Unsichtbare Bande: Erzählungen. Lagerlöf Selma
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Название: Unsichtbare Bande: Erzählungen

Автор: Lagerlöf Selma

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ hin, um zu sterben. Halfvorsons Nichte war schon längst aller Dinge müde, des Kontors, des kleinen trüben Ladens, des Gelderwerbes. Als sie siebzehn Jahre alt war, reizte es sie, sich einen vornehmen Verkehr und einen guten Freundeskreis zu erkämpfen. Dann setzte sie sich das Ziel, Halfvorson auf den Weg der Tugend zu bringen, aber jetzt war alles erreicht. Sie sah keine Möglichkeit, aus dem Einerlei des Kleinstadtlebens herauszukommen. Sie wollte gerne sterben.

      Sie war eine der elastischen, eine der Stahlfedernaturen. Nichts als Nerven und Lebendigkeit, wenn etwas sie drückte und quälte. Wie hatte sie sich doch mit List und Verstellung, mit weiblicher Güte und weiblichem Trotz gemüht, bis sie ihren Oheim dahin gebracht hatte, einzusehen, daß weitre Peter Nord-Geschichten nicht mehr vorkommen dürften! Aber jetzt war er zahm und gebändigt, und sie hatte nichts mehr, was sie fesselte. Ja, und nun sollte sie doch nicht sterben! Sie lag da und dachte nach, was sie anfangen sollte, wenn sie gesund wurde.

      Plötzlich fuhr sie zusammen. Jemand hatte sehr laut gesagt, er wolle allein zu Halfvorson gehen und seine Angelegenheit mit ihm abmachen. Und dann antwortete ein andrer: „Geh du nur, Peter Nord!“

      Aber Peter Nord war ja der furchtbarste, der unglückseligste Name auf der Welt. Er bedeutete ja ein Wiedererwachen aller der alten Abscheulichkeiten. Edith richtete sich bebend auf, und gerade da kamen drei unheimliche Gestalten um die Ecke und stellten sich vor sie hin und starrten sie an. Nur ein niedriges Staket und eine dünne Hecke lag zwischen ihr und der Straße.

      Edith war allein. Die Mägde waren zum Melken gegangen, und Halfvorson arbeitete in seinem Garten vor der Stadt, obgleich er dem Ladenjungen aufgetragen hatte, zu sagen, daß er verreist sei, denn er schämte sich seiner Gärtnermarotte. Edith fürchtete sich schrecklich vor den drei Männern sowie vor dem, der in den Laden gegangen war. Sie war überzeugt, daß sie ihr etwas zuleide tun wollten, und darum begann sie über die schlüpfrigen, steilen Pfade und die kleinen, morschen Holzstufen, die von Terrasse zu Terrasse führten, den Berg hinaufzulaufen.

      Den fremden Männern war es ein Hauptspaß, daß sie vor ihnen davonlief. Sie konnten es sich nicht versagen, sich so zu stellen, als wenn sie sie einholen wollten. Einer von ihnen kletterte auf das Staket, und alle drei brüllten mit furchtbarer Stimme.

      Edith lief, so wie man im Traume läuft, keuchend, strauchelnd, in Todesangst, mit der entsetzlichen Empfindung, nicht von der Stelle zu kommen. Alle erdenklichen Gefühle stürmten auf sie ein und erschütterten sie so sehr, daß sie glaubte sterben zu müssen. Ja, wenn einer dieser Kerle sie nur mit der Hand berührte, wußte sie, daß sie sterben mußte. Als sie die oberste Terrasse erreicht hatte und es wagte, sich umzusehen, merkte sie, daß die Männer unten auf der Straße standen und gar nicht mehr nach ihr hinsahen. Da ließ sie sich ganz ohnmächtig zu Boden sinken. Aber die Anstrengung war zu groß gewesen, sie hatte sie nicht ertragen können. Sie fühlte, wie etwas in ihr riß. Gleich darauf strömte Blut über ihre Lippen.

      Die Mägde fanden sie, als sie vom Melken heimkamen. Für diesmal wurde sie ins Leben zurückgerufen. Aber dennoch wagte niemand zu hoffen, daß sie lange am Leben bleiben würde.

      Sie konnte an diesem Tage nicht soviel sprechen, um zu erzählen, in welcher Weise sie erschreckt worden war. Hätte sie es getan, wer weiß, ob die fremden Männer lebendig aus der Stadt gekommen wären. Es erging ihnen ohnehin schlimm genug. Denn nachdem Peter Nord wieder zu ihnen herausgekommen war und erzählt hatte, daß Halfvorson nicht daheim sei, gingen sie alle vier im besten Einvernehmen durch das Stadttor und suchten sich einen sonnigen Abhang, wo sie die Zeit, bis der Kaufmann zurückkehrte, verschlafen konnten.

      Aber als am Nachmittag alle Männer der Stadt, die draußen auf dem Felde gearbeitet hatten, wieder heimkamen, erzählten ihnen die Frauen von dem Besuch der Landstreicher, von ihren drohenden Fragen im Laden, wo sie Bier gekauft hatten, und ihrem ganzen herausfordernden Auftreten. Die Frauen vergrößerten und übertrieben die Sache, denn sie hatten den ganzen Nachmittag daheim gesessen und sich gegenseitig Angst gemacht. Die Männer glaubten Haus und Heim bedroht. Sie beschlossen, die Friedensstörer zu greifen, wählten einen beherzten Mann zum Anführer, nahmen tüchtige Knüttel mit und zogen von dannen.

      Nun kam Leben in die Stadt. Die Frauen traten vor die Haustüren und machten einander bange. Die Stimmung war zugleich unheimlich und erwartungsvoll.

      Es dauerte nicht lange, so kamen die Jäger mit ihrer Beute zurück. Sie hatten alle vier. Sie hatten sie im Schlafe umzingelt und sie gefangen. Das Kunststück hatte gerade keinen besondern Heldenmut erfordert.

      Jetzt kehrten sie mit ihnen in die Stadt zurück, indem sie sie wie Vieh vor sich hertrieben. Der Taumel des Rachedurstes hatte sich der Sieger bemächtigt. Sie schlugen, um zu schlagen. Wenn einer von den Gefangenen die Faust gegen sie ballte, bekam er einen Schlag auf den Kopf, der ihn umwarf, und dann hagelten die Schläge auf ihn nieder, bis er sich erhob und weiterging. Die vier Männer waren dem Tode nahe.

      Es ist so schön in den alten Liedern. Da muß zuweilen der gefangne Held in Fesseln im Triumphzug des siegreichen Feindes schreiten. Aber er ist auch im Unglück noch stolz und schön, und die Blicke suchen ihn ebenso wie den Glücklichen, der ihn besiegt hat. Die Kränze und die Tränen der Schönheit gehören dem noch im Unglück Beneidenswerten.

      Aber wer wollte wohl für den armen Peter Nord schwärmen? Sein Rock war zerrissen und sein flachsblondes Haar klebrig von Blut. Er bekam die meisten Schläge, denn er leistete am meisten Widerstand. Ganz schrecklich sah er aus, wie er da einherging. Er brüllte, ohne es zu wissen. Jungens hängten sich an ihn fest, und er schleppte sie lange Strecken weit mit. Einmal blieb er stehen und schleuderte all das Kleinzeug auf die Straße. Gerade als er im Begriff war zu entfliehen, bekam er mit einem Knüttel einen Schlag auf den Kopf und fiel zu Boden. Er fuhr wieder in die Höhe, halb betäubt, und schwankte weiter, während Peitschenhiebe auf ihn herabhagelten und die Jungen sich ihm wie Blutegel an Arme und Beine hängten.

      So begegneten sie dem alten Ratsherrn, der von seiner Whistpartie im Wirtshausgarten kam. „So, so,“ sagte er zum Vortrab, „ihr wollt die in den Kotter bringen?“

      Und er stellte sich an die Spitze des Zugs und ordnete ihn. Augenblicklich sah alles anständig aus. Gefangne und Gefangnenwächter marschierten in Frieden und Ordnung weiter. Doch die Wangen der Städter glühten, einige stießen mit den Knütteln auf das Pflaster, andre schulterten sie wie Gewehre. Und dann wurden die Gefangnen der Stadt der Polizei in Gewahrsam gegeben und in das Arrestlokal auf dem Marktplatz geführt.

      Die Retter der Stadt blieben noch lange auf dem Markte stehen und sprachen von ihrem Mute und von der großen Heldentat. Und in der kleinen Gaststube, wo der Rauch so dicht wie eine Wolke steht und gewichtige Männer ihren Mitternachtstoddy brauen, da taucht die Heldentat vergrößert wieder auf. Da wachsen die in den Schaukelstühlen, da blähen sich die in den Sofaecken, da sind sie alle Helden. Welche Tatkraft schlummert doch in der kleinen Stadt der großen Erinnerungen! Du furchtbares Erbteil, du altes Wikingerblut!

      Doch dem alten Ratsherrn wollte die Sache nicht recht gefallen. Er konnte sich nicht recht damit befreunden, daß das Wikingerblut wieder in Wallung geraten war. Und dieser Gedanke ließ ihn nicht schlafen, er ging wieder auf die Straße und schlenderte gemächlich dem Marktplatze zu.

      Das kleine Städtchen lag in dem sanften Licht der Frühlingsnacht da. Der einzige Zeiger der Turmuhr wies auf elf. Über die Kegelbahn rollten keine Kugeln mehr. Die Rollgardinen waren herabgelassen. Es war, als wenn die Häuser mit gesenkten Lidern schliefen. Die lotrecht aufsteigenden Berge standen schwarz, wie in tiefer Trauer da. Aber mitten in all dem Schlummer wachte jemand – der Blumenduft schlief nicht! Der schlich sich über die Lindenhecken, stürmte aus den Gärten, jagte die Straße hinauf und hinab, kletterte zu jedem Fenster empor, das angelehnt stand, zu jeder Dachluke, die frische Luft einließ.

      Jeder, zu dem der Blumenduft drang, sah alsogleich seine ganze kleine Stadt vor sich, obgleich die Dunkelheit sich leise auf СКАЧАТЬ