Название: Arztstrafrecht in der Praxis
Автор: Klaus Ulsenheimer
Издательство: Bookwire
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811406421
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g) Problem des Verschuldens bei Aufklärungsfehlern
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Der Strafrichter ist unzweifelhaft daran gebunden, den Angeklagten nur dann zu verurteilen, wenn er das ihm vorgehaltene Unrecht verschuldet hat. Deshalb muss die Verschuldensfrage, die in der Praxis des Zivilprozesses bei der Aufklärung leider oft nicht gestellt wird,[59] gerade im Strafverfahren auch unter dem Aspekt der persönlichen Vorwerfbarkeit und konkret-individuellen Vermeidbarkeit der Pflichtverletzung mit besonderem Nachdruck geprüft werden. Der Strafrichter darf sich nicht damit zufrieden geben, die im Einzelfall geleistete Aufklärung unter Hinweis auf einschlägige Zivilurteile als unzureichend zu qualifizieren, und daraus ohne weiteres – oder nur mit der formelhaften Wendung: dies sei auch schuldhaft – die Strafbarkeit des Arztes ableiten. Notwendig ist vielmehr eine eigenständige Bewertung des ärztlichen Verhaltens auf der Ebene der Schuld im Hinblick darauf, ob der Arzt im konkreten Fall nach seinen ihm eigenen Fähigkeiten und Kenntnissen imstande war, den Umfang der objektiv verlangten Aufklärung zu erkennen und zu erfüllen. Die subtile Prüfung der Verletzung der Aufklärungspflicht im Strafrecht nach einem subjektiven Maßstab unter den Gesichtspunkten Vorhersehbarkeit, Vermeidbarkeit und Zumutbarkeit ist insbesondere vor dem Hintergrund einer nicht immer ohne weiteres verständlichen zivilgerichtlichen Judikatur geboten.[60]
Auch in dem schon geschilderten Myom-Fall[61] mahnte der BGH eine exakte Schuldprüfung im Rahmen der Aufklärungsproblematik an. Voraussetzung für die Fahrlässigkeitshaftung ist nach den Worten des Gerichts nämlich nicht nur die Aufklärung über die in Rede stehenden Risiken, sondern darüber hinaus auch die Kenntnis des Arztes über alle Umstände, die die Patientin bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgehalten hätten, ihre Zustimmung zu erteilen.[62] In diesem Erfordernis liegt eine wichtige Einschränkung der Strafbarkeit, die in der Praxis aber meist zu Unrecht unerörtert bleibt.[63]
2. Der ärztliche Heileingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung
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Unzweifelhaft unterfallen nicht medizinisch indizierte Eingriffe, wie sie insbesondere bei Schönheitsoperationen, aber auch bei der Organentnahme vom Lebenden (§ 8 TPG), der Blutspende, dem Doping oder dem Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beratung gem. § 218a Abs. 1 StGB auftreten, den Tatbeständen der §§ 223 und 229 StGB.[64] Gleiches gilt für Körperbeeinträchtigungen, die auf Behandlungsfehlern beruhen. Die Rechtsprechung hat indes schon früh auch die lege artis durchgeführte Heilbehandlung als tatbestandliches Geschehen eingeordnet (Rn. 344 ff.) und damit eine bis heute andauernde Kontroverse ausgelöst (Rn. 348). Sie wird indes absehbar nicht dazu führen, dass Ärzte in Zukunft wieder pauschal von den strafrechtlichen Risiken des Aufklärungsfehlers befreit werden (Rn. 349 ff.).
a) Die grundlegende Entscheidung des Reichsgerichts
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Ausgangspunkt der von vielen wahrgenommenen „Aufklärungsmisere“ ist die Entscheidung des Reichsgerichts vom 31.5.1894,[65] welche die Amputation des Fußes eines 7-jährigen Kindes gegen den erklärten Willen des Vaters trotz absoluter Indikation und erfolgreicher Operation als „Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit“ und damit „tatbestandsmäßige Körperverletzung“ qualifizierte. Dabei wies das Reichsgericht ausdrücklich darauf hin, dass der verfolgte Heilungszweck oder gar der Erfolg des Eingriffs dem Arzt ebenso wenig eine rechtliche Befugnis dazu gewähre wie das Berufsrecht, es vielmehr in erster Linie „der Wille des Kranken ist“, der den Arzt „legitimiert, Körperverletzungen straflos zu verüben“.[66] Seit diesem Urteil und damit seit mehr als 120 Jahren stellt jede mit einer Einwirkung auf die körperliche Integrität des Patienten verbundene Behandlungsmaßnahme, ohne Rücksicht darauf, ob sie erfolgreich verläuft“, und zwar auch die ärztlich indizierte, lege artis durchgeführte Heilbehandlung, also jede Anästhesie, jeder chirurgische Eingriff, jede Applikation eines Medikaments tatbestandsmäßig eine Körperverletzung dar und bedarf daher eines Rechtfertigungsgrundes, der zwar nicht ausschließlich, aber doch im Wesentlichen, in der Einwilligung des Patienten zu suchen ist.[67]
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„Für das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten wird innerhalb der Sphäre des bürgerlichen wie des peinlichen Rechtes an der zwischen beiden Personen bestehenden Willensübereinstimmung unter allen Umständen als dem leitenden und entscheidenden Gesichtspunkte festzuhalten sein […] So gewiss der verfügungsfähige Kranke durch Berufung des Arztes zwecks Heilung seines Leidens dem Arzte nicht eine unbeschränkte Gewaltherrschaft über seine Person eingeräumt hat, so gewiss der Auftrag zum Heilverfahren jederzeit von ihm widerrufen, der eine Arzt durch einen anderen ersetzt werden kann, so gewiss ist derselbe Kranke auch befugt, der Anwendung jedes einzelnen Heilmittels, seien es innerlich wirkende Medikamente, seien es äußere operative Eingriffe, rechtswirksam Weigerung entgegenzusetzen. Und mit dem Moment solcher Weigerung des zurechnungsfähigen Kranken oder seiner gesetzlichen Willensvertreter erlischt auch die Befugnis des Arztes zur Behandlung und Misshandlung einer bestimmten Person für Heilzwecke. Folgeweise handelt derjenige Arzt, welcher vorsätzlich für Heilzwecke Körperverletzungen verübt, ohne sein Recht hierfür aus einem bestehenden Vertragsverhältnis oder der präsumtiven Zustimmung, dem vermuteten Auftrag hierfür legitimierter Personen herleiten zu können, überhaupt unberechtigt, d. i. rechtswidrig und unterliegt der solche Delikte verbietenden Norm des § 223 StGB“.[68]
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Mit dieser Begründung wurde das freisprechende Urteil des LG Hamburg vom RG aufgehoben und die Sache in die Instanz zurückverwiesen.[69]
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Diese nun ständige Rechtsprechung hat auch BGH jüngst gerade auch für den „mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommenen Eingriff“ nochmals bestätigt.[70] Er hat lediglich hinsichtlich der Verabreichung von Betäubungsmitteln an einen Sterbenden für die Gesundheitsbeschädigung einschränkend eine einzelfallkonkrete Feststellung angemahnt:[71]
„In einer solchen vorsätzlichen Verabreichung liegt nicht notwendig eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB. Betäubungsmittel können indes, je nach den Umständen des Einzelfalls, Wirkungen hervorrufen, die sich als Gesundheitsschädigung darstellen. Dies gilt etwa dann, wenn sie zu Rauschzuständen mit weiteren körperlichen Nebenwirkungen, zur Suchtbildung oder zu Entzugserscheinungen führen (BGH […] NJW 1970, 519). Wer Betäubungsmittel verabreicht, hierdurch solche Wirkungen erzielt und dabei vorsätzlich handelt, verwirklicht den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB ([…] BGHSt 49, 34, 38), sofern dieser nicht bereits durch die Injektion als solche erfüllt wurde […]. Morphin wirkt hauptsächlich auf das Zentralnervensystem, es hat eine sedativhypnotische Wirkung, hebt das Schmerzempfinden auf, führt aber auch zu einer Verminderung der Atemfunktion ([…] BGHSt 35, 179, 181). […] Jedenfalls fehlt es […] für die Annahme, die Angeklagte habe durch die Morphininjektion das Tatbestandsmerkmal einer Gesundheitsbeschädigung erfüllt, an einer tragfähigen Beweisgrundlage. Dies gilt insbesondere für den von der Strafkammer angenommenen, von der Angeklagten verursachten und vom eigentlichen Sterbeprozess zu unterscheidenden pathologischen Zustand, zumal sie СКАЧАТЬ