Название: Die Mumie von Rotterdam
Автор: Döring Georg
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Wüthend wollte sich Herr van Vlieten von dem Professor losreißen, dieser aber hielt ihn fest und sah mit mildem Lächeln in das verzerrte Antlitz.
»Wie,« zürnte Tobias, dem die heftige Aufwallung des Unwillens die Sprache zu ersticken drohete, so daß er, statt zu schreien, wie er gern gewollt hätte, nur mit gepreßter Stimme reden konnte, »Ihr wagt es, mir dergleichen vorzuschlagen? Mir, der dem Doctor jährlich hundert Dukaten zahlt, daß er ihn durch Purganzen, Mixturen und Elixire noch lange am Leben erhält, sprecht Ihr von Testament und Tod? Wißt Ihr, daß dergleichen Redensarten ein Gift sind, das sich auf die edelsten Theile wirft und so den wirklichen, leibhaftigen Tod herbeiführen kann? Und dann – Ihr Schinder und Leichendieb untersteht Euch, mich für Euere Sägen und Messer zu verlangen, um mich nach meinem, will’s Gott! noch weit entfernten Hintritte, zu zerschneiden und zu zerarbeiten, wie einen Selbstmörder oder armen Sünder, mich, einen Mann, der im Rathe von Indien gesessen hat und Euresgleichen durch ein einziges Wort an den Galgen bringen konnte. Euch soll ja – «
»Ihr ereifert Euch umsonst, Myn Heer!« unterbrach mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit Eobanus Hazenbrook den Zürnenden. »Ihr befindet Euch in einem böslichen Irrthum und legt mir Absichten unter, die ich keinesweges hege. Man merkt Euch aber an, daß Ihr kein großer Philosophus seyd! Hättet Ihr dem Sprüchlein des alten Weisen: kenne dich selbst! Eingang in Euere Seele verstattet und danach Euere Gedanken geregelt, so müßte es Euch klar seyn, daß eine Figura, wie die Eurige, bei einer in usum juventutis unternommenen Section eine gar erbärmliche Rolle spielen würde. Nein, Myn Heer! Wir wollen höher mit Euch hinaus. Wir wollen Euch nicht zerstören, wir wollen Euch erhalten auf Jahrhunderte – was sage ich? – auf Jahrtausende hinaus!«
Tobias machte große Augen. Er schloß sich wieder enger an den Professor, eine schöne Hoffnung senkte sich in seine Brust, er lächelte freundlich und sagte im gefälligsten Tone:
»Wenn ich Euch jetzt recht verstehe, so habe ich Euch früher entsetzlich mißverstanden. Ihr hättet Gutes mit mir im Sinne, Ihr wolltet mich erhalten in saecula saeculorum, wie ihr Lateiner sagt? O, Myn Heer! Es kommt mir auf eine Metze voll Dukaten nicht an, wenn es ein so theueres Gut, wie das Leben gilt! Besäßet Ihr wirklich den Stein der Weisen, das Lebenselixir, das gegen den Tod stich-, hieb-, schuß- und krankheitsfest macht?«
»Allerdings,« versetzte sehr ernsthaft Eobanus, »besitze ich die Wissenschaft, Euern Körper vor den gewöhnlichen Zerstörungen, welche im Gange der Natur liegen, zu bewahren; doch erst nachdem der verehrungswürdige Geist die schlechte Hülle verlassen und sich in höhere Regionen aufgeschwungen hat. Sehet nicht finster drein, Myn Heer! Es ist auch etwas Seltenes, fortzuleben rein leiblich auf Erden, zur Bewunderung der Nachwelt. Diesen Vorzug will Euch Eobanus Hazenbrook bereiten. Höret mich noch einen Augenblick geduldig an und Alles soll Euch klar seyn. Unser museum rerum naturalium zu Leyden, dessen Custos ich zu seyn die Ehre habe, ist in allen Dingen wohl versehen und kann den ersten Sammlungen dieser Art in ganz Europa an die Seite gestellt werden. Es ist mein Alles, dieses Museum: meine Frau, mein Kind, mein Vater und Mutter, mein eigenes Ich! Nun denkt Euch meinen Schmerz, edler Herr, als vor einigen Jahren ein fremder Doctor darin erscheint, über Alles vornehm und wegwerfend hinblickt und zuletzt mit verächtlichem Tone erklärt: es sey doch Alles nur jämmerliche Rumpelwaare, da sich nicht einmal eine egyptische Mumie darunter befinde. Ich hätte dem Bösewichte einen vergifteten Pfeil von der Insel Java, den ich gerade in Händen hielt, ins Herz stoßen mögen. Aber ich bewältigte meinen Zorn, ich verschloß meinen Schmerz in diese Brust. Er hatte leider nur zu wahr gesprochen! Schon längst hatte ich den schmachvollen Mangel erkannt, aber ich gestand ihn nie und bemühete mich selbst, jeden Gedanken daran zu verbannen. Das war nun vorbei! Die Sehnsucht nach einer egyptischen Mumie nagte mir fort und fort am Herzen, ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe und verzehrte mich, wie einen schwächlichen Jüngling die erste, unerwiederte Liebe. O, Myn Heer, was liegt nicht Alles in einer egyptischen Mumie: Poesie und Geschichte in der wunderbarsten Hieroglyphik, Naturkunde einer fernen Vorzeit in köstlichen Spezereien und Balsamen, Wissenschaftslehre in deren chimischer Vereinigung und künstlicher Anwendung, Industrie eines fernen Jahrtausends in den umwickelten Webestoffen und noch so vieles Andere, das hier anzuführen die Zeit nicht erlaubt! Doch dieses Wenige, was ich hier angeführt, wird hinreichen, Euch mit hoher Achtung vor einer solchen Mumie zu erfüllen und Euch den Schmerz zu erklären, den ich empfinden mußte, als der malitiose Doctor bemerkte, ohne ein Mumienexemplar sey mein Museum eine Rumpelkammer. Mein ganzes Tichten und Trachten ging nun dahin, die gerügte, schmähliche Lücke auszufüllen. Ich schrieb Briefe, ich gab Aufträge, ich verschwendete Geld über Geld, ich schickte sogar einen eigenen Reisenden nach Egypten, daß er mir eine Mumie aus den Pyramiden verschaffen, im schlimmsten Falle stehlen sollte. Alles vergebens! Die Aufträge blieben unerfüllt, der Reisende wurde von räuberischen Arabern aufgefangen, ausgeplündert, mit Gewalt zum Islam bekehrt und dann in die Wüste geschleppt. Ich war der Verzweiflung nahe. Trostlos ging ich an den ersten Merkwürdigkeiten meines Musei vorüber, deren Anblick mich sonst in Entzücken versetzt hatte, ohne sie einer Beachtung zu würdigen. Die herrliche boa constrictor, die ich einst als meine theuerste Freundin, im süßen Wonnetaumel ans Herz gedrückt, das liebenswürdige Nilkrokodill, das ich oft durch Freudenthränen angelächelt hatte, waren jetzt für mich nicht mehr vorhanden. Ich trug nur eine Liebe, eine Sehnsucht im Herzen: die zu einer egyptischen Mumie. Da kam mir eines Abends, als ich traurig und sinnend auf dem Fußgestelle eines mir ehedem auch sehr werthen Elephantenskelett’s saß, der Gedanke, daß es wohl möglich sey, eine solche egyptische Mumie in vollkommener Aehnlichkeit, den Kennern selbst zur Täuschung, nachzumachen. Mein Herz flammte empor in neuer hoffnungsvoller Liebesgluth! Von den Flügeln der Sehnsucht und Hoffnung getragen eilte ich ins theatrum anatomicum. Hier hatte ich gerade einige der reizendsten Cadaver vorräthig, die noch je unter die Hände eines Prosectors gerathen. Ich ging ans Werk. Ich arbeitete viele Tage und Nächte, ich brachte endlich im tiefsten Geheimnisse eine Mumie zu Stande, die man keck aus dem Geschlechte der Pharaonen herdatiren konnte. Wer war glücklicher, als ich! Mit Begeisterung sah ich auf das gelungene Werk meines Fleißes. Mein Hoffen war erfüllt, mein Sehnen gestillt, das Ideal meiner Liebe war Wirklichkeit geworden. Aber, o Jammer! Nur wenige Tage währte mein süßer Traum, nur zu schnell verflog mein seliger Liebesrausch! Wie es schöne Weiber gibt, die unter der anmuthstrahlenden Hülle ein falsches, tückisches Innere verbergen, so war es auch mit meiner Geliebten der Fall. Noch entzückte mich die holdselige Gestalt, als schon die Furien von ihrem Innern Besitz genommen hatten. Die Theuere wurde mir ungetreu: sie gab sich der Verwesung hin. Ich beweinte sie lange und schmerzlich; aber ich verlor den Muth nicht. Bald erstand unter meinen Händen eine zweite Geliebte; doch ach! sie hatte dasselbe Schicksal, wie die frühere. Neue Versuche, neues Mißgeschick! Zuletzt erkannte ich mit bitterm Schmerze, daß das Wohlleben in unserm Lande, daß das Clima und noch viele andere Ursachen sich feindlich und zerstörend meinem Liebesglücke entgegensetzten. Jene heißen Winde, die in Egypten wehen, die Mäßigkeit der Einwohner, tausend andere Umstände, welche dort die Menschen schon als halbe Mumien sterben lassen, begünstigen das hohe Werk der Leibeserhaltung auf Jahrtausende hinaus. Nun sah ich mich allenthalben nach einem Menschenexemplare um, das alle Eigenschaften, alle Ansprüche, sterbend den uralten egyptischen Königsthron zu besteigen, besäße. Mein Streben, mein Wünschen, mein Sehnen waren bis heute vergebens. Aber, Myn Heer, wie wurde mir, als ich dieses gesegnete Ufer betrat, als Ihr der erste Gegenstand waret, den mein Auge traf, als ich in Euch Alles fand, was meinem liebebestürmten Herzen den alten Frieden wieder geben könnte? Per aspera ad astra! Ja, Myn Heer, Ihr seyd berufen, ein Enkel der Pharaonen zu werden und deshalb sollt Ihr Euch als Legat der illustern Lugduner Academie vermachen, daß Ihr durch meine Liebe, durch meine Kunst noch Jahrhunderte hindurch ein Gegenstand der Bewunderung und Verehrung seyd, nicht unter dem schnöden Namen eines Tobias van Vlieten, nein! unter einem erhabenen, welthistorischen, den Ihr selbst nach Belieben wählen СКАЧАТЬ