Drei Dichter ihres Lebens. Stefan Zweig
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Название: Drei Dichter ihres Lebens

Автор: Stefan Zweig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783750242401

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СКАЧАТЬ schenkender Jupiter, der zugleich mit der Glut seiner Adern auch mit goldenem Regen die Geliebte überströmt. Und daß er, auch hierin Jupiter gleich, dann bald wieder in Wolken entschwindet – »ich habe die Frauen rasend geliebt, aber ich habe ihnen stets die Freiheit vorgezogen« –, das mindert nicht, nein, erhöht nur seinen Nimbus, denn gerade durch das Gewitterhafte seines Einbruchs und Entschwindens bleibt ihnen Erinnerung an diesen Einen und Außergewöhnlichen, das unwiederholbare herrliche Abenteuer, und ernüchtert sich nicht wie bei andern zu Gewohnheit und banaler Beischläferei. Jede dieser Frauen fühlt instinktiv einen Mann wie diesen unmöglich als Gatten: nur als an den Liebhaber, den Gott einer Nacht, wird sie sich seiner im Blute erinnern. Obwohl er jede verläßt, wird keine ihn doch anders wollen, als er gewesen: darum braucht Casanova nur genau so zu sein, wie er ist, also ehrlich in seiner ungetreuen Leidenschaft, und er wird jede gewinnen.

      Ich sagte eben: ehrlich, ein bei Casanova erstaunliches Wort. Aber es hilft nichts: gerade im Liebesspiel muß man diesem abgestraften Falschspieler und gerissenen Gauner eine Art Redlichkeit zuerkennen. Casanovas Beziehung zu den Frauen ist wirklich ehrlich, weil bloß bluthaft, bloß sinnlich. Beschämend, dies zu vermerken, aber immer beginnt ja die Unwahrhaftigkeit in der Liebe erst mit der Einmengung höherer Gefühle. Der dumpfe brave Bursche Körper selbst lügt nicht, er übertreibt niemals seine Überspannungen und Begehrlichkeiten über das naturgemäß Erreichbare hinaus. Erst wenn der Geist und das Gefühl sich einmengen, sie, die ihrem beflügelten Wesen gemäß ins Grenzenlose führen, wird alle Leidenschaft übertreiblich und phantasiert Ewigkeiten in unsere irdischen Beziehungen hinein. Casanova, der nie über den Rand des Körperlichen hinaus schwelgt, hat es darum leicht, zu halten, was er verspricht, er gibt aus dem prachtvollen Magazin seiner Sinnlichkeit Lust gegen Lust, Leib gegen Leib, und gerät niemals in Seelenschuld. Darum fühlen sich auch seine Frauen post festum nicht in platonischen Erwartungen betrogen, denn gerade weil dieser scheinbar Frivole keine anderen Entzückungen als die Spasmen des Geschlechts von ihnen fordert, weil er sie nicht in Unendlichkeiten des Gefühls hinaufredet, wird er ihnen immer Ernüchterung ersparen. Es steht jedem frei, solche Art der Erotik niedere Liebe, bloß geschlechtliche, hauthafte, seelenlose und animalische zu nennen, aber man rüttle nicht an ihrer Redlichkeit. Denn handelt nicht wirklich dieser lockere Luftikus mit seinem offenen und kerzengeraden Habenwollen wahrhafter und wohltätiger an den Frauen als die romantischen Schwärmer? Während hinter Goethes und Byrons Lebensweg eine Unzahl Frauen als zerbrochene, verbogene, zerschellte Existenzen zurückbleiben, eben weil Naturen höherer und kosmischer Art in der Liebe unwillkürlich das Seelische einer Frau so ausweiten, daß sie dann, dieses feurigen Hauchs nicht mehr teilhaftig, ihre irdische Form nicht mehr finden, richtet die Zunderhitzigkeit Casanovas eigentlich herzlich wenig Seelenschaden an. Er schafft keine Niederbrüche, keine Verzweiflungen, er hat viele Frauen glücklich gemacht und keine hysterisch, alle kehren sie aus dem rein sinnlichen Abenteuer unbeschädigt in den Alltag zurück, entweder zu ihren Männern oder zu andern Geliebten. Er streift über sie alle nur wie ein tropischer Wind hinweg, daran sie aufblühen zu heißerer Sinnlichkeit. Er überglüht, aber versengt sie nicht, er erobert, ohne zu zerstören, er verführt, ohne zu verderben, und eben weil sich diese seine Erotik im festeren Gewebe der Epidermis abspielt und nicht im leichter zu beschädigenden der wirklichen Seele, zeitigen seine Eroberungen keine Katastrophen.

      Seine Passion kennt als bloß erotische nicht die Ekstase der äußersten einmaligen Leidenschaft. Man beunruhige sich deshalb nicht, wenn er furchtbar verzweifelt tut, sobald Henriette oder die schöne Portugiesin ihn verläßt, er wird nicht zur Pistole greifen, und tatsächlich, zwei Tage später finden wir ihn schon bei einer andern oder in einem Bordell. Kann die Nonne C. C. nicht mehr von Murano ins Kasino kommen, und erscheint an ihrer Stelle die Klosterschwester M. M., so gelingt die Tröstung überraschend geschwind, jede eine ersetzt jede andere, und so hat man's nicht schwer, herauszufinden, daß er als echter Erotiker niemals vollkommen verliebt war in eine seiner vielen einzelnen Frauen, sondern in den ewigen Plural, in den unablässigen Wechsel, die Vielzahl der Abenteuer. Selbst glitscht ihm einmal das gefährliche Wort aus: »Schon damals fühlte ich dunkel, daß Liebe nur eine mehr oder weniger lebhafte Neugierde sei«, und diese Definition fasse man an, um ihn zu fassen, und breche das Wort Neugierde gut auseinander: Neu-Gierde, immer neue Gier nach immer Neuem, nach immer anderen Erfahrungen an immer anderen Frauen. Ihn reizt niemals das Individuum, sondern die Variante, die unablässig neue Kombination auf dem unerschöpflichen Schachbrett des Eros. Wie Einatmen und Ausatmen, so selbstverständlich und naturgemäß ist sein Nehmen und Lassen, und dies rein funktionelle Genießen erklärt, warum Casanova als Künstler eigentlich keine seiner tausend Frauen uns wahrhaft seelenplastisch macht: herzhaft gesagt, erregen alle seine Schilderungen den Verdacht, er habe allen seinen Geliebten gar nie recht ins Gesicht gesehen, sondern sie eben nur in certo punto, aus einer gewissen, höchst mittleren Perspektive betrachtet. Was ihn begeistert, ihn »entflammt«, sind nach echter Südländerart immer dieselben Dinge, die grobsinnlichen, bauerngewahrsamen, tastbar und in das Auge springenden Geschlechtsmomente des Weibes, immer und immer wieder (bis zum Überdruß) der »Alabasterbusen«, die »göttlichen Halbkugeln«, die »junonische Gestalt«, die immer wieder durch andern Zufall entblößten »geheimsten Reize«, genau dasselbe also, was einem geilen Gymnasiasten bei der Dienstmagd die Pupille kitzelt. So bleibt von den unzähligen Henrietten, Irenen, Babetten, Mariuccias, Ermelinen, Markolinen, Ignazias, Lucias, Esthers, Saras und Klaras (man müßte eigentlich den ganzen Kalender abschreiben!) nicht viel anderes zurück als ein fleischfarbenes Gelee warmer, wollüstiger Frauenkörper, ein bacchantisches Durcheinander von Ziffern und Zahlen, Leistungen und Begeisterungen – durchaus die Darstellungsart eines Berauschten am Morgen, der, schweren Kopfes aufwachend, nicht mehr weiß, was und wo und mit wem er nachtsüber getrunken. Er hat sie alle nur in der Haut genossen, in der Epidermis gefühlt, einzig im Fleische erkannt. Und so verrät uns deutsamer der präzise Maßstab der Kunst als das Leben selbst den ungeheuren Unterschied zwischen dem bloß Erotischen und dem wahrhaft Liebenden, zwischen dem, der alles gewinnt und nichts behält, und jenem, der weniges erringt, aber durch Seelenkraft dies Flüchtige zum Dauerhaften steigert. Ein einziges Erlebnis Stendhals, dieses im Faktischen ziemlich tristen Liebeshelden, sondert mehr seelische Substanz durch Sublimierung ab als hier dreitausend Nächte, und in welche ekstatische Zonen des Geistes der Eros emporzuführen vermag, davon geben alle sechzehn Bände Casanovas weniger Ahnung als ein vierstrophiges Goethegedicht. Im höheren Sinn betrachtet, sind darum Casanovas Memoiren mehr ein statistisches Referat als Roman, mehr Feldzugserlebnis als Dichtung, eine Odyssee der Wanderungen im Fleische, eine Ilias der ewigen Mannesbrunst nach der ewigen Helena. Ihr Wert beruht auf Quantität, nicht auf Qualität, sie werden wertvoll durch die Varianten und nicht den Einzelfall, nur durch Vielform, nicht aber durch seelische Bedeutsamkeit.

      Eben aber um der Fülle dieser Erlebnisse willen hat unsere Welt, die fast immer nur den Rekord registriert und selten die Seelenkraft mißt, Giacomo Casanova zum Symbol des phallischen Triumphators erhoben und mit dem kostbarsten Kranze ihres Ruhms, der Sprichwörtlichkeit, gekrönt. Ein Casanova, das heißt heute zu deutsch und in allen europäischen Sprachen: Ritter Unwiderstehlich, Frauenvielfraß, Meisterverführer, und repräsentiert im männlichen Mythos genau was Helena, Phryne, Ninon de Lenclos im weiblichen. Immer muß ja die Menschheit, um aus ihren Millionen Eintagslarven den unsterblichen Typus zu schaffen, dem allgemeinen Fall die Abbreviatur eines einzelnen Gesichts zuweisen, und so gelangt dieser venezianische Schauspielersohn zur unvermuteten Ehre, als Inkarnation des Liebeshelden für alle Zeiten zu gelten. Freilich muß er dies beneidenswerte Postament noch mit einem zweiten und sogar legendarischen Gefährten teilen; neben ihm steht, edleren Geblüts, dunklerer Art und dämonischer in der Erscheinung, sein spanischer Rivale Don Juan. Oftmals ist der latente Kontrast zwischen diesen beiden Mannesmeistern der Verführung angedeutet worden, doch sowenig sich die geistige Antithese Leonardo-Michelangelo, Tolstoi-Dostojewski, Plato und Aristoteles jemals erschöpft, weil jedes Geschlecht sie typologisch wiederholt, so ergiebig bleibt diese Gegenüberstellung der beiden Urformen der Erotik. Denn obgleich sie beide in gleiche Richtung vorstoßen, beide Habichte der Weiber, immer neu einbrechend in ihre scheue oder selig erschreckte Schar, so weist sie doch der seelische Habitus vollkommen verschiedener Rasse zu. Don Juan ist Hidalgo, Edelmann, Spanier und selbst in der Revolte noch Katholik im Gefühl. Als Pursangre-Spanier kreist sein ganzes Gefühlsdenken um den Begriff der Ehre, als mittelalterlicher Katholik gehorcht СКАЧАТЬ