Название: Nesthäkchen und ihre Küken
Автор: Else Ury
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752937589
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Die Morgensonne kannte die zwei ganz genau. So weit sie auch herumkam, so neugierig sie auch in alle Stuben und Kämmerchen spähte – nirgends auf ihrer ganzen Reise fand sie in Augen ein so warmes Leuchten, wie bei diesen beiden da draußen in Lichterfelde. Dabei hatten sie auch ihre Sorgen, ein jedes von ihnen. In der bitterteuren Zeit, die auf den Weltkrieg folgte, war es nicht leicht für einen jungen Arzt, sich einen eigenen Herd zu gründen. Die Praxis wuchs erst allmählich. Seit kurzem war Rudolf Hartenstein Mitchef der Doktor Braunschen Klinik. Annemaries Vater sorgte, soweit es ihm selbst nur möglich war, dafür, daß seine Kinder sich nicht allzu sehr einschränken mußten. Aber Annemarie, die niemals gern gerechnet hatte, saß doch jetzt manchmal mit sorgenvoll gefurchter Stirn vor ihrem Wirtschaftsbuch. Nein, was hatte sie in dieser Woche trotz allen Sparens wieder verbraucht! Ja, das waren Überlegungen, die Doktor Brauns in sorgloser Wohlhabenheit aufgewachsenes Nesthäkchen einst nicht gekannt hatte.
Und trotzdem – trotzdem sie tüchtig mit heran mußte, trotzdem es mit den drei kleinen Kindern genügend Arbeit und Aufregung gab, Annemarie hätte nicht zurücktauschen mögen. Als sie, die Marmeladenschrippe in der Hand – Butter war zu teuer, die mußte man sich abgewöhnen –, als sie so ihren Blick über ihr kleines Reich schweifen ließ, über das weinumrankte, weiße Häuschen, in dem sie sieben glückliche Jahre verlebt – über das Gärtchen, in dem sie mit Rudolf gemeinsam gesät und gepflanzt – von den Blondköpfen der drüben am Staket spielenden Kinder hinweg zu den lieben Zügen ihres Mannes, da kam sie sich so reich wie eine Königin vor.
»Woran denkst, Herzle?« Rudolf war ihren Blicken gefolgt.
»An nichts und an vieles«, lachte Annemarie. »Eigentlich habe ich nur in den schönen Herbstmorgen hinausgedöst. Aber uneigentlich habe ich dabei empfunden, wie gut ich es doch auf der Welt habe.«
»Weil du halt ein zufriedenes, glückliches Temperament hast. Mußt dich doch oft arg plagen, armes Weible!« Rudolfs Hand umfaßte in innigem Druck die auf dem Tisch liegende Rechte Annemaries. Es waren keine zarten Mädchenfinger mehr; man fühlte es der Hand an, daß sie gewöhnt war, zuzupacken. »Ich wollte, ich könnt' dir's im Haushalt erleichtern, Annemie. Aber von Tag zu Tag wird das Leben schwerer.«
»Quälst du dich etwa nicht, Rudi? Von morgens bis abends bist du auf den Beinen. Und nachts holt man dich soundso oft auch noch aus dem Schlaf. Ich wünsche es mir gar nicht leichter, Rudi. Arbeit macht das Leben süß, und – unsere Küken tun das vor allem. Besonders, wenn sie sich so pianissimo verhalten wie augenblick – – –«
Annemarie hatte noch nicht ausgesprochen, als ein Zetermordgeschrei von dem Sandhaufen herüberschallte. In einer Sekunde hatte sich die Situation dort verändert. Statt der artig dort spielenden kleinen Kuchenbäcker standen sich plötzlich drei kleine Raufbolde gegenüber. Das temperamentvollste von ihnen schien Klein-Ursel zu sein. Das warf dem älteren Bruder mit seinem kleinen Löffel Sand ins Kraushaar, in den Hals, ja sogar in die Augen, während dieser sich mit seiner Schaufel energisch zur Wehr setzte. Vronli, die ursprünglich die streitenden Parteien hatte friedlich trennen wollen, ward in den Strudel mithineingerissen und fand es amüsanter, nach links und rechts Püffe und Stöße auszuteilen.
»Lixter Ocke!« Das war Ursels Stimmchen.
»Mutti – Vaterli – Ursel hat ›verflixter Ochse‹ geschimpft«, kam Vronli pflichtschuldigst melden.
»Wo hat das Kind das nur her?« verwunderte sich Rudolf, seine Heiterkeit vergeblich unter Schnurrbartzwirbeln verbergend.
»Von mir nicht – verflixt sage ich ja manchmal, aber Ochse bestimmt nicht«, verteidigte sich Annemarie, die niemals ein ganz reines Gewissen in Bezug auf ihre Ausdrucksweise hatte. Sie wurde meist erst darauf aufmerksam, wenn ihr ein etwas derberes Wort bei den Kindern wieder entgegentrat.
» Qui s'excuse – s'saccuse, Herzle«, lachte ihr Mann sie aus. »Ursele, gleich kommst mal her!« Das sollte ungeheuer streng klingen, aber es zuckte immer noch belustigt um des Vaters Mund.
Klein-Ursel warf den im Händchen bereitgehaltenen Löffel Sand noch flink dem schreienden Hansi an die Nase und kam dann eiligst herbeigetappelt, fast über die eigenen Beinchen stolpernd.
»So atig – Lein-Usche so atig – – –« rief das Kleinchen schon von weitem, da ihm mit Evasschläue nichts Gutes schwante.
»Ja, furchtbar artig bist du! Wir können es mit deiner Artigkeit kaum noch aushalten.« Annemarie nahm ihr zorngerötetes, sandbeschmiertes und verweintes Nesthäkchen auf den Arm.
»Wo hast das häßliche Wort her, Ursele?« examinierte der gestrenge Vater.
Klein-Ursel hatte offenbar keine Ahnung mehr von irgendeinem Wort.
»Wott«, sagte sie nur getreulich nach.
»Laß doch das Kind, Rudi. Es weiß ja gar nicht, was es gesagt hat. Gewiß hat es das Schimpfwort auf der Straße aufgeschnappt. Es vergißt es wieder.«
»Nein, Annemie, das muß man halt mit Stumpf und Stiel sofort ausrotten«, widersprach der Gatte pedantisch. »Schau, wie leicht kann Ursele derartiges zu einem Fremden sagen, und wie stehen wir beid' dann da mit unserer Kindererziehung! Ursele, schau den Vater an. Wer hat Ochse gesagt?«
»Tater«, teilte das Kleinchen freudestrahlend mit.
Annemarie mußte hell auflachen über Ursels Logik.
»Nein, Ursele, der Vater sagt halt so Häßliches nit. Klein-Ursele darf es auch nimmer sagen, sonst ist Vater ganz bös.« Einer von ihnen mußte doch unbedingt die notwendige Elternstrenge zeigen.
»Tater bösch!« Das war alles, was Rudi mit seiner Pädagogik zum heimlichen Gaudium Annemaries bei ihrem Nesthäkchen ausrichtete.
Mit der Morgenfeststunde der beiden war es nun endgültig für heute vorbei. Ein jedes mußte an seine Arbeit.
»Nun seid brav, ihr Streithammele. Ärgert mir's Mutterli nit.« Mit diesen Worten wollte sich Rudi von seiner kleinen Gesellschaft verabschieden. Aber so einfach war das nicht. Ursel und Hansi umklammerten jeder ein Bein des Vaters mit sandigen Händen. Vronli hängte sich an seinen Arm.
»Vater dableiben – dableiben« – – – jeden Morgen spielte sich dasselbe Manöver ab.
»Meine Manschetten, schau, Vronli, du großes Mädle, jetzt hast mir meine reinen Manschetten schwarz gemacht; nun muß ich mich halt noch einmal umziehen.« Der Vater war ungehalten.
Vronli, die erst ihren Mund in viereckige Heulstellung bringen wollte, besann sich auf halbem Wege eines Besseren. »Dann bleibste wenigstens noch da, Vaterli!« Trotzdem Vronli sonst ganz Rudis Tochter war mit ihrem dunkelblonden, glatten Haar, den grauen Augen und dem schmalen, klugen Gesichtchen, das hatte sie von ihrer Mutter: stets noch etwas Gutes an allem herauszufinden.
»Eine arg große Rechnung habe ich erst gestern für Feinwäsche berappen müssen, und nun macht einem das Schmierfinkle gleich ein Paar neue Manschetten zunicht«, räsonierte Rudi beim Anknöpfen, während Annemarie seine Hosenbeine mit einer Bürste bearbeitete.
Ja, die teure Herrenplättwäsche! Frau Annemarie sandte einen Stoßseufzer in die Lüfte. Einmal hatte sie probiert, selbst daran Hand anzulegen. Aber Rudi hatte ihr Kunstwerk mit Protest zurückgewiesen. Die Kragen schlängelten СКАЧАТЬ