Название: Gesammelte Werke
Автор: Odon von Horvath
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027226528
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Und dann sprach sie noch über die gelungene Grundsteinlegung zum Deutschen Museum in Anwesenheit des Reichspräsidenten von Hindenburg, über eine große vaterländische Heimatkundgebung in Nürnberg und über den Katholikentag in Breslau und Eugen dachte: »Vielleicht verwechselt sie mich, es heißen ja auch andere Leut Reithofer und vielleicht sieht mir so ein anderer Reithofer zum verwechseln ähnlich.«
So wurde es immer später und plötzlich bemerkte Eugen, daß Margarethe Swoboda schielt. Zwar nur etwas, aber es fiel ihm trotzdem ein Kollege ein, mit dem er vor dem Krieg in Preßburg im Restaurant Klein gearbeitet hatte. Das ist ein freundlicher Mensch gewesen, ein großes Kind. Knapp vor dem Weltkrieg hatte dieser Kollege geheiratet und zu Eugen gesagt: »Glaub es mir, lieber Reithofer, meine Frau schielt, zwar nur etwas, aber sie hat ein gutes Herz.« Dann ist er in Montenegro gefallen. Er hieß Karl Swoboda.
»Als mein Mann in Montenegro fiel«, sagte Margarethe Swoboda, »da hab ich viel an Sie gedacht, Herr Reithofer. Ich hab mir gedacht, ist er jetzt vielleicht auch gefallen, der arme Reithofer? Ich freu mich nur, daß Sie nicht gefallen sind. Erinnern Sie sich noch an meine Krapfen, Herr Reithofer?«
Jetzt erinnerte sich Eugen auch an ihre Krapfen. Nämlich er hatte mal den Karl Swoboda zum Pferderennen abgeholt und da hatte ihm jener seine Frau vorgestellt und er hatte ihre selbstgebackenen Krapfen gelobt. Er sah es noch jetzt, daß die beiden Betten nicht zueinander paßten, denn das eine war weiß und das andere braun – und nach dem Pferderennen ist der Karl Swoboda sehr melancholisch gewesen, weil er für fünf Gulden verspielt hatte, und hatte traurig zu Eugen gesagt: »Glaub es mir, lieber Reithofer, wenn ich sie nicht geheiratet hätt, wär sie noch ganz verkommen, auf Ehr und Seligkeit!«
»Sie haben meine Krapfen sehr gelobt, Herr Reithofer«, sagte Karl Swobodas Witwe.
53
Als Eugen an die beiden Betten in Preßburg dachte, die nicht zueinander paßten, näherte sich ihm die Großmama. Wenn Großmama nichts zu tun hatte, stand sie am Büffet und beobachtete die Menschen. So hatte sie auch bemerkt, daß das »Gretchen« mit Eugen sympathisierte, weil sie sich gar nicht so benahm, wie sie sich Herren gegenüber benehmen mußte. Sie sprach ja mit Eugen, wie mit ihrem großen Bruder und solch große Brüder schätzte die Großmama und setzte sich also an Eugens Tisch.
Das Gretchen erzählte gerade, daß im Weltkrieg viele junge Männer gefallen sind und daß nach dem Weltkrieg sie selbst jeden Halt verloren hat, worauf die Großmama meinte, für Offiziere sei es schon sehr arg, wenn ein Krieg verloren geht. So hätten sich nach dem Krieg viele Offiziere total versoffen, besonders in Augsburg. Dort hätte sie mal in einer großen Herrentoilette gedient und da hätte ein Kolonialoffizier verkehrt, der alle seine exotischen Geweihe für ein Faß Bier verkauft hätte. Und ein Fliegeroffizier hätte gleich einen ganzen Propeller für ein halbes Dutzend Eierkognaks eingetauscht und dieser Fliegeroffizier sei so versoffen gewesen, daß er statt mit »Guten Tag!« mit »Prost!« gegrüßt hat.
Eugen meinte, der Weltkrieg habe freilich keine guten Früchte getragen und für Offiziere wäre es freilich besser, wenn ein Krieg gewonnen würde, aber obwohl er kein Offizier sei, wäre es für ihn auch schon sehr arg, wenn ein Krieg verloren würde, obwohl er natürlich überzeugt sei, daß wenn wir den Weltkrieg gewonnen hätten, daß er auch dann unter derselben allgemeinen wirtschaftlichen Depression zu leiden hätte. So sei er jetzt schon wieder mal seit zwei Monaten arbeitslos und es bestünde schon nicht die geringste Aussicht, daß es besser werden wird. Hier mischte sich der Pianist ins Gespräch, der sich auch an den Tisch gesetzt hatte, weil er sehr neugierig war. Er meinte, wenn Eugen kein Mann, sondern eine Frau und kein Kellner, sondern eine Schneiderin wäre, so hätte er für diese Schneiderin sofort eine Stelle. Er kenne nämlich einen großen Schneidergeschäftsinhaber in Ulm an der Donau und das wäre ein Vorkriegskommerzienrat, aber Eugen dürfte halt auch keine Österreicherin sein, denn der Kommerzienrat sei selbst Österreicher und deshalb engagiere er nur sehr ungern Österreicher. Aber ihm zu Liebe würde dieser Kommerzienrat vielleicht auch eine Österreicherin engagieren, denn er habe nämlich eine gewisse Macht über den Kommerzienrat, da seine Tochter auch Schneiderin gewesen wäre, jedoch hätte sie vor fünf Jahren ein Kind von jenem Kommerzienrat bekommen und von diesem Kind dürfe die Frau Kommerzienrat natürlich nichts wissen. Die Tochter wohne sehr nett in Neu-Ulm, um sich ganz der Erziehung ihres Kindes widmen zu können, da der Kommerzienrat ein selten anständiger Österreicher sei. Er spreche perfekt deutsch, englisch, französisch, italienisch und rumänisch. Auch etwas slowakisch, tschechisch, serbisch, kroatisch und verstehe ungarisch und türkisch. Aber türkisch könne jener Kommerzienrat weder lesen noch schreiben.
Der Pianist war sehr geschwätzig und wiederholte sich gerne. So debattierte er jeden Tag mit der Großmama und kannte keine Grenzen. Er erzählte ihr, daß seinerzeit jener Höhlenmensch, der als erster den ersten Ochsen an die Höhlenwand gezeichnet hatte, von allen anderen Menschen als großer Zauberer angebetet worden ist und so müßte auch heute noch jeder Künstler angebetet werden, auch die Pianisten. Dann stritt er sich mit der Großmama, ob die Fünfpfennigmarke Schiller oder Goethe heißt, worauf die Großmama jeden Tag erwiderte, auf alle Fälle sei die Vierzigpfennigmarke jener große Philosoph, der die Vernunft schlecht kritisiert hätte und die Fünfzigpfennigmarke sei ein Genie, das die Menschheit erhabenen Zielen zuführen wollte und sie könne es sich schon gar nicht vorstellen, wie so etwas angefangen würde, worauf der Pianist meinte, aller Anfang sei schwer und er fügte noch hinzu, daß die Dreißigpfennigmarke das Zeitalter des Individualbewußtseins eingeführt hätte. Dann schwieg die Großmama und dachte, der Pianist sollte doch lieber einen schönen alten Walzer spielen.
54
Als der Pianist sagte, daß er für Eugen sofort eine Stelle hätte, wenn – da dachte Eugen an Agnes. Er sagte sich, das wäre ja eine Stelle für das Mistvieh, das er gestern in der Thalkirchner Straße angesprochen und das ihn heute in der Schleißheimerstraße versetzt habe. Gestern hätte sie ihm ja erzählt, daß sie Schneiderin wäre und bereits seit fünf Monaten keine Stelle finden könnte. Heute könnte er ihr ja sofort eine Stelle verschaffen, es würde ihm vielleicht nur ein Wort kosten, als wäre er der Kaiser von China, den es zwar auch bereits nicht mehr geben würde. Gestern auf dem Oberwiesenfeld hätte er es nicht geglaubt, daß er heute versetzt wird. »Sie ist halt ein Mistvieh«, sagte er sich und fügte hinzu: »Wahrscheinlich ist auch der Pianist ein Mistvieh!«
Und Eugen warf mit den Mistviehern nur so um sich, alles und jedes wurde zum Mistvieh, die Swoboda, die Großmama, der Tisch, der Hut, das Bier und das Bierglas – – wie das eben so manchmal geschieht.
»Aber es ist doch schön von dem Pianistenmistvieh, daß er mir helfen möcht«, fiel es ihm plötzlich auf. »Er weiß doch gar nicht, ob ich am End nicht auch ein Mistvieh bin. Ich bin doch auch eins, ich hab ja auch schon Mistvieher versetzt.«
»Überhaupt sollten sich die Mistvieher mehr helfen«, dachte er weiter. »Wenn sich alle Mistvieher helfen täten, ging es jedem Mistvieh besser. Es ist doch direkt unanständig, wenn man einem Mistvieh nicht helfen tat, obwohl man könnt, bloß weil es ein Mistvieh ist.«
Und dann fiel es ihm auch noch auf, daß es sozusagen ein angenehmes Gefühl ist, wenn man sich gewissermaßen selbst bestätigen kann, daß man einem Mistvieh geholfen hat. Ungefähr so:
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