Название: Insolvenzstrafrecht
Автор: Gerhard Dannecker
Издательство: Bookwire
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811440494
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Die in der Praxis vorkommende Konstellation, dass der Insolvenzverwalter zunächst eine Auskunft durch den Schuldner erlangt und sich dann durch die Lektüre der Unterlagen vergewissert, soll dahingehend gelöst werden, dass zwar die Auskunft des Schuldners nicht verwendbar sein soll, wohl aber die sich aus den Unterlagen ergebenden Erkenntnisse.[57] Begründet wird dies zum einen damit, dass die Vorlage von Geschäftsunterlagen kein Teil der Erfüllung der Auskunftspflichten, die in aller Regel mündlich erfolge, sei[58] und zum anderen dem Schuldner nicht die Möglichkeit eröffnet werden solle, durch eine besonders umfangreiche Auskunftserteilung auch die Verwendung inhaltsgleicher Unterlagen zu verhindern.[59] Ein weiteres Problem wird darin gesehen, dass die Staatsanwaltschaft in ihren Ermittlungen auf die Insolvenzakte zugreifen kann; vereinzelt wird gefordert, dass nach § 97 Abs. 1 InsO „erzwungene“ Auskünfte des Schuldners aus der Insolvenzakte zu entfernen seien, um dem nemo-tenetur-Grundsatz Rechnung zu tragen.[60] Dies wird jedoch mangels Vorliegens einer entsprechenden strafprozessualen Regelung abgelehnt.[61]
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Ebenfalls unter das Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO fallen Erkenntnisse, die dem Insolvenzverwalter aus der Kontrolle der Post nach § 99 InsO (so genannte Postsperre),[62] die sich auch auf die Verteidigerpost eines in U-Haft befindlichen Schuldners erstrecken kann, bekannt werden.[63]
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Umstritten ist die Frage, inwiefern Aussagen, die der Schuldner gegenüber einem vom Gericht im Eröffnungsverfahren bestellten Gutachter getätigt hat, einem Beweisverwendungsverbot unterfallen. Bei rein formaler Betrachtung handelt es sich bei einem Gutachter nicht um eine der in § 97 Abs. 1 S. 1 InsO genannten Personen.[64] In teleologischer Hinsicht wird der Schuldner aber zumeist einem mittelbaren Zwang unterliegen, da der Gutachter bei verweigerter Auskunft alsbald durch einen Insolvenzverwalter ersetzt werden würde, demgegenüber der Schuldner dann auskunftspflichtig ist. Daher liegt eine Erstreckung des Verwerndungsverbotes nahe.[65]
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Das Schweigen des Schuldners im Insolvenzverfahren fällt nicht unter das Verwertungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, es kann daher unproblematisch zu dessen Lasten verwendet werden.[66]
Ob Auskünfte des Schuldners zu dessen Gunsten verwertet werden können, ist umstritten. Weder aus dem Wortlaut des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO noch aus der Gesetzesbegründung ergeben sich Anhaltspunkte für eine mögliche Verwertung der Auskünfte zugunsten des Schuldners. Bei teleologischer Auslegung, die sich am Zweck des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO als Ausprägung des nemo-tenetur-Grundsatzes orientiert, müssen allerdings für den Schuldner günstige Auskünfte im Strafverfahren verwendet werden können.[67]
c) Beweisverwertungsverbote bei Urteilsabsprachen
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Auch in Konstellationen von Urteilsabsprachen (den so genannten Deals) ergeben sich vielfältige Probleme. Vor der gesetzlichen Normierung der Urteilsabsprachen[68] in § 257c StPO durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung in Strafsachen vom 29.7.2009[69] herrschte Uneinigkeit in Rechtsprechung und Literatur über die Möglichkeit einer Geständnisverwertung bei missglückten Absprachen.[70] Zwar ist das Gericht grds. an die Absprache gebunden, allerdings entfällt gem. § 257c Abs. 4 S. 1 StPO die Bindung an eine Verständigung dann, „wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist“. Dies ist bspw. in Konstellationen denkbar, in denen das Gericht wegen schwerwiegender neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen möchte. Auch ein Verhalten des Angeklagten im Prozess, das mit dem der Verständigung zugrunde gelegten nicht übereinstimmt, kann gem. § 257c Abs. 4 S. 2 StPO die Bindung an die Absprache entfallen lassen.
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Während der Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren[71] für diese Fälle in § 243a Abs. 6 S. 3 StPO die Verwertbarkeit eines einmal gemachten Geständnisses vorsah, hat in § 257c Abs. 4 S. 3 StPO ein Verwertungsverbot für das im Rahmen der Absprache getätigte Geständnis Eingang gefunden,[72] so dass sich zumindest die Frage der unmittelbaren Verwertung des Geständnisses nicht mehr stellt. Das Verwertungsverbot soll laut OLG Düsseldorf auch für die nächste Instanz gelten.[73]
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Ungeklärt bleibt allerdings die Frage der Verwertbarkeit von Ergebnissen aus Folgeermittlungen, ob dem Beweisverwertungsverbot also darüber hinaus eine Fernwirkung zukommt und damit etwaige aufgrund des Geständnisses ermittelte weitere Beweise ebenfalls unverwertbar sind. Da nach wohl überwiegender Meinung ein derartiges Fernwirkungsverbot dem deutschen Strafverfahrensrecht grds. fremd ist,[74] wird ein solches auch nicht für ein nach § 257c Abs. 4 S. 3 StPO unverwertbares Geständnis zu begründen sein.[75]
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › F. Verzahnung von Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht › III. Sicherung der Masse durch Außenstehende, Eingriffe in die Unternehmensorganisation
1. Sicherung der Masse durch Außenstehende
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In der Praxis sehen in Schieflage geratene Unternehmen häufig den vermeintlich einzigen Ausweg in der Bestellung von (teilweise dubiosen) Unternehmensberatern, Steuerberatern oder Rechtsanwälten. Diese werden als externe „Sanierer“ mit der Sicherung der Masse beauftragt. Ihnen stehen dazu verschiedene Instrumentarien zur Verfügung. Sie können bspw. auf vorhandene Gläubiger einwirken und sie zur Bildung einer irgendwie gearteten Gläubigervereinigung bewegen. Oftmals schließen sich einzelne Gläubiger zur Verbesserung der eigenen Position aber auch selbstständig zusammen. Es entstehen Gläubigerpools, Gläubigerfonds, Auffang-, Sanierungs- oder Betriebsübernahmegesellschaften. Auf diese Konstrukte gilt es aus strafrechtlicher wie aus insolvenzrechtlicher Sicht ein besonderes Augenmerk zu legen.[76]
aa) Vom Poolvertrag im Allgemeinen und dem Sicherungspool im Besonderen
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Im Wirtschaftsleben wird man häufig mit dem Begriff des „Pools“ konfrontiert (s. auch Rn. 1252 ff.). In der angloamerikanischen Rechtssprache bezeichnet dies eine vorübergehende vertragliche Personen- oder Unternehmensvereinigung, deren Vertragsbeteiligte die gemeinschaftlich koordinierte Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer gleichartigen Rechtspositionen verfolgen. Von einem solchen Vorgehen versprechen sich die Poolmitglieder Vorteile gegenüber einer isoliert und individuell operierenden Rechtswahrnehmung und -durchsetzung. Ein „Pool“ charakterisiert und motiviert sich demzufolge gleichermaßen durch die Gleichgerichtetheit der Interessen unterschiedlicher Mitglieder.[78] Je nach Zielsetzung treten Poolverträge im Rechtsverkehr in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf.
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