Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth
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Название: Ein Kind unserer Zeit

Автор: Ödön von Horváth

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750246102

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      Es schneit auf das Grab meiner Zukunft –

      »Er fiebert noch immer«, höre ich die Stimme einer Frau. Das ist die dicke Schwester, die mich pflegt. Ich seh sie gern, weil sie meist ein bißchen lächelt, als wär sie der zufriedenste Mensch.

      Ich schlage die Augen auf und erblicke neben der Dicken einen Offizier.

      Er betrachtet mich.

      Ich kenne ihn nicht.

      Es ist ein Oberleutnant und er spricht mich an. Ich höre, daß ich für die tollkühne Tapferkeit, mit der ich meinen Hauptmann retten wollte, belobt und befördert wurde.

      Und er gibt mir einen Stern, meinen dritten silbernen Stern.

      Er erkundigt sich, ob ich arge Schmerzen hätte, aber er wartet meine Antwort nicht ab, sondern fährt gleich fort, er wäre überzeugt, daß mein Arm wieder richtig werden und daß mir eine glänzende Zukunft bevorstehen würde. Vielleicht winke mir sogar ein goldener Stern –

      Und plötzlich tritt er ganz dicht an mich heran und spricht sehr leise, damit ihn die Schwester nicht hört. Ich solle es nur nie vergessen, sagt er, daß ich nicht als regulärer Soldat, sondern nur als ein sogenannter Freiwilliger mitgekämpft hätte. Im Feindesland tobe nämlich nach offizieller Lesart kein Krieg, sondern eine abscheuliche Revolution, und es stünden unsererseits keinerlei militärische Einheiten drüben, sondern, wie gesagt, nur freiwillige Kämpfer auf Seite aller Aufbauwilligen gegen organisiertes Untermenschentum –

      »Ich weiß es schon, Herr Oberleutnant«, sage ich.

      »Ich wollt Sie nur erinnern«, meint er und zieht sich wieder etwas zurück von mir.

      »Herr Oberleutnant!« rufe ich. »Wie stehts denn eigentlich mit uns?«

      Er grinst.

      »Ausgezeichnet! Eigentlich habt ihr braven Freiwilligen bereits gesiegt, es wird nur noch gesäubert.«

      Aha, gesäubert –

      Auch ich muß grinsen.

      Der Offizier geht und die Schwester richtet mein Polster.

      Dann bringt sie Milch und Brot.

      Draußen singt ein Vogel.

      Schau – schau, wir haben also schon gesiegt. Jaja, schlau muß man sein, wenn man seinem Vaterlande nützlich dienen will. Schlau und nicht nur tapfer. Jetzt wird dann irgendeine Scheinregierung eingesetzt, bestochene Kreaturen, und das Land, das wir holen wollten, fällt uns in den Schoß – geschickt gemacht!

      Ich freue mich.

      Wenn nur mein Arm wieder richtig wird! Was würd ich nicht darum geben – ich glaub: alles!

      Du hast doch nichts, geht es mir wieder durch den Sinn.

      Was kannst du also für deinen Arm geben?

      Zehn Jahre meines Lebens.

      Lächerlich! Was weißt du denn, wie lange du lebst? Lauter leere Versprechungen!

      Und ich denke, wenn ich noch daran glauben würde, was man mir in der Schule erzählt hat, dann würde ich jetzt sagen: ich verzieht auf meine himmlische Seligkeit und laß mich gern in der Hölle braten.

      Aber leider gibts keine Engel und auch keine Teufel –

      Halt! durchzuckt es mich. Was denkst du da?

      »Keine Teufel?«

      Ich muß lächeln.

      Denn nun seh ichs wieder vor mir, das verwunschene Schloß. Die Fenster sind vergittert und die Drachen und Teufel, sie schauen heraus –

      Ich muß immer lächeln.

      Wenn ich auf sein werd – ja, dann geh ich mal wieder hin. Es kann nicht weit sein, denn dieses Krankenhaus liegt auch in der Nähe des Hafens, wo die fremden Schiffe liegen mit den gelben und schwarzen Matrosen. Vielleicht, wenn ich aus dem Fenster schauen könnt, daß ichs sogar erblicken würd, mein verwunschenes Schloß.

      Aber das Fenster ist hoch und ich kann nur hinausschauen, wenn mich wer hebt, als wär ich wieder ganz klein.

      Jaja, du sitzt noch immer auf dem Boden und bist drei Jahr, nicht älter.

      »Es ist kalt«, das bleibt deine erste Erinnerung –

      Wenn ich nur meinen Arm wieder hätt! Oh, wenn ich ihn nur wieder hätt! Man merkts erst, was man besessen, wenn mans verloren hat!

      Hoffentlich find ich ihn wieder, meinen Arm –

      Ich will ihn überall suchen, ich will die Splitter alle zusammenklauben und kunstvoll zusammensetzen, als wärs ein Kinderspiel –

      »Er fiebert noch immer«, höre ich die Stimme meiner Schwester.

      Ich möcht sie sehen –

      Neben ihr steht der Arzt.

      Er betrachtet mich nur und sagt: »Hm.«

      Dann geht er wieder weiter –

      In meinem Saal liegen noch siebzehn andere.

      Lauter verwundete Freiwillige.

      Ausgerichtet, Mann für Mann.

      Manche dürfen schon aufstehen und spielen Karten. Oder Schach.

      Einige sind bereits fast wieder ganz gesund.

      Nur einem fehlt ein Bein. Der wird nimmer.

      Zwei sind schon gestorben.

      Der erste vor zehn Tagen, der zweite heut nacht.

      Ich wachte plötzlich auf und sah, daß auf seinem Nachtkästchen Kerzen brennen. In der Mitte stand ein Kruzifix. Es war sehr still.

      Schlafen denn alle?

      Siehts denn keiner, nur ich?

      Nein, alle hatten die Augen offen, aber sie rührten sich nicht. Es wurde immer stiller.

      Die Schwester stand vor dem Nachtkästchen und betete. Und plötzlich mußt ich denken: jetzt steht dieser Freiwillige vor seinem höchsten Richter.

      So hab ichs einst gelernt.

      Und die Schwester betet für ihn. Sie bittet für seine unsterbliche Seele –

      Was hat er denn angestellt?

      Die dicke Schwester sagt zum Richter: »Bitte, sei ihm gnädig« –

      Was hat er denn verbrochen?

      Warum soll er denn gnädig sein, dein höchster Richter? Dieser brave Mann fiel doch für sein Vaterland, was will man denn noch von ihm?!

      Er gab СКАЧАТЬ