Название: Humoresken (Zweites Bändchen)
Автор: Eckstein Ernst
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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»Weißt du was, du kannst mir das Ding einmal vorlesen, dann werd' ich wohl so leidlich damit zu Stande kommen.«
»Wie Eure Majestät befehlen. Allein Sie erlauben, daß ich mich etwas näher zu Ihnen heransetze, um nicht genöthigt zu sein, allzusehr die Stimme zu erheben.«
»Gott, bist du heute ängstlich,« lachte der König. »Du hast wohl etwas Katzenjammer von gestern? Apropos, das Ballet war famos, ganz magnifique, auf Ehre. Ich hätte fast vergessen, dir mein Compliment zu machen.«
»Eure Majestät sind zu gütig. Wenn Sie gestatten, werde ich jetzt beginnen.«
»Nun denn, leg' los, alter Junge!«
Pigault-Lebrun setzte sich dicht an das Kopf-Ende des königlichen Bettes, entfaltete sein Manuscript und las mit flüsternder Stimme wie folgt:
»Mein Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen!«
»›Mein Bruder‹?« fragte der König. »Nicht ›mein erhabener Bruder‹? Das ist zu stark!«
»Sire,« entgegnete Pigault, »Ihre deutschen Unterthanen haben ein Sprüchwort, das zwar nicht hoffähig, aber sehr tiefsinnig und kernig ist. Das Sprüchwort heißt: ›Wurst wider Wurst‹. Verstehen Sie, was das sagen will?«
»So ziemlich. Aber ich finde …«
»Hören Sie weiter. – Wenn Sie an meiner Fassung etwas auszusetzen haben, so werden wir nachher die erforderlichen Änderungen vornehmen. – Also: ›Mein Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen! Ich habe Ihre Rathschläge empfangen. – Ich achte sie. – Was Ihre Befehle betrifft, so bin ich König. Ich gebe Befehle, aber ich erhalte keine …‹«
»Stark, sehr stark!« murmelte der König; »aber gut, sehr gut!«
Der Bibliothekar las weiter:
»›Sie werfen mir vor, ich sei ein Freund von langem Tafeln. Ich gestehe, daß ich die substantielleren Genüsse eines wohlassortirten Tisches dem eitlen Jagen nach Gloire vorziehe. – Ich bin Gourmand, ohne ein Vielfraß zu sein: ich glaube nicht, daß ich hierdurch meiner königlichen Würde etwas vergebe. Was die Weiber anlangt, so weiß ich in der That nicht, was gerade Sie mir in diesem Punkte vorhalten könnten. Sie beklagen sich über mein Verhalten gegen die Königin: Eure Majestät konnte mich zwingen, sie zu heirathen, aber nicht, sie zu lieben. – Sie fragen, ob die Königin mir nicht vornehm genug ist. – Eure Majestät haben mir hundertmal wiederholt, nichts sei für den Bruder eines Napoleon zu groß und zu vornehm: ich dagegen habe mich nie mit einer großen Dame vermählen wollen. – Sie werfen mir vor, ich halte nicht genug auf eine meiner Stellung entsprechende Repräsentation. – Wissen Sie, das Repräsentiren ist erstens langweilig, und zweitens verträgt es sich nicht recht mit meiner Figur und meiner Tournüre – zwei Dinge, die in unserer Familie nicht besonders imposant genannt werden können‹ …«
»Das ist ein malitiöser Hieb, der ihn schwer ärgern wird,« sagte Jérôme mit hämischem Lächeln. »Du bist in der That ein beißender Satiriker, Pigault. – Ich sehe, ich darf mich in Acht nehmen, daß ich bei dir nicht in Ungnade falle.«
Der Bibliothekar mußte laut auflachen.
»Hören Sie nur weiter, Sire! – ›Übrigens habe ich meine Hofhaltung ganz nach dem Vorbilde der Ihrigen eingerichtet. Ich kleide mich, wie Sie: was wollen Sie mehr? – Der Prinz von Paderborn bringt mich mit seinen ewigen Predigten und endlosen Messen zum Gähnen. Ich werde ihn behalten, da Eure Majestät mir ihn gegeben; aber nichts verpflichtet mich dazu, mit ihm über Kirchenangelegenheiten und andere Dinge zu sprechen, von denen ich nichts verstehe und nichts verstehen will. Ich überlasse das dem Herrn Cultusminister. – Was Merfeldt anlangt, so habe ich ihn zum Präfecten von Hannover ernannt, denn er ist ein vorzüglicher Verwaltungsbeamter, ohne ein angenehmer Chambellan zu sein. Im Übrigen liebe ich es, die für meinen persönlichen Dienst bestimmten Personen ganz nach meinen augenblicklichen Bedürfnissen auszuwählen. Gezeichnet: Jérôme Napoleon.‹«
»›Gezeichnet‹ …?« rief der König. »Aber das ist ja der brutalste Kanzleistil.«
»So schreiben wir: ›Genehmigen Sie die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung.‹«
»Mit dieser Formel begrüßt man seine Untergebenen.«
»›Ihr treuverbundner Bruder‹ … Was halten Sie davon?«
»Sehr gut! Das sagt eigentlich gar nichts! Schreiben wir: ›Ihr treuverbundener Bruder.‹«
Der König ließ sich nunmehr das Manuscript ins Bett reichen, und studirte es mit vielem Eifer. Hierauf legte er's unter das Kopfkissen und bedeutete dem Bibliothekar sich zu entfernen.
Jérôme ließ sich ankleiden und hatte nach eingenommenem Dejeuner nichts Eiligeres zu thun, als den Brief Pigault's zu copiren. – Er zerriß zwei, drei Bogen, bis der vierte zu seiner Zufriedenheit ausfiel. – Als er das kühne Schriftstück siegelte, spielte ein schadenfrohes Lächeln um seine Lippen.
»Kein Zweifel,« murmelte er vor sich hin, »dieser Schröpfkopf wird ziehen! Ich gäbe etwas darum, wenn ich sein verblüfftes Gesicht, seinen brennenden Ärger genießen könnte! – Früher oder später mußte die Sache ja doch einmal zum Brechen kommen! – Ich will dem erstaunten Europa zeigen, daß ich nicht bin, was ich scheine. Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Würde, – das sind doch wohl die unerläßlichen Vorbedingungen der Achtung, deren sich ein Thron zu erfreuen wünscht! Zum Schleppenträger meines Herrn Bruders halte ich mich zu gut. Entweder oder! Der Würfel ist gefallen!«
In dieser selbstbewußten Stimmung überreichte er den Brief einem seiner Kammerjäger zur sofortigen Übermittelung an den Courier.
Wenige Stunden später war das verhängnisvolle Actenstück unterwegs.
Jérôme! Jérôme!
Vierzehn Tage waren verflossen.
Von den Thürmen der Stadt Kassel schlug es Mitternacht. Die braven Unterthanen des westphälischen Gewalthabers schliefen den Schlaf der Gerechten. Melancholisch wandelte der Wärter durch die menschenleeren Gassen und entlockte seiner kurzen Weichselrohrpfeife eine qualmende Wolke nach der andern.
Nicht ganz so lautlos ging es in dem sogenannten blauen Salon der Napoleonshöhe zu. Hier saß eine kleine, aber gewählte Gesellschaft um eine reichgedeckte Tafel. Man war beim Dessert. Prächtige Früchte, hochfeines Gebäck, perlender Champagner und andere unerläßliche Ingredienzen eines luxuriösen Mahles verbreiteten einen berauschenden Duft. Die Gläser klirrten in verwegner Ungezwungenheit wider einander. Das lärmende Chaos der Stimmen wurde nur durch die Salven eines schallenden Gelächters oder durch die Klänge eines lustigen Refrains unterbrochen. Mit einem Worte, der blaue Salon war wieder einmal Zeuge eines jener intimen Soupers, die gegen elf Uhr begannen und gewöhnlich bis drei, vier Uhr Morgens dauerten.
»Die Gesundheit des Königs!« rief jetzt eine kleine, blauäugige Dame in prachtvoller Toilette.
Sie ergriff das Glas, setzte es an den Mund und leerte es auf einen Zug.
»Süßer Engel!« hauchte der König, indem er den Arm um ihre Taille legte. »Dafür sollst du einen Kuß haben.«
Die Dame sträubte sich.
»Herr Gott, wie spröde!« lachte Jérôme. »Was fällt СКАЧАТЬ