Название: Klausurenkurs im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht
Автор: Christoph Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия: Schwerpunkte Klausurenkurs
isbn: 9783811484481
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Die Rechtfertigungsdogmatik des GATT enthält zum einen die allgemeinen Ausnahmen gemäß Art. XX GATT, zum anderen spezielle Ausnahmen beispielsweise zur Wahrung der Sicherheit gemäß Art. XXI GATT sowie für handelspolitische Schutzinteressen.
a) Die allgemeinen Ausnahmen gemäß Art. XX GATT
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Der Appellate Body wendet zur Prüfung des Art. XX GATT einen sogenannte „two-tier“-Test an, der aus folgenden Elementen besteht: (1) Prüfung der legitimen Ziele der abschließenden Liste gemäß Art. XX lit. a-j GATT sowie (2) Prüfung des sogenannten „chapeau“. Für die Prüfung der legitimen Ziele ist zu beachten, dass diese in einer bestimmten Beziehung zum Schutzgut stehen müssen. Während die nationale Maßnahme im Falle von Art. XX lit. a, b und d GATT erforderlich sein muss („necessary“), bedarf es im Falle von Art. XX lit. c, g und e GATT lediglich eines Bezuges zum angestrebten Ziel („relating to“).[47] Voraussetzung des „chapeau“, d.h. der Einführungsklausel des Art. XX GATT, ist, dass die Anwendung der nationalen Maßnahme keine willkürliche und ungerechtfertigte Diskriminierung oder verschleierte Handelsbeschränkung darstellt. Die Anforderungen des „chapeau“ bilden ein einheitliches Prinzip, das eine rechtsmissbräuchliche Anwendung der Rechtfertigungsmöglichkeiten gemäß Art. XX GATT verhindern soll (siehe Fall 3, Rn. 243 und Fall 15, Rn. 914).[48]
b) Das Problem der extraterritorialen Wirkung von nationalen Maßnahmen
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Im Falle von nationalen Vermarktungsverboten, die auf bestimmte allgemeinwohlbezogene Herstellungs- oder Produktionsmethoden abstellen, ergibt sich allerdings die besondere Problematik, dass mittels einer solchen Maßnahme eines WTO-Mitglieds die Hersteller anderer WTO-Mitglieder mittelbar dazu veranlasst werden, die Erzeugnisse unter Wahrung der festgelegten allgemeinwohlbezogenen Herstellungsmethode herzustellen, da anderenfalls eine Vermarktung im Einfuhrstaat ausgeschlossen ist. Nach den Ausführungen des Appellate Body in US–Shrimp ist eine nationale Maßnahme, die aufgrund der Regulierung von Herstellungsmethoden Auswirkungen auf außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets liegende Sachverhalte hat, grundsätzlich zulässig, soweit eine „ausreichende Verbindung“ („sufficient nexus“) zwischen dem regulierenden Staat und dem Regulierungsgegenstand besteht,[49] wenngleich deren Ausgestaltung fraglich bleibt. So könnte einerseits Anforderung an den Nexus eine physisch-territoriale Verbindung zwischen dem regulierenden Staat und dem Regulierungsgegenstand sein,[50] was mit den Ausführungen des Appellate Body in der Sache US–Shrimp übereinstimmen würde, in der das US-Verbot von Shrimps aus Staaten, in denen keine seeschildkrötenfreundlichen Fangnetze verwendet wurden, angesichts der weitläufigen Migrationswege von Seeschildkröten – u.a. in die US-Gewässer – gerechtfertigt werden konnte (gemäß Art. XX lit. g GATT).[51] Damit können insbesondere Maßnahmen, die transnationale Sachverhalte wie etwa den Klimawandel betreffen, durchaus gemäß Art. XX GATT gerechtfertigt werden.
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Andererseits muss allerdings in Anbetracht der allgemein völkerrechtlichen Erwägung, dass die Souveränität eines Staates nicht nur die Gebiets-, sondern auch die Personalhoheit umfasst,[52] die schlichte innerstaatliche Zielrichtung einer nationalen Maßnahme ausreichen. So erachtete der Appellate Body in der Sache EC–Seals eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Wertvorstellungen innerhalb der Union als einen ausreichenden Nexus.[53] Hieraus wird deutlich, dass ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Bewertung der „ausreichenden Verbindung“ die Frage ist, wem der Schutz zugutekommen soll, nämlich regelmäßig vor allem der heimischen Bevölkerung (siehe Fall 15, Rn. 917 ff.).
4. Anforderungen an regionale Handelsabkommen gemäß Art. XXIV GATT
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Mit Blick auf die regionale Wirtschaftsintegration sind vor allem die einschlägigen Vorschriften betreffend wirtschaftlicher Integrationsabkommen zu beachten, d.h. für den Warenhandel Art. XXIV GATT bzw. für den Dienstleistungshandel Art. V GATS, die sich in ihren materiellen Anforderungen an regionale Handelsabkommen stark ähneln. Gemäß den genannten Vorschriften sind regionale Wirtschaftsintegrationsabkommen zulässig, die aufgrund der durch das jeweilige Abkommen gegenüber einem begrenzten Kreis von WTO-Mitgliedern gewährten Begünstigungen grundsätzlich einen Verstoß gegen den Meistbegünstigungsgrundsatz darstellen würden.
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Gemäß Art. XXIV:4 GATT erkennen die WTO-Mitglieder an, dass es wünschenswert ist, durch freiwillige Vereinbarungen zur Förderung der wirtschaftlichen Integration der teilnehmenden Länder eine größere Freiheit des Handels herbeizuführen. Dabei regelt Art. XXIV:5, 8 GATT grundsätzlich lediglich die Zulässigkeit von Zollunionen und Freihandelsabkommen, deren Zweck es sein soll, den Handel zwischen den teilnehmenden Staaten zu erleichtern. Art. XXIV GATT erlaubt damit die Errichtung von Freihandelszonen bzw. Zollunionen, soweit die eingeführten Zölle und Handelsvorschriften für den Handel in ihrer Gesamtheit nicht höher oder einschränkender als vor der Bildung der jeweiligen Integrationsgemeinschaft sind (Art. XXIV:5 lit. a, b GATT) sowie das jeweilige Abkommen annähernd den gesamten Handel betrifft (Art. XXIV:8 lit. a, b GATT). Die Auslegung der dargelegten Begrifflichkeiten ist aufgrund ihrer Unbestimmtheit vergleichsweise schwierig. Nach dem Appellate Body in Turkey – Textiles ist „annähernd der gesamte Handel“ nicht das Gleiche wie „der gesamte Handel“, bedeutet aber gleichzeitig deutlich mehr als „some of the trade“.[54] Zudem sind für die Bewertung sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte heranzuziehen (siehe Fall 1, Rn. 97).[55]
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Hinweis:
Für Dienstleistungsabkommen gelten gemäß Art. V GATS grundsätzlich vergleichbare Anforderungen, nämlich die Erstreckung auf einen beträchtlichen sektoralen Geltungsbereich (Art. V:1 lit. a GATS) sowie keine Erhöhung des allgemeinen Niveaus der Hemmnisse für den Dienstleistungshandel in den jeweiligen (Teil-)Sektoren (Art. V:4 GATS). Hinsichtlich des Kriteriums des „beträchtlichen sektoralen Geltungsbereichs“ konkretisiert die Fußnote 1 zu Art. V GATS, dass diese Bedingung die Zahl der Sektoren, das betroffene Handelsvolumen und die Erbringungsformen (modes of supply i.S.v Art. I GATS) betrifft; insbesondere soll keine Erbringungsform in einem Integrationsabkommen ausgeschlossen sein.
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Darüber hinaus bedarf es einer angemessenen Zeitspanne zur Umsetzung der Zollunion bzw. des Freihandelsabkommens i.S.v. Art. XXIV:5 lit. c GATT sowie der Notwendigkeit der jeweiligen Handelsregelung für die Verwirklichung der Zollunion bzw. des Freihandelsabkommens (vgl. den Wortlaut des Art. XXIV:5 GATT [„zur Bildung“] sowie die Rechtsprechung des Appellate Body in der Rechtssache Turkey – Textiles[56]).
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Gemäß Art. XXIV:7 GATT bzw. Art. V:7 GATS besteht zudem eine Notifizierungspflicht für regionale Integrationsabkommen. Durch den Transparenzmechanismus für Regionale Handelsabkommen von 2006 wurde diese Notifizierungspflicht im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt präzisiert. Danach sollen die WTO-Mitglieder im Rahmen einer frühzeitigen Bekanntmachung möglichst bereits die Aufnahme von Verhandlungen anzeigen, die auf den Abschluss eines Abkommens gerichtet sind. Die eigentliche Notifizierung soll „so früh wie möglich“, d.h. im Regelfall unmittelbar nach der völkerrechtlichen Ratifizierung und in jedem Fall vor der eigentlichen Anwendung des Abkommens erfolgen.[57] Der Transparenzmechanismus stellt allerdings allein ein zusätzliches verfahrensrechtliches Element dar, durch das die Transparenz der vielfältigen Abkommensbeteiligungen СКАЧАТЬ