Название: Der Verletzte im Sinne des § 172 StPO bei Vermögensdelikten zum Nachteil von Kapitalgesellschaften
Автор: David Albrecht
Издательство: Bookwire
Серия: Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
isbn: 9783811441590
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Hinsichtlich der Auslegung des Verletztenbegriffs wird sich zeigen, dass die überwiegend für erforderlich gehaltene Voraussetzung der Unmittelbarkeit der Rechtsverletzung nicht sachgerecht ist. Da das Klageerzwingungsverfahren neben der Kontrolle des Legalitätsprinzips auch der Realisierung des durch die Straftat hervorgerufenen berechtigten Genugtuungsinteresses des Verletzten dient, ist verletzt i.S.d. § 172 StPO diejenige Person, die ein derartiges Interesse hat. Berechtigt ist ein tatsächlich bestehendes Genugtuungsinteresse des Betroffenen dann, wenn es vom Recht als schutzwürdig anerkannt wird. Es wird sich zeigen, dass die Frage der rechtlichen Anerkennung im Ergebnis vom materiellen Strafrecht abhängt. Durch die Schaffung des jeweiligen Straftatbestandes entscheidet der Gesetzgeber darüber, wessen Interessen durch die Norm rechtlich geschützt werden. Damit bestimmt er zugleich, wessen Verlangen nach Genugtuung für einen erlittenen Nachteil als berechtigt gelten soll.
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Wer Verletzter i.S.d. §§ 171, 172 StPO bei einer gegen das Vermögen einer Kapitalgesellschaft gerichteten Straftat ist, hängt somit davon ab, wem das Gesellschaftsvermögen strafrechtlich zuzuordnen ist. Hinsichtlich der Frage der Vermögenszuordnung im Strafrecht stehen sich zwei Grundpositionen gegenüber. Überwiegend wird eine zivilrechtsakzessorische Vermögenszuordnung für richtig gehalten. Dies lehnen Teile der Literatur zugunsten einer strafrechtsspezifischen Bestimmung der Vermögensinhaberschaft ab. Im Rahmen der Arbeit soll untersucht werden, nach welchen Kriterien die Vermögenszuordnung zu erfolgen hat und welche Konsequenzen sich daraus für die strafrechtliche Behandlung von Kapitalgesellschaften ergeben. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf die Gesellschaftsformen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und der Aktiengesellschaft (AG). Sie sind nicht nur die am weitesten verbreiteten[5] und damit praktisch bedeutsamsten Arten von Kapitalgesellschaften, sie bilden zudem auch die Grundformen der übrigen Kapitalgesellschaftstypen wie etwa der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) und der Unternehmergesellschaft (UG)[6].
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Gegenstand der Arbeit sind ausschließlich die sogenannten Vermögensdelikte im engeren Sinne,[7] d.h. diejenigen Tatbestände, die das Vermögen als Ganzes schützen sollen. Außer Betracht bleiben damit solche Tatbestände, die bloß bestimmte Arten von Vermögen (z.B. das Eigentum, §§ 242, 246, 303 StGB) oder Teile desselben (so etwa die §§ 248b, 288 ff. StGB) zum Gegenstand haben.[8] Die mit Abstand größte praktische Relevanz besitzen dabei die Tatbestände der Untreue (§ 266 StGB) und des Betrugs (§ 263 StGB), die deshalb im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollen. Da die Vermögenszuordnung von der Frage abhängt, welche Herrschaftspositionen über einen Gegenstand strafrechtlich schutzwürdig sind, wird in einem ersten Schritt auf den strafrechtlichen Vermögensbegriff eingegangen (Rn. 101 ff.). Den Vorzug erhalten dabei diejenigen Lehren, die den Vermögensbegriff weder rein zivilrechtsakzessorisch, noch ausschließlich anhand wirtschaftlicher Kriterien bestimmen. Die zutreffende Bestimmung schutzwürdiger Herrschaftsbeziehungen muss stattdessen sowohl am Maßstab ihrer wirtschaftlichen Werthaltigkeit als auch ihrer Anerkennung durch das Zivilrecht erfolgen. Die erstgenannte Voraussetzung folgt aus dem Zweck des Strafrechts, materielle Interessen zu schützen. Die Berücksichtigung zivilrechtlicher Wertungen soll demgegenüber zum einen gewährleisten, dass nur solche Herrschaftspositionen strafrechtlichen Schutz erfahren, die auch vom Zivilrecht anerkannt werden. Dadurch wird vermieden, dass ein Verhalten unter Strafe steht, das zivilrechtlich erlaubt ist. Zum anderen ermöglicht die Anknüpfung an das Zivilrecht es, die Zuordnung von Vermögensgegenständen anhand des dort geltenden Ordnungsrahmens vorzunehmen. Eine rein wirtschaftliche Betrachtung böte dagegen keine verlässlichen Kriterien der Vermögenzuordnung. Für die Frage, wer Inhaber von Vermögenswerten im Strafrecht sein kann, hat dies zur Konsequenz, dass zunächst von der Zivilrechtslage auszugehen ist. Es kommen daher grundsätzlich nur solche Subjekte in Betracht, die rechtsfähig sind. Entsprechend dem Zweck des Strafrechts ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob das Subjekt Träger materieller Vermögensinteressen sein kann. Ausgeschieden werden damit solche Subjekte, die zwar formal rechtsfähig sind, deren Vermögen jedoch nicht um ihrer selbst willen, sondern allein deshalb rechtlich geschützt wird, weil Dritte ein wirtschaftliches Interesse an ihrem Vermögensbestand haben.
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Da Kapitalgesellschaften rechtliche Konstrukte sind, hängt die Bejahung eines eigenen materiellen Vermögensinteresses entscheidend davon ab, ob das Recht ihnen ein solches zugesteht. Eine Untersuchung insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Regelungen wird ergeben, dass das Gesellschaftsvermögen von GmbH und AG nicht im Interesse der juristischen Personen selbst, sondern ausschließlich zugunsten ihrer Gesellschafter bzw. Gläubiger geschützt wird. Die Kapitalgesellschaft ist letztlich nichts anderes als ein „Werkzeug“, das von den hinter ihr stehenden natürlichen Personen verwendet wird, um sich im wirtschaftlichen Bereich zu betätigen. Dies hat für die strafrechtliche Beurteilung zur Folge, dass Inhaber des Gesellschaftsvermögens nicht die Kapitalgesellschaften, sondern ihre Gesellschafter sind. Was die Ausgestaltung der Vermögensinhaberschaft angeht, wird sich zeigen, dass das Gesellschaftskapital den Anteilseignern nicht nach Bruchteilen, sondern der Gruppe der Gesellschafter zur gesamten Hand zuzuordnen ist. Dies folgt aus der zwischen den Anteilseignern vereinbarten Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens, die auch im Strafrecht Beachtung finden muss. Verletzte i.S.d. §§ 171, 172 StPO eines gegen die Kapitalgesellschaft gerichteten Vermögensdelikts ist somit die Gruppe der Anteilseigner der Gesellschaft.
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Schließlich stellt sich die Frage, in welcher Weise das der Gesellschaftergruppe zustehende Antragsrecht des § 172 StPO auszuüben ist. Hier wird sich zeigen, dass eine Parallele zwischen dem Antrag auf Klageerzwingung und der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zugunsten der Gesellschaft besteht. Dies hat zur Folge, dass die gesellschaftsrechtlichen Regelungen zur Vertretung der Gesellschaft bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen auf die Ausübung des Klageerzwingungsrechts entsprechend anwendbar sind. Vorbehaltlich zulässiger abweichender Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag kann somit auf die Vertretungsvorschriften in GmbHG und AktG zurückgegriffen werden. Aus ihnen folgt, dass grundsätzlich die Geschäftsführer bzw. der Vorstand berechtigt sind, den Antrag gem. § 172 StPO im Namen der Gesellschaftergruppe zu stellen. Besonderheiten ergeben sich vor allem dann, wenn sich das eingestellte Strafverfahren gegen ein Mitglied dieser Organe richtete. Um in derartigen Fällen Interessenkollisionen zu vermeiden, sehen GmbHG und AktG ausnahmsweise Vertretungsbefugnisse der Mitgliederversammlung bzw. des Aufsichtsrats und in begrenztem Umfang der Hauptversammlung vor.
Anmerkungen
KK-Moldenhauer § 172 Rn. 5.
KK-Moldenhauer § 175 Rn. 6.
OLG Hamm StV 2002, 128 (129); OLG München NStZ 2008, 403 (404); LR-Graalmann-Scheerer § 175 Rn. 17 ff.; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, § 41 Rn. 15; a.A. SK-StPO-Wohlers § 175 Rn. 2; KK-Moldenhauer § 172 Rn. 5.
S. die Darstellung des Meinungsstands zur Auslegung des Verletztenbegriffs der §§ 171, 172 StPO in Rn. 9 ff.