Название: Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden
Автор: Kurt E. Böhme
Издательство: Bookwire
Серия: Recht in der Praxis
isbn: 9783811446496
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c) an Kfz und Hindernissen (§ 6 StVO)
161
Der Fahrer hat hinter einem abgestellten Fahrzeug, einer Absperrung oder einem sonstigen Hindernis anzuhalten, wenn sich in der Gegenrichtung ein Kfz nähert, sodass eine ungefährdete Begegnung in der Engstelle erkennbar in Frage gestellt ist. Er hat den Entgegenkommenden durchfahren zu lassen. Schuldhaft verkehrswidrig handelt, wer beim Vorbeifahren an einem parkenden Fahrzeug grundlos die Gegenfahrbahn benutzt und dem Gegenverkehr die Durchfahrt sperrt.[92] Beim Ausscheren hat er auf den nachfolgenden Verkehr zu achten und das Ausscheren anzuzeigen.[93] Auf Rn. 171 wird verwiesen.
Der Gegenverkehr hat Vorrang, wenn zu Beginn des Vorbeifahrens mit einem Omnibus an einem rechts haltenden Müllwagen der Gegenverkehr wegen einer unübersichtlichen Kurve noch nicht erkennbar ist.[94] Wenn für ein gleichzeitiges Durchfahren der Engstelle durch zwei sich begegnende Kraftfahrzeuge genügend Raum verbleibt, richten sich die Verhaltensvorschriften nach § 1 Abs. 2 StVO und nicht nach § 6 StVO.[95]
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 9. Überholen (§ 5 StVO)
a) Grundsätze
162
„Überholen“ liegt vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer von hinten an einem in Bewegung befindlichen Verkehrsteilnehmer vorbeifährt. Hat ein Kfz seine Bewegung nur aufgrund der Verkehrslage unterbrochen, so steht es einem in Bewegung befindlichen gleich.[96] Die für das Überholen geltenden Grundsätze sind für das Vorbeifahren an einem auf der rechten Fahrseite stehenden Fahrzeug sinngemäß anzuwenden.[97] Der Überholvorgang beginnt mit dem Einsetzen der zum Überholen notwendigen Geschwindigkeit[98] und endet, wenn der Überholende an dem überholten Fahrzeug vorbeigefahren ist. Beim Überholen einer Fahrzeugkolonne ist gesteigerte Sorgfalt geboten.[99]
Grundsätzlich ist links zu überholen (zu den Ausnahmen vgl. Rn. 167 ff.).
b) Überholverbot
163
Ein Überholverbot bezweckt den Schutz (s. Rn. 85) des Gegenverkehrs und der vorausfahrenden und nachfolgenden Fahrzeuge. Überholen bei Überholverbot ist grob fahrlässig; eine erhöhte Betriebsgefahr des überholten Kfz tritt dann u.U. zurück.[100] Derjenige, der verkehrswidrig überholt, kann sich auf ein verkehrswidriges Überholen des Entgegenkommenden berufen.[101]
Unbeschadet sonstiger Überholverbote dürfen die Führer von Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 t nicht überholen, wenn die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen weniger als 50 m beträgt; § 5 Abs. 3a StVO. Vor Bahnübergängen ist seit dem 1.4.2013 das Überholen generell verboten (§ 19 Abs. 1 StVO; s. Rn. 359).
164
Bei einer ununterbrochenen Mittellinie oder einer Sperrfläche (Zeichen 298) darf sich ein Fahrer darauf verlassen, dass er nicht überholt wird, wenn dies nur durch Überfahren der Mittellinie oder Sperrfläche möglich ist.[102]
165
Ist ein Überholen ohne Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht möglich, so muss es unterbleiben; eine Geschwindigkeitsbegrenzung kann sich zugunsten des Gegenverkehrs als Überholverbot auswirken.[103]
166
Ein generelles Überholverbot an Kreuzungen besteht nicht. Jedoch ist z.B. das Überholen auf einer Vorfahrtstraße an einer nicht einsehbaren Kreuzung während des Berufsverkehrs unzulässig.[104]
c) Überholen von Abbiegenden
167
Bei fehlenden markierten Fahrspuren darf ein Fahrzeug nur links überholt werden. Wer jedoch seine Absicht nach links abzubiegen ankündigt und sich eingeordnet hat, ist rechts zu überholen (§ 5 Abs. 7 S. 1 StVO). Sollte das Rechtsüberholen nicht möglich sein, so muss vom Überholen abgesehen werden.[105] Biegt z.B. ein an einer Einmündung haltender Lkw nach rechts ab und kommt es dabei zum Zusammenstoß mit einem rechts überholenden Pkw, so haftet der Pkw-Fahrer zu 2/3.[106]
Bei einem Unfall zwischen einem Linksabbieger/Wendenden mit einem Überholer spricht der Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Abbiegers mit der Folge dessen voller Haftung.[107] Für eine Haftungsverteilung zu Gunsten des Linksabbiegers muss er die Beachtung der erhöhten Sorgfaltspflichten aus § 9 StVO nachweisen – Anzeige, Einordnen und Rückschau, wodurch für den Überholer eine unklare Verkehrslage gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO entstanden sein kann. Dazu gehört insbes. eine rechtzeitige Anzeige der Fahrtrichtungsänderung nach § 9 Abs. 1 S. 1 StVO, so dass der Folgeverkehr sich auf das Abbiegen einstellen kann. Maßgeblich dafür ist weniger die Entfernung vom Abbiegepunkt als vielmehr die Zeit zwischen Anzeigebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrgeschwindigkeit. Eine „unklare Verkehrslage", die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO das Überholen verbietet, liegt vor, wenn nach allen Umständen mit ungefährdetem Überholen nicht gerechnet werden darf. Dies ist anzunehmen, wenn an einem vorausfahrenden oder stehenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird, dies der nachfolgende Verkehr erkennen konnte und dem nachfolgenden überholenden Fahrzeugführer noch ein angemessenes Reagieren ohne Gefahrenbremsung möglich war.[108] Dagegen liegt keine unklare Verkehrslage vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug lediglich verlangsamt, selbst wenn es sich bereits etwas zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben sollte, der Fahrtrichtungsanzeiger aber nicht gesetzt war.[109] Das Überholen einer Kolonne kann bei einer Kollision mit einem Linksabbieger die Betriebsgefahr erhöhen[110] und den Anscheinsbeweis gegen den Abbiegenden entfallen lassen.[111]
Beruht ein Zusammenstoß zwischen einem links abbiegenden PKW und einem überholenden Motorrad auf einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß des überholenden Motorradfahrers – Verbot nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bei unklarer Verkehrslage zu überholen – kann die Haftungsabwägung nach § 17 StVG dazu führen, dass die Betriebsgefahr des links abbiegenden Fahrzeugs vollständig hinter dem Verursachungsanteil des Motorradfahrers zurücktritt.[112]
d) Markierte Fahrstreifen
168
Nach § 7 Abs. 3 StVO dürfen innerhalb geschlossener Ortschaften Pkw und Lkw bis 3,5 t auf Fahrbahnen mit mehreren markierten Fahrspuren auch ohne Verkehrsdichte den Fahrstreifen frei wählen und rechts schneller als links fahren. Fahrstreifen dürfen jedoch gem. § 7 Abs. 5 StVO nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.[113] Bei einer Kollision im Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel spricht der Beweis des ersten Anscheins für die Missachtung der Sorgfaltspflichten, die für den СКАЧАТЬ