Название: Der rote Baum
Автор: Peter Kunkel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737508834
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Jochens Wüstentierprogramm ist reine Perfektion. Ein Ernährungsveterinär überwacht, was die Kostbarkeiten zu essen bekommen, gutes Gras und Heu und allerhand Laubwerk, die unvermeidlichen Karotten, versteht sich, geschnitzelte Runkelrüben, und was ihnen damit nicht gereicht werden kann, bekommen sie in pellets, plätzchenartigen großen Tabletten, die sie mit langer Zunge und sichtlichem Genuß aus ihren Krippen fischen.
Jochen hat den Verwaltungsrat überredet, mich als Berater des Antilopen-zentrums einzustellen. Zuvor hatte ich mich eine Zeitlang als Gutachter für unser Entwicklungshilfsministerium, die FAO und andere Organisationen dieser Art versucht; aber diese Blitzstudien hatte ich schnell über: man sieht einiges von der Erde, hat aber nie genug Zeit, den Dingen auf den Grund zu gehen, und am Ende bleibt stets das Gefühl, entweder Selbstverständliches vorgeschlagen zu haben, für das eine Bezahlung zu verlangen eine gewisse Schamlosigkeit voraussetzt, oder mit seinen Regieanweisungen regelrecht hochzustapeln. So bin ich Jochen dankbar, daß ich hier häuslich sein darf. Hier kann ich wenigstens bei Arten, die ich kenne, anständig untersuchen, wie sich das Verhalten in Gefangenschaft ändert, welche Verhaltensweisen verschwinden, welche häufiger werden, welche sich manchmal zu ausgesprochenen Fehlleistungen auswachsen, und außerdem kann ich asiatische Antilopen beobachten, die Sasins und Nilgaus unter meinem Stübchen, die kleinen Vierhornantilopen im hinteren Teil des alten Antilopenhauses und unsere Saigagruppe in ihrem Freigehege. Beschäftigung freilich mehr als Arbeit.
Von der Kunst der pelletkomposition dagegen verstehe ich leider gar nichts. Ich bewundere sie aufrichtig. Die Pfleglinge sind offenbar nicht nur gesund, sondern auch bei gutem Temperament und bereit, sich fort-zupflanzen - was will man mehr? Mir allerdings gibt nichts so sehr das Gefühl, hier überflüssig zu sein, als diese pellets. Ich wünsche mir oft, wenigstens etwas gegen die Viren und Spulwürmer zu wissen, die ein Tier dem andern weiterreicht; aber sie sind für mich noch böhmischere Dörfer als Menüfragen.
Und das, obwohl wir damals im Kuravunapark immer wieder Kot für einen Veterinär gesammelt haben, der laufend neue Darmbewohner darin ent-deckte und mit ihren Beschreibungen ein wändefüllendes Lebenswerk schuf. Wir haben uns sogar eingehend mit den Speisekarten der einzelnen Antilopenarten im Kuravunapark beschäftigt; aber unserem Zooveterinär können diese endlosen Pflanzenlisten kein rechtes Interesse ablocken, auch wenn ich sie ihm mit chemischen Analysen der pièces de résistance schmackhaft zu machen versuche. Das alles ließe sich nicht so recht nachmachen, meint er, und schließlich seien Wüste und Kuravunapark nicht dasselbe. Das kann ich nicht abstreiten. Sein Gesicht heitert sich auf, weil er ein so treffliches Argument gefunden hat, und er greift wieder zu seinem Rezeptbuch für Rind, Schaf und Ziege.
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Und wieviel Geld haben wir damals nicht in diese Analysen gesteckt! Eben weil auch wir von den langen Pflanzenlisten nicht befriedigt waren, obwohl wir für manche unserer Antilopen hübsche Präferenzlisten aus-gearbeitet haben: eine Liste der ganz guten Sachen, junge Blätter, Früchte, manchmal auch Pilze, immer und überall beliebt und gesucht, eine zweite Liste immer noch guter Ware, Pflanzen und Pflanzenteile, die die Tiere in Mengen verzehren, wenn in der zweiten Hälfte der Regenzeit alles wächst, blüht und fruchtet, und schließlich eine Tabelle der Nahrung, mit denen sich die Antilopen in der Trockenzeit behelfen, die sie aber in besseren Zeiten gar nicht erst anschauen. Wir hätten gern gewußt, was diesen Vorlieben zu Grunde lag; aber mit den verhältnismäßig groben Analysen des Food and Diet Institutes in Moyomoyo war das nicht heraus-zubekommen. Die Verteilung von Fetten, Ölen, Proteinen und Kohlehydraten allein macht's eben nicht, zumal sie je nach dem Alter der Blätter, Blüten und Früchte in weiten Grenzen schwankt, und für die flüchtigen Geschmacksstoffe und die Textur von Halm und Blatt erklärte sich das Institut für unzuständig. Wir sollten doch mit gefangenen Tieren Experimente machen, meinten sie dort; vielleicht dachten sie an ihre menschlichen Versuchskaninchen irgendwo im Stammesland. Wir waren darauf nicht eingerichtet. Außerdem waren wir immer darauf gefaßt, von den Wildtieren fortzumüssen, und wollten zunächst einmal soviel an ihnen beobachten, wie wir nur konnten.
Wir fanden auch schon die Pflanzenlisten in der Reihenfolge ihrer Beliebtheit einen Gewinn. Was sie uns an Zeit und Nerven gekostet haben, besonders am Anfang, haben wir weitgehend vergessen. Was für ein Zirkus, bis sich ein Kudu endlich hat entschließen können, den sanft anrollenden Wagen nicht minutenlang zu beäugen und dann doch plärrend abzuspringen, sondern weiterzuäsen. Oder wenigstens nach ausführlichem Geäuge zum Äsen zurückzukehren. Wie mühsam, zu erkennen, was das Tier denn nun wirklich gefressen hat. Da wird geschnuppert, mit der Zunge herumgespielt und -getastet, und man braucht lange, um sicher zu sein, ob ein Blatt zwischen den Lippen auch wirklich verschluckt worden ist. Das Fernglas zeigt das weiche Maul in allen Einzelheiten, auch die violette Zunge und die einzelnen Blättchen der Büsche; aber es nimmt die Perspektive, und wenn man sich nach Abzug der Herrschaften endlich auf den Äsungsplatz traut, ja, welche von den hinterlassenen Buschkulissen ist es nun gewesen, an der der Kudu stand? Hat man endlich die Pflanze in der Hand und ist beinah sicher, diese war es, so hebt die große Suche nach einer Blüte oder wenigstens einer Frucht an; denn ohne diese lassen sich Busch oder Staude nur selten bestimmen. Beschwingt eilt man zur Station zurück, wenn man sie gefunden hat, und dort warten lange Abende im Schein der leise vor sich hinzischenden Coleman-Lampen, über Büchern, die gleich in der ersten Regenzeit Stockflecken bekommen haben.
Oder die andere Methode: Kotbällchen sammeln, in Wasser auflösen und unterm Mikroskop betrachten, ob und welche Blatt- oder Grasoberflächen-reste man finden kann, die langestreckten Außenzellen der Grasblätter oder die runden, gelappten, kantigen anderer Blattsorten, die man sich natürlich vorher genau angesehen haben muß, um ihre Trümmer nach der Passage durch Antilopenmagen und -darm noch zuordnen zu können, in gröbsten Kategorien natürlich nur. Auch hier war Susanne unermüdlich; ich habe dieses deprimierende Geschäft bald aufgegeben. Sie hatte auch gelesen, daß man einigermaßen abschätzen kann, wieviel das Tier von was zu sich genommen hat, wenn man alle Reste in einer Kotbällchenaufschwemmung auszählt. Sie zählte und zählte – und mußte schließlich zugeben, daß die Rechnung nicht stimmen konnte, wenn sie sie mit ihren Beobachtungen am äsenden Tier verglich. Manche Blätter sind eben zart und weich und wer-den restlos verdaut; andere sind ledrig und hart, und auch wenn die Anti-lope nur wenig davon genommen hat, erscheint ihre Außenhaut fast quantitativ im Kot.
Wie mühsam war das alles am Anfang, wie rasch wurde es Routine, und wie wenig Geduld haben wir später aufgebracht, andere in dieses Geschäft einzuweisen. Besonders an Henry haben wir bös gesündigt.
Susanne ist über den Bestimmungsschlüsseln zur halben Botanikerin geworden. Auch für mich hat sich der graugrüne Filz um die Station in ungezählte Pflanzenindividualitäten aufgelöst. Es war unmöglich, ihn je-mals wieder als anonyme Vegetationsmasse anzusehen; hundertachtzig Gras-, Kraut- und Buscharten haben wir gleich in den ersten beiden Jahren ausgemacht. Gerade die Kudus zwangen uns, immer neue Pflanzen zu identifizieren; sie lieben Abwechslung.
Es war auch unmöglich, all diese Pflanzen anders als eßbar oder nicht eßbar, als lecker oder mäßig gut anzusehen, je nachdem welche Antilopen wir gerade untersuchten. Wir gingen durch die Steppe wie ein Pilzsucher durchs Alpenvorland, bloß daß wir selber nichts von all dem Eßbaren um uns hatten. Wir konnten unsere Tiere nur um das abwechslungsreiche Angebot beneiden, wenn unsere Vorräte wieder einmal auf zerbröckelte Spaghetti und die landweit verbreiteten rostigen Tomatenmarkbüchschen zusammengeschmolzen waren. Oder in der späten Trockenzeit schuld-bewußt zu unseren vollgefüllten Töpfen schleichen, wenn die Antilopen mit gesenktem Kopf durch die kahle Steppe zogen.
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