Unsichtbare Bande: Erzählungen. Lagerlöf Selma
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Название: Unsichtbare Bande: Erzählungen

Автор: Lagerlöf Selma

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ und feinfühliger Mann! Sie sank zurück, schloß die Augen wieder und dachte nach. Sie brauchte es ihm nicht zu sagen. Es wunderte sie selbst, welch große Erleichterung es ihr gewährte, ihn nicht betrüben zu müssen.

      „Ich bin so froh, daß Sie sich die Rachegedanken aus dem Kopfe geschlagen haben, Peter Nord,“ begann sie freundlich. „Gerade darum wollte ich Sie bitten. Jetzt kann ich ruhig sterben.“

      Sie rang nach Atem. Sie war nicht unfreundlich. Sie sah nicht aus, als hätte sie sich in ihm getäuscht. Sie mußte ihn doch sehr lieb haben, wenn sie alle diese Feigheit entschuldigen konnte. – Denn wenn sie sagte, daß sie ihn hergerufen habe, um ihn zu bitten, von seinen Racheplänen abzustehen, geschah dies wohl nur aus Schüchternheit, um ihm nicht den wirklichen Grund des Rufes gestehen zu müssen. Darin hatte sie ganz recht. Ihm, dem Manne, kam es zu, das erste Wort zu sagen.

      „Wie können sie Sie sterben lassen?“ rief er aus. „Halfvorson und alle die andern, wie können sie es? Wenn ich hier wäre, ich wollte es Ihnen verwehren, zu sterben. Ich würde Ihnen alle meine Kraft geben. Ich würde alle Ihre Leiden auf mich nehmen.“

      „Ich habe keine großen Schmerzen,“ sagte sie, über diese kühnen Versprechungen lächelnd.

      „Ich stelle mir vor, daß ich Sie forttragen möchte wie ein erfrorenes Vögelchen, Sie unter die Weste stecken wie ein Eichhörnchen. O Gott, wie schön wäre es doch zu arbeiten, wenn etwas so Warmes und Weiches daheim auf einen wartete. Aber wenn Sie gesund wären, so würden wohl viele …“

      Sie sah ihn mit müdem Staunen an, bereit, ihn in seine Schranken zu weisen. Aber sie mußte wohl wieder etwas von dem Zauberkranze der Träume um das Haupt des Knaben gesehen haben, denn sie übte Nachsicht gegen ihn. Er meinte wohl nichts damit. Er mußte wohl so sprechen wie er sprach. Er war ja nicht wie andre.

      „Ach,“ sagte sie gleichgültig. „Nicht so viele, Peter Nord. Wohl kaum einer, der es ernst meinte.“

      Aber nun trat wieder eine Wendung zu seinen Gunsten ein. In ihr erwachte plötzlich der Heißhunger der Kranken nach Mitleid. Sie wollte das Mitgefühl, die Zärtlichkeit haben, die der arme Arbeiter ihr schenken konnte, es war ihr ein Bedürfnis, lange in der Nähe dieser tiefen, uneigennützigen Teilnahme zu weilen. Die Kranken können ja an derlei nie genug haben. Sie wollte sie in seinen Blicken und in seinem ganzen Wesen lesen. Worte waren ihr gleichgültig.

      „Es macht mir Freude, Sie hier zu sehen,“ sagte sie. „Bleiben Sie noch ein Weilchen sitzen und erzählen Sie, wie es Ihnen in diesen sechs Jahren ergangen ist.“

      Während er sprach, lag sie da und schlürfte dieses Unsagbare ein, was von ihm zu ihr strömte. Sie hörte und hörte nicht. Aber durch irgendeine wunderbare Sympathie fühlte sie sich gestärkt und belebt.

      Übrigens machten ihr auch seine Erzählungen Eindruck. Sie führten sie in die Arbeiterviertel, in eine neue Welt voll gärender Hoffnungen und Kräfte. Wie man dort glaubte und sich sehnte! Wie man haßte und litt!

      „Wie glücklich sind doch die Unterdrückten,“ sagte sie.

      In einem Anfall von Lebenslust kam es ihr in den Sinn, daß dies etwas für sie sein könnte, die immer Druck und Zwang brauchte, um das Leben lebenswert zu finden.

      „Wenn ich gesund wäre,“ sagte sie, „wäre ich vielleicht mit dahin gegangen. Es wäre schön gewesen, sich zusammen mit jemandem, dem man gut ist, in die Höhe zu arbeiten.“

      Peter Nord zuckte zusammen. Hier war ja das Geständnis, auf das er die ganze Zeit gewartet hatte. „Ach, können Sie nicht leben!“ bat er, und er strahlte vor Glück.

      Sie wurde aufmerksam. „Das ist ja Liebe,“ sagte sie zu sich selbst. „Und jetzt glaubt er, daß ich auch verliebt bin. Solch ein närrischer Kauz, dieser Wermlandjunge!“

      Sie wollte ihn sogleich wieder zur Vernunft bringen, aber etwas lag über Peter Nord an diesem siegreichen Tage, das sie zurückhielt. Sie brachte es nicht übers Herz, seine frohe Stimmung zu zerstören. Sie fühlte Mitleid mit seiner Torheit und ließ ihn weiter darin leben. „Es macht ja nichts, da ich ja doch bald sterben muß,“ sagte sie zu sich selbst.

      Aber gleich darauf verabschiedete sie ihn, und als er fragte, ob er wiederkommen dürfe, verbot sie es ihm ganz. „Aber,“ sagte sie, „vergessen Sie den Kirchhof hier oben auf dem Hügel nicht, Peter Nord. Dorthin können Sie in ein paar Wochen gehen und dem Tode für diesen Tag danken.“

      Als Peter Nord aus dem Garten kam, begegnete er Halfvorson. Dieser ging verzweifelt auf und ab und fand seinen einzigen Trost in dem Gedanken, daß Edith dem Schuldigen jetzt die Last der Reue aufbürdete. Um ihn überwältigt von Gewissensbissen zu sehen, einzig und allein darum hatte er ihn geholt. Doch als er den jungen Arbeiter traf, sah er, daß Edith ihm nicht alles gesagt haben konnte. Wohl sah er ernst aus, aber zugleich schien er schwindelnd glückselig.

      „Hat Edith Ihnen jetzt gesagt, warum sie sterben muß?“ fragte Halfvorson.

      „Nein,“ antwortete Peter Nord.

      Halfvorson legte ihm die Hand auf die Schulter, wie um ihn nicht entkommen zu lassen.

      „Ihretwegen stirbt sie, Ihrer verdammten Streiche wegen. Sie war wohl vorher ein bißchen krank, aber das hatte nichts zu bedeuten. Niemand glaubte, daß sie sterben würde. Aber dann kamen Sie mit diesen drei unglückseligen Schurken her, und sie erschreckten sie, während Sie in meinem Laden waren. Sie verfolgten sie, und sie lief vor ihnen fort, lief so, daß sie einen Blutsturz bekam. Aber das war es ja, was Sie wollten, Sie wollten sich an mir rächen, dadurch, daß Sie sie töteten. Wollten mich einsam und unglücklich sehen, ohne einen einzigen Menschen um mich, der mir gut ist. Alle meine Freude wollten Sie mir nehmen, alle meine Freude.“

      Er wollte noch lange weitersprechen, Peter Nord mit Vorwürfen überschütten, ihn mit Flüchen morden; aber dieser riß sich los und lief davon, als ob ein Erdbeben die ganze Stadt erschüttere und alle Häuser im Begriffe wären einzustürzen.

      IV

      Hinter der Stadt erhebt sich die Bergwand lotrecht, aber wenn man auf steilen Steinstufen und nadelbedeckten, glatten Pfaden hinaufgeklettert ist, so findet man, daß der Berg sich zu einem großen welligen Plateau ausbreitet. Und dort oben findet man einen Märchenwald.

      Auf der ganzen Breite des Berges steht ein Nadelwald ohne Nadeln, ein Wald, der im Frühling stirbt und im Herbst grünt, ein lebloser Wald, der in Lebensfreude aufflackert, wenn andre Bäume das grüne Kleid des Lebens ablegen, ein Wald, der wächst, ohne daß jemand wissen kann wie, der grün im Frost und braun im Tau dasteht.

      Es ist ein frisch angepflanzter Wald. Junge Fichten sind gezwungen worden, in den Rissen zwischen Felsblöcken Wurzel zu schlagen. Ihre zähen Wurzeln haben sich wie scharfe Keile in Spalten und Ritzen eingebohrt. Eine Zeitlang ging es gut, die jungen Bäume schossen in die Höhe, und die Wurzeln bohrten sich frohgemut in den grauen Stein. Aber endlich konnten sie nicht weiterkommen, und da bemächtigte sich des Waldes eine nur schlecht verhehlte üble Laune. Er wollte hoch hinaus, aber auch in die Tiefe. Da ihm der Weg nach unten versperrt war, schien ihn das Leben nicht mehr zu freuen. Jeden Frühling war er bereit, mißmutig die Lebensbürde abzuwerfen. In dem Sommer, als Edith sterben sollte, stand der junge Wald ganz braun da. Hoch über der Stadt der Blumen sah man auf dem Bergkamm einen düstern Rand sterbender Bäume.

      Aber dort oben auf dem Berge ist nicht alles Düsterkeit und Todeskampf. Wenn man so unter den braunen Bäumen einhergeht und sich so bedrückt fühlt, daß man am liebsten sterben wollte, sieht man grüne Bäume schimmern, Blumenduft schlägt einem entgegen; Vogelgesang jubelt und lockt. Da denkt man an СКАЧАТЬ