liebe behandelt, den Fortschritt aufhält, das Ganze ohne Noth herber macht. Daß dem Dichter in den beiden Dramen Heinrich IV. die Episoden zu einer Nebenhandlung heraufwuchsen, deren unsterblicher Humor die ernsten Wirkungen des Stückes überglänzt, macht diese Dramen allerdings zu Lieblingen des Lesers. Daß aber die Gesammtwirkung auf der Bühne trotz dieses Zaubers nicht die entsprechende Gewalt hat, soll jeder Bewunderer Falstaff's zugeben. Nur nebenbei sei bemerkt, daß in den Komödien Shakespeare's die Doppelhandlung zum Wesen gehört, er suchte seinen Clowns das Episodische zu nehmen, indem er sie mit einer ernstern Handlung verflocht. Die gute Laune, welche aus ihren Scenen strahlt, muß zuweilen Härten des Stoffes verdecken; so muß z. B. die Bürgerwache über das peinliche Geschick der Hero weghelfen. Unter den deutschen Dichtern war Schiller am meisten in Gefahr, durch Doppelhandlungen sich zu stören; das zu mächtige Heraufwachsen der Nebenhandlung beruht im Carlos und in der Maria Stuart darauf, daß seine Wärme für den Gegenspieler zu groß wird, im Wallenstein hat derselbe Grund das Stück bis zur Trilogie erweitert. Im Tell laufen sogar drei Handlungen neben einander.[5]
Die Handlung hat die Aufgabe, uns den innern Zusammenhang einer Begebenheit darzustellen, wie er den Bedürfnissen des Verstandes und Herzens entspricht; was in dem rohen Stoffe nicht dazu dient, wird der Dichter wegzuwerfen verpflichtet sein. Und es ist wünschenswerth, daß er streng an diesem Grundsatze halte, nur das für die Einheit Unentbehrliche zu geben. Aber eine Abweichung davon wird er doch nicht vermeiden. Denn ihm werden nicht selten Abschweifungen wünschenswerth, welche die Farbe des Stückes in zweckmäßiger Weise verstärken, den Charakteren tiefern Inhalt verleihen, durch Eintragen einer neuen Farbe oder eines Gegensatzes die Gesammtwirkung steigern. Diese schmückenden Zuthaten des Dichters heißen Episoden. Sie sind sehr verschiedener Art. Ein charakterisirendes Moment kann an einer Stelle, wo die Handlung eine kurze Ruhe erträgt, zu einem kleinen Situationsbilde erweitert werden, einem Helden kann Gelegenheit werden, den bedeutungsvollen Grundzug seines Wesens an einer Nebenperson anziehend darzulegen, eine Nebenrolle des Stückes kann durch reichere Ausführung zu einer anziehenden Figur erweitert werden. Bei bescheidener Verwendung, welche nicht Wichtigerem die Zeit wegnimmt, mögen sie ein Schmuck des Dramas werden. Und als Schmuckstücke hat sie der Dichter zu behandeln, durch feine Ausführung, saubere Arbeit dafür zu entschädigen, wenn sie doch einmal den Fortschritt verzögern. Die Episoden haben nach den Theilen des Dramas, in welchen sie erscheinen, verschiedene Aufgaben. Während sie im Anfange in die Rollen der Hauptpersonen eintreten, diese in ihrer Eigenart zu zeichnen, werden sie in dem letzten Theil als Erweiterungen derjenigen neuen Rollen geduldet, welche dem Forttreiben der Handlung eine kleine Hilfe gewähren, an jeder Stelle aber sollen sie als vortheilhafte Zuthat empfunden werden.
Die Griechen faßten das Wort in etwas weiterer Bedeutung.[6] Was in den Dramen des Sophokles den Zeitgenossen Episode hieß, werden wir nicht mehr so nennen. Denn die geniale Kunst dieses großen Meisters besteht unter Anderm darin, daß er die schmückenden Zuthaten sehr innig seiner Handlung verflicht, zumeist um die Charaktere der Haupthelden durch Gegensätze in ein scharfes Licht zu setzen. So ist außer der unten erwähnten Scene der Ismene auch die Chrysothemis in der Elektra nach unserer Empfindung für die Hauptheldin unentbehrlich, und nicht mehr Episode, sondern Theil der Handlung. Auch wo er eine Situation breiter ausmalt, wie im Anfange des Oedipus von Kolonos, entspricht solche Schilderung durchaus den Gewohnheiten unserer Bühnen. Fast ebenso steht Shakespeare zu seinen Episoden. Auch in denjenigen ernsten Dramen Shakespeare's, welche kunstvolleren Bau haben, sind fast in jedem Akte theils ausgeweitete Scenen, theils ganze Rollen von episodischer Ausführung; aber es ist soviel Schönes und daneben soviel für die Gesammtwirkung Zweckmäßiges hineingebannt, daß der strengste Regisseur unserer Bühne, der in der Nothwendigkeit ist, an den Dramen zu kürzen, gerade diese Stellen fast niemals hinwegwischen wird. Mercutio mit seiner Fee Mab und die Scherze der Amme, die Unterhandlung Hamlet's mit den Schauspielern und Hofleuten, sowie die Totengräberscene sind Beispiele, wie sie fast in allen Stücken wiederkehren. Fast überreichlich und mit scheinbarer Sorglosigkeit befestigt der große Künstler seine goldenen Zieraten an alle Theile des Stückes; wer aber daran geht, sie abzulösen, der findet sie eisenfest in das Gefüge des Ganzen eingewachsen. Von den Deutschen hat Lessing seine Episoden dem sorgfältigen Bau der Stücke mit einer ehrbaren Regelmäßigkeit eingefügt, nach eigener Methode, die auf seine Nachfolger übergegangen ist. Seine Episoden sind kleine Charakterrollen. Der Maler und die Gräfin Orsina in Emilia Galotti (die letzte das bessere Vorbild der Lady Milford), Riccault in Minna von Barnhelm, ja auch der Derwisch im Nathan wurden Muster für die deutschen Episoden des achtzehnten Jahrhunderts. Goethe hat sie in seinen regelmäßigen Dramen, Clavigo, Tasso, Iphigenie, nicht verwerthet. Bei Schiller dagegen drängen sie sich überreich in jeder Form als Schilderungen, ausgeführte Situationen, als Nebencharaktere in die gefügte Handlung. Häufig sind auch sie durch besondere Schönheit gerechtfertigt, kluge Hilfsmittel für die hohe, langwellige Bewegung. Aber nicht immer. Denn einzelne derselben könnten wir gern missen, den Parricida im Tell, gerade weil bei ihm die verständige Absicht so auffällig wird, den schwarzen Ritter in der Jungfrau, nicht selten die ausgesponnenen Betrachtungen und Schilderungen in seinen Dialogscenen.
4.
Wahrscheinlichkeit der Handlung.
Die Handlung des ernsten Dramas soll wahrscheinlich sein.
Die poetische Wahrheit wird einem der Wirklichkeit entnommenen Stoff dadurch zu Theil, daß derselbe, dem zufälligen Zusammenhange enthoben, einen allgemeinverständlichen Inhalt und Bedeutung erhält. In der dramatischen Poesie wird dies Umwandeln der Wirklichkeit in poetische Wahrheit dadurch hervorgebracht, daß die Hauptsachen durch eine ursächliche Verbindung zu innerer Einheit verbunden und alle Nebenerfindungen als wahrscheinliche und glaubliche Momente der dargestellten Begebenheiten begriffen werden. Aber nicht diese poetische Wahrheit allein ist im Drama nöthig. Der Genießende gibt sich zwar der Erfindung des Dichters willig hin, er läßt sich Voraussetzungen eines Stückes gern gefallen und ist im Ganzen sehr geneigt, dem erfundenen menschlichen Zusammenhang in der Welt des schönen Scheins beizustimmen; aber er vermag doch nicht ganz die Wirklichkeit zu vergessen, er hält an das poetische Gebilde, welches reizvoll vor ihm aufsteigt, das Bild der wirklichen Welt, in der er selbst athmet. Er bringt eine gewisse Kenntniß geschichtlicher Verhältnisse, bestimmte ethische und sittliche Forderungen an das Menschenleben, Ahnungen und sicheres Wissen über den Lauf der Welt mit vor die Bühne. Es ist ihm bis zu gewissem Grade unmöglich auf diesen Inhalt seines eigenen Lebens zu verzichten, zuweilen empfindet er lebhaft, wenn das poetische Bild damit in Widerspruch tritt. Daß Seeschiffe am Ufer von Böhmen landen, daß Karl der Große mit Kanonen schießt, erscheint unsern Zuschauern als eine Unrichtigkeit.
Daß dem Juden Shylock Gnade versprochen wird, wenn er ein Christ werde, verstößt gegen die sittlichen Empfindungen des Zuschauers, und er ist vielleicht nicht geneigt zuzugeben, daß ein gerechter Richter so geurtheilt habe. Daß Thoas, der so gebildet und würdig um die Priesterin Iphigenie wirbt, in seinem Lande Menschenopfer duldet, erscheint als ein innerer Widerspruch zwischen dem edlen Inhalt der Charaktere und den Voraussetzungen des Stückes und vermag vielleicht, wie klug der Dichter diesen vernunftwidrigen Bestandtheil verdeckt, die Wirkung zu beeinträchtigen. Daß СКАЧАТЬ