Название: Klausurenkurs im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht
Автор: Christoph Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия: Schwerpunkte Klausurenkurs
isbn: 9783811484481
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Fall 2 Wildschweinjagd im Binnenmarkt › Lösungsvorschlag
Lösungsvorschlag
Das Vertragsverletzungsverfahren hat Aussicht auf Erfolg, soweit es zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens
I. Zuständigkeit des Gerichtshofes
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Gemäß Art. 258 Abs. 2 bzw. Art. 259 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 19 Abs. 1 lit. a EUV ist für das Vertragsverletzungsverfahren der Gerichtshof der Europäischen Union (GHEU) zuständig. Der GHEU umfasst gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 EUV den Gerichtshof, das Gericht sowie die Fachgerichte. Aus der Aufzählung in Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 AEUV ergibt sich, dass der Gerichtshof für Vertragsverletzungsverfahren zuständig ist. Gegenteiliges folgt auch nicht aus Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 AEUV i.V.m. Art. 51 der Satzung des GHEU. Damit ist der Gerichtshof zuständig.
II. Beteiligtenfähigkeit
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Die Voraussetzungen der Beteiligtenfähigkeit müssten vorliegen. Die Europäische Kommission ist gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV aktivlegitimiert, während die Mitgliedstaaten passivlegitimiert sind (sogenannte Aufsichtsklage). Nach Art. 259 Abs. 1 AEUV ist neben der Kommission auch jeder Mitgliedstaat aktivlegitimiert (sogenannte Staatenklage).
Vorliegend klagt die Kommission gegen den EU-Mitgliedstaat B, sodass es sich um eine Aufsichtsklage gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV handelt. Mit der Kommission als Klägerin sowie dem Mitgliedstaat B als Beklagtem sind die Anforderungen an die Beteiligtenfähigkeit erfüllt.
III. Klagegegenstand
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Es müsste ein tauglicher Klagegegenstand vorliegen. Art. 258 Abs. 1 AEUV setzt einen Verstoß des betreffenden Mitgliedstaats gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen voraus. Aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass damit Verstöße sämtlicher staatlicher Einrichtungen des Mitgliedstaates gemeint sind. Erfasst sind zunächst vor allem primärrechtliche Pflichtverstöße. Entgegen dem Wortlaut des Art. 258 Abs. 1 AEUV ist aber auch ein sekundärrechtlicher Pflichtverstoß tauglicher Klagegegenstand.
Vorliegend erfolgt der Verstoß gegen Art. 34 AEUV seitens B möglicherweise durch das erlassene Verwendungsverbot von Nachtzielgeräten (NZGs) bei der Jagd gemäß § 19 BJagdG. Ein tauglicher Klagegegenstand liegt damit vor.
IV. Vorverfahren
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Gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV müsste das vor Klageerhebung erforderliche Vorverfahren ordnungsgemäß (aber erfolglos) durchgeführt worden sein. Das Vorverfahren ist zweistufig und setzt ein Mahnschreiben der Kommission an den betreffenden Mitgliedstaat („Gelegenheit zur Äußerung“) sowie eine „mit Gründen versehene Stellungnahme“ der Kommission voraus.[1]
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Hinweis:
Ausnahmen vom Erfordernis des Vorverfahrens i.S.v. Art. 258 AEUV finden sich in Art. 108 Abs. 2 AEUV (Anrufung des GHEU nach Feststellung einer unionsrechtlich unzulässigen Beihilfe), Art. 114 Abs. 9 AEUV (Anrufung des GHEU bei Missbrauch der mitgliedstaatlichen Befugnisse gemäß Art. 114 AEUV) und Art. 348 Abs. 2 AEUV (Anrufung des GHEU wegen Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen aufgrund Maßnahmen gemäß Art. 346, 347 AEUV). Im Rahmen des Art. 126 Abs. 1 bis 9 AEUV (Haushaltsdisziplin) ist das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258, 259 AEUV gar in Gänze ausgeschlossen.
1. Mahnschreiben der Kommission an B
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Zur Eröffnung des Vorverfahrens müsste die Kommission die Regierung von B vorab gemahnt haben. Ein ordnungsgemäßes Mahnschreiben setzt voraus, dass die Kommission dem Mitgliedstaat schriftlich mitteilt, auf Grundlage welcher faktischen und rechtlichen Tatsachen sie den Vertragsverstoß annimmt. Zudem muss die Kommission die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens in dem Mahnschreiben ankündigen und dem Mitgliedstaat eine Frist zur Äußerung einräumen, die in der Regel zwei Monate beträgt.
Aus dem Sinn und Zweck des Mahnschreibens ergibt sich, dass dieses als erste, knappe Zusammenfassung der dem Mitgliedstaat vorgeworfenen unionsrechtlichen Verletzung dient und dass keine zu hohen Anforderungen an den Inhalt des Mahnschreiben gestellt werden dürfen.[2] Das Mahnschreiben legt zugleich den Streitgegenstand für das spätere Verfahren vor dem Gerichtshof fest, sodass eine nachträgliche Erweiterung des Streitgegenstandes weder im Rahmen der späteren Stellungnahme noch mit Klageerhebung erfolgen kann.[3]
Die Kommission hat B bezüglich des angeblichen Verstoßes gegen Art. 34 AEUV schriftlich gemahnt, ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht und B eine zweimonatige Frist zu Äußerung gegeben. Die Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Mahnschreibens sind damit erfüllt.
2. Stellungnahme der Kommission vor Klageerhebung
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Zudem müsste die Kommission vor Klageerhebung eine Stellungnahme abgegeben haben. Aus der Stellungnahme muss für den Mitgliedstaat zum einen hervorgehen, gegen welche konkreten unionsrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaat verstoßen haben soll, zum anderen müssen die Tatsachen und Rechtsgründe hierfür benannt werden. Darüber hinaus muss die Stellungnahme gemäß Art. 258 Abs. 2 AEUV mit einer Frist versehen sein, die es dem Mitgliedstaat ermöglicht, die Unionsrechtsverletzung abzustellen, um ein Verfahren СКАЧАТЬ