Название: Bankrott und strafrechtliche Organhaftung
Автор: Jörg Habetha
Издательство: Bookwire
Серия: Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
isbn: 9783811438484
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4. Überschuldung
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Überschuldung (§ 19 InsO) rechtfertigt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, sofern juristische Personen (bzw. juristischen Personen in § 19 Abs. 3 InsO gleichgestellte Vermögensträger) in eine wirtschaftliche Krise geraten.[131] Hintergrund ist, dass juristische Personen und gleichgestellte Gesellschaften, in denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürlich Person ist, Dritten grundsätzlich nur mit ihrem Eigenkapital haften. Dieses Haftungskapital ist im Falle bilanzieller Überschuldung, wenn also die Passiva die Aktiva übersteigen, bereits „aufgezehrt“.[132] Der Überschuldungsbegriff ist in § 19 Abs. 2 InsO legaldefiniert. Überschuldung liegt danach vor, „wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“ (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO).
a) Rechtslage nach dem FMStG
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Die dargstellten – aktuell geltenden – insolvenzrechtlichen Voraussetzungen einer Überschuldung entsprechen inhaltlich der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung in Zivilsachen zur Konkursordnung (vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999).[133] Sie wurden durch das „Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpaketes zur Stabilisierung des Finanzmarktes“ (FMStG) erneut eingeführt.[134] Diese Regelung trat am Tage nach Verkündung des FMStG zum 18.10.2008 in Kraft.[135] Sie war ursprünglich i.S. einer „Interimslösung“ befristet zum 31.12.2010. Der Geltungszeitraum wurde durch das „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (FMStGÄndG) bis zum 31.12.2013 verlängert.[136] Im Anschluss war zunächst vorgesehen, dass zum 1.1.2014 die seit dem 1.1.1999 bis zum 17.10.2008 geltende Fassung[137] des § 19 Abs. 2 InsO erneut in Kraft tritt.[138] Die Befristung ist jedoch durch Art. 18 des „Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften“ entfallen.[139] Vor Einführung der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 war der Überschuldungsbegriff innerhalb der KO nicht legaldefiniert. Nach § 64 Abs. 1 S. 1 GmbHG a.F.[140] lag Überschuldung vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die Schulden nicht mehr deckte. Hieran knüpft sowohl der ab dem 1.1.1999 eingeführte, als auch der zuvor in Schrifttum und Rechtsprechung entwickelte und aktuell – nunmehr unbefristet – geltende, Überschuldungsbegriff im ersten Prüfungsschritt an (sogleich unten Rn. 32). Unterschiedliche Rechtsfolgen bewirkt dagegen das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose (unten Rn. 33 ff.).
b) Bilanzielle Überschuldung
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Der betriebswirtschaftlich geprägte Terminus „bilanzielle Überschuldung“ ist von den Voraussetzungen des Insolvenzgrundes der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) abzugrenzen. Bilanzielle Überschuldung ist Tatbestandsvoraussetzung des Eröffnungstatbestands sowohl nach aktuell geltender Rechtslage als auch nach der zuvor geltenden Fassung von § 19 InsO. Bilanzielle Überschuldung erfordert, dass die Passiva der Bilanz die Aktiva „übersteigen“.[141] Hierzu ist anhand von Liquidationswerten die rechnerische Überschuldung des Vermögens festzustellen.[142] Zur Beurteilung ist ein „Vergleich des Vermögens, das im Falle einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Insolvenzmasse zur Verfügung stände, mit den Verbindlichkeiten, die im Falle der Verfahrenseröffnung gegenüber Insolvenzgläubigern beständen“, durchzuführen.[143] Die Prüfung erfolgt durch die Gegenüberstellung sämtlicher Aktiva und Passiva innerhalb einer speziellen, stichtagsbezogenen Überschuldungsbilanz.[144] Ein unmittelbarer Rückgriff auf eine bestehende Handelsbilanz ist auf Grund der darin berücksichtigten, formalisierten Bewertungsregeln (§§ 346 ff. HGB) ungeeignet.[145] Die Handelsbilanz kann allenfalls wegen der enthaltenen Vermögensübersicht als Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines Überschuldungsstatus herangezogen werden.[146] Relevante Aktiva sind alle Vermögenswerte, die im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwertbare Massebestandteile darstellen.[147] „Stille Reserven“ sind zu berücksichtigen.[148] Als Passiva werden alle Verbindlichkeiten angesetzt, die im Fall einer zeitnahen Insolvenzverfahrenseröffnung Insolvenzforderungen begründen.[149] Erfasst werden Forderungen aus eigenkapitalersetzenden Darlehen,[150] nicht aber Eigenkapital und freie Rücklagen.[151]
c) Positive Fortführungsprognose
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Die Prüfung, ob eine Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner selbst oder durch die Veräußerung des Unternehmens „als werbende Einheit“ überwiegend wahrscheinlich ist, gestaltet sich rechtstatsächlich häufig schwierig.[152] Entscheidend ist, ob die Fortführung des Unternehmens wahrscheinlicher ist als dessen Stilllegung.[153] Grundvoraussetzung ist der „Fortführungswille“ des Betroffenen als subjektives Element. Darüber hinaus erfolgt die Prüfung am Maßstab objektiver Kriterien.[154] Danach ist festzustellen, ob die ökonomische Ertrags- und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens auf absehbare Zeit gewährleistet ist oder wiederhergestellt werden kann,[155] so dass das Unternehmen künftig „lebensfähig“ ist und (wieder) am Markt agieren kann.[156] Maßgeblich ist, ob sich ein ordentlicher Geschäftsleiter auf der Grundlage einer gewissenhaften, sachkundigen Prüfung aller erkennbaren maßgeblichen Umstände für die Fortführung des Unternehmens entscheiden würde.[157] Hierzu ist ebenfalls eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen gefertigte Liquiditätsplanung[158] sowie die Prüfung des konkreten Unternehmenskonzepts erforderlich.[159] Die Ausdehnung des relevanten Prognosezeitraums ist auch in diesem Zusammenhang umstritten. Notwendig ist jedenfalls eine mittelfristige Prognose.[160] Ob der Prognosezeitraum mindestens bis zum Ablauf des nächsten Geschäftsjahres andauern oder darüber hinaus sogar mehr als zwei Jahre[161] betragen sollte, ist im Schrifttum umstritten. Es erscheint auch in diesem Kontext zweifelhaft, ob die Festlegung starrer Mindestprognosezeiträume sinnvoll ist, da ein im Einzelfall zu lang bemessener Zeitraum wiederum die Prognosesicherheit beeinträchtigt. Es wird daher von Teilen des Schrifttums auch insoweit auf einen individuell, in Abhängigkeit des betroffenen Unternehmens zu bemessenden Zeitraum – damit auf eine für den jeweils betroffenen Gemeinschuldner betriebswirtschaftlich noch überschaubare Zeitspanne – abgestellt.[162]
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Die derzeit (und bereits vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung) geltende „Fassung“ des Überschuldungstatbestands und die nach Einführung der Insolvenzordnung zunächst geltende Rechtslage, führen durch eine abweichende gesetzliche Integration der positiven Fortführungsprognose in den Eröffnungstatbestand zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nach der aktuell, nunmehr unbefristet geltenden Rechtslage führt das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose ohne weiteres zum Ausschluss des Insolvenztatbestands (§ 19 Abs. 2 Hs. 2 InsO). Hiernach steht das exekutorische Element (Vermögensvergleich nach Liquidationswerten) gleichwertig neben dem weiteren, prognostischen Element der Fortführungsprognose.[163] Die Voraussetzungen einer Überschuldung liegen daher nur vor, wenn die Finanzkraft des Unternehmens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung СКАЧАТЬ