Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.. von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
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СКАЧАТЬ Kinderjahre. Wen hatte damals der Falkenhof beherbergt? Er erinnerte sich nur eines prächtigen, grünen Papageien, der ihm den Mittelfinger der rechten Hand durch und durch gebissen hatte, daß man die Narbe heute noch sah. Damals hatte ihn jemand verlacht mit hellem, lustigem Lachen und ihm gesagt: »Es geschieht dir schon recht, denn wer hieß dich, den armen Rio zu reizen!«

      Er hörte plötzlich ganz deutlich die Worte wieder. Ganz recht, Rio war der Name des gelehrten Vogels, der, wie er sich deutlich erinnerte, in drei Sprachen zu schimpfen verstand und dabei maliziös genug aussah. Rio! Nach jenem Biß und dem unbarmherzigen Lachen war er, Alfred Falkner, zu dem Oheim und Lehnsherrn des Falkenhofes gelaufen und hatte sich bitter beklagt, und seine Mutter, die damals noch Witwe seines Vaters war, hatte ihm tröstend den blutenden Finger verbunden und dazu finsteren Angesichts über das »herzlose fremde Ding« gemurrt, das seine Freude habe an den Schmerzen anderer.

      Aber wer war die Gescholtene?

      Der Lehnsherr vom Falkenhofe hatte zwei Brüder, eigenwillige, unbeugsame Naturen, wie sie das Falkengeschlecht nur jemals aufzuweisen hatte. Der jüngere der beiden, Alfreds Vater, hatte sein und seiner Gattin Vermögen während der Dauer, daß er des Königs Rock trug, total verschwendet und starb kurz vor dem drohenden Ruin. Der Freiherr von Falkner nahm nun die Witwe mit dem Knaben zu sich und hielt letzterem einen Gouverneur, der es verstand, seine Stellung derartig zu befestigen und sich unentbehrlich zu machen, daß ihm schließlich die immer noch stattliche Witwe die Hand reichte. Da sie nun auf dem Falkenhofe seit mehreren Jahren die Pflichten einer Hausfrau versah, weil der Lehnsherr unvermählt geblieben war, so wollte der Freiherr die Schwägerin, welche seine Interessen vortrefflich zu wahren verstand, nicht mehr missen und sich von ihr trennen, und so geschah es, daß sie mit ihrem Gatten einen Flügel des Falkenhofes zu dauerndem Aufenthalte bezog.

      Der ältere Bruder des Lehnsherrn war ein unruhiger Kopf gewesen, dessen erinnerte sich Alfred Falkner genau. Aber da er ihm im fünfzehnten Jahre seines Lebens schon aus den Augen geschwunden war, und auch kein Mensch mehr seinen Namen genannt, so wußte er nichts mehr von ihm. Zwanzig Jahre sind eine Zeit, in der man vergessen kann, besonders wenn der Gegenstand des Vergessens totgeschwiegen wird. Je mehr indessen Alfred Falkner der entschwundenen Erinnerung nachsann, desto mehr fand er davon wieder, und nun trat auch die hohe, blonde Erscheinung des Oheims wieder vor sein geistiges Auge. Er erinnerte sich dunkel, daß der seltsamerweise niemals mehr Erwähnte gleich ihm der diplomatischen Carriere angehörte und jahrelang einer Gesandtschaft attachiert war, die er jedenfalls im Süden suchen mußte. Undeutlich zwar, aber doch mit Bestimmtheit besann er sich, ein Gespräch zwischen seiner Mutter und dem Lehnsherrn belauscht zu haben, in welchem letzterer sich bitter darüber beklagte, daß der Bruder in einer zornigen Aufwallung seinen Dienst quittiert und obendrein noch sein Vermögen beim Fall eines Bankhauses verloren hatte.

      Der Fall eines Bankhauses! Diese Redefigur hatte damals auf Alfred einen tiefen Eindruck gemacht, denn er konnte sich gar nicht vorstellen, »wie ein Bankhaus fallen könnte,« und seine Phantasie spielte seitdem oft dieses Spiel.

      Nun erinnerte er sich ganz deutlich, daß der Oheim mit Kind und Kegel, mit Sack und Pack auf dem Falkenhofe seinen Einzug hielt, dem er von einem Mansardenfenster aus mit atemloser Neugier zugesehen, denn er hatte gehört, daß der Herr des Hauses von einer Mulatten- und Negerwirtschaft gesprochen, die nun die altdeutschen Räume des Falkenhofes entweihen würde.

      Das hatte in seiner jungen, unternehmungslustigen Knabenseele gezündet, und er hatte glühend vor Erregung die Mutter gefragt, ob denn der Oheim ein Fürst aus dem Morgenlande sei, daß er mit Mulatten und Negern komme. Frau von Falkner hatte ihm lachend geantwortet, daß der Onkel höchstens ein Bettlerfürst sei, aber seine Frau, die Tante, wäre wohl eine Mulattin oder etwas ähnliches, jedenfalls eine »Fremde.«

      Und nun kam der Onkel Bettlerfürst an, aber es war nur eine einzige große Negerin mit ihm, vor der sich Alfred natürlich entsetzlich fürchtete wie vor dem leibhaftigen Teufel. Die Tante war jedenfalls nicht schwarz von Angesicht, das war schon ein Trost. Sie brachten auch ein kleines Mädchen mit, hell und licht wie eine Elfe, dem ein prächtiger Papagei, Rio genannt, auf der Schulter saß und den Hausherrn sofort mit einem kräftig schnarrenden ›Filou! Filou!‹ begrüßte, was jedenfalls im Lande der Mulatten eine Höflichkeitsphrase war, wie Alfred damals dachte, und sich sehr wunderte, daß der also Begrüßte blaß wurde vor Zorn und seine bissigsten Redeweisen gleich in der Stunde der Ankunft hervorkramte.

      Damals hatte er jenes helle, seltsame Lachen, dessen er sich so genau zu erinnern wußte, zum erstenmal gehört, er hatte gesehen, wie das kleine Mädchen den vorlauten Vogel gestreichelt hatte, worauf er, ermuntert und angefeuert durch den gespendeten Beifall, seiner ersten Äußerung noch ein lebhaftes »Caracho« folgen ließ.

      Nach dieser wichtigen Begebenheit wurden seine Erinnerungen wieder dunkler. Er entsann sich nur, daß das kleine Mädchen, das damals halb so alt als er selbst sein mochte, sein Spielkamerad wurde und unaufhörlich an seiner Seite blieb, bis jener Biß Rios in seinen Mittelfinger und das Lachen seiner kleinen Cousine der Freundschaft einen unheilbaren Riß beibrachte. Er kümmerte sich nach Knabenart nicht mehr um sie und um die fremden Bewohner des Falkenhofes, von denen er sich nicht besinnen konnte, sie überhaupt viel gesehen zu haben. Nur bisweilen hörte er die helle Stimme der Kleinen durch die Kreuzgänge hallen.

      Mit seinem fünfzehnten Jahre, als sein Präceptor seine Mutter heiratete, kam er auf ein Gymnasium, um dort sein Abiturientenexamen zu machen. Zwei Jahre lang, während deren er den Falkenhof nicht wiedersah, dauerte sein Studium, dann legte er sein Examen ab und trat sofort seine Reise nach der Universität an. Nach den ersten zwei Semestern seines Studentenlebens besuchte er zum erstenmal die Heimat wieder. Er fand dort alles in hastender Thätigkeit vor – die »Fremden« sollten den Falkenhof verlassen. Es war ein entsetzlicher Streit unter den beiden Brüdern ausgebrochen, welcher das Verhältnis sofort trennte – was vorgefallen war, darüber erfuhr er keine Silbe. Man war nicht sehr mitteilsam auf dem Falkenhofe.

      Der Oheim hatte schon einige Tage früher das Haus seines Bruders verlassen, seine Familie folgte ihm jetzt nach, und Alfred entsann sich genau der hoch aufgepackten Wagen, die bei seiner Ankunft vorläufig noch unbespannt vor dem großen Thore ihrer Insassen harrten.

      Als Alfred am nämlichen Abend noch allein durch die Kreuzgänge des inneren Hofes schritt, die Cigarre im Munde, und das Mondlicht beobachtete, wie es durch die doppelten Säulenreihen der mit Epheu und Kletterrosen umsponnenen gotischen Bogen huschte und sich in breiten, fahlgrünlichen, glänzenden Streifen auf die Steinfliesen legte, da hörte er plötzlich eine wunderschöne, wenn auch noch kindlich klingende Stimme ein einfaches Volkslied singen:

      Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

      Tönt ein Lied mir immerdar –

      Er hatte das Lied hundertmal gehört und wohl auch selbst gesummt, dennoch aber veranlaßte es ihn diesmal, still zu stehen und den süßen Tönen zu lauschen. Der nächste Gedanke galt der Sängerin – wer und wo war sie? Er brauchte nicht lange zu suchen. Die Gebäude umschlossen ein viereckiges Stück Land, auf dem von jeher ein herrlicher Blumenflor grünte und blühte. Inmitten des Gartens befand sich das Bassin eines großen Brunnens, und vier kräftige, krystallhelle Wasserstrahlen schossen aus ebensoviel dräuenden Delphinenköpfen in das graue, steinerne Becken, das außen mit grünen Farnen und Huflattich üppig umsäumt war. Die vier mächtigen Schweife der Delphine vereinigten sich in der Mitte des Brunnens zu einem säulenartigen Gewinde, das sich nach oben vasenförmig öffnete und eine ehemals vergoldet gewesene, mächtige, siebenzackige Freiherrenkrone trug.

      Auf dem Rande des Bassins saß, oder schwebte die Sängerin des ergreifenden Liedes – eine weißgekleidete Mädchengestalt, ein Kind, mit lang herabwallenden Haaren, die im Mondlicht glänzten wie flüssiges, mit Kupfer gemischtes Gold.

      Alfred meinte an jenem Abend eine jener Lichtelfen zu sehen, wie das Märchen sie beschreibt, so duftig und zart wie aus Mondschein gewoben. СКАЧАТЬ