Nesthäkchen und ihre Enkel. Else Ury
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nesthäkchen und ihre Enkel - Else Ury страница 6

Название: Nesthäkchen und ihre Enkel

Автор: Else Ury

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783752940671

isbn:

СКАЧАТЬ nur Milton Tavares besaß dort seine mit allem Komfort eingerichtete Sommerbesitzung. Auch die übrigen Familienmitglieder, Don Fernando und seine Frau Margarida, die Mutter, Donna Tavares, verschiedene Vettern und Freunde hatten sich dort angesiedelt. Eine elegante Kolonie war entstanden mit äußerst lebhafter Geselligkeit, mit Vergnügungen und Sportveranstaltungen aller Art. Nirgends lebte man angenehmer und sorgloser als draußen auf der Fazenda.

      Meilenweit erstreckten sich die Kaffeeplantagen, aus denen das Haus Tavares seinen Reichtum schöpfte. Viele hundert Arbeiter, Männer, Frauen und Kinder waren hier vom frühen Morgen bis zum späten Abend bei glühender Tropensonne mit schwerer Arbeit beschäftigt. Weiße und Farbige. Meist waren es italienische und deutsche Auswanderer, die das Glück in die Ferne gelockt hatte, die es vergeblich gesucht, niemals gefunden hatten. Sie waren froh gewesen, bei dem reichen Kaffeekönig in Brasilien einen Unterschlupf zu finden. In elenden, fensterlosen Lehmhütten hausten sie – das war das Glück, das sie im fremden Lande erwartete. Seit der junge Herr, Don Milton, das Zepter im Kaffeereiche führte, hatten sich die Lebensverhältnisse der Arbeiter gebessert. Daran war vor allem seine schöne, blonde Frau schuld, die der Arbeiterschaft, ganz besonders ihren deutschen Landsleuten, mit warmem Herzen entgegenkam. Niemals hatte Frau Ursel das auf Äußerlichkeiten gestellte Drohnendasein der verwöhnten brasilianischen Frauen mehr empfunden, als draußen auf der Fazenda, wo sich tausend schwielige Hände regten, um all den Luxus für die Besitzer herbeizuschaffen. Sie schämte sich dessen, wenn sie unmittelbar neben der Eleganz des eigenen Hauses das Elend der Plantagenarbeiter beobachtete. Die anderen Frauen hatten dafür kein Auge. Die Schwiegermutter hatte sie liebevoll ein sentimentales Närrchen genannt, als Ursel damals, als junge Frau, mit der ihr eigenen freimütigen Offenheit für die Arbeiter eingetreten war und das Leben derselben mit dem ihrigen verglichen hatte. »Was willst du, Kind, sie verdienen sich ihr Brot und sind zufrieden. Sie sind anspruchslos und kennen es nicht besser. Da gehört mancher zur Gesellschaft in Sao Paulo, dessen Eltern früher auf den Plantagen gearbeitet haben. Heute fahren sie im eigenen Auto. Es geht schnell mit dem Auf- und Abstieg in Amerika. Ein jeder muß hier an sich denken. Du wirst die hiesigen Verhältnisse nicht ändern, Kind.«

      Frau Ursel aber hatte sich vorgenommen, diesen Missständen abzuhelfen. Und was Ursel sich in den Kopf gesetzt hatte, das führte sie auch durch. Schon daheim im Elternhause war ihr Wille schwer zu beeinflussen gewesen.

      Milton Tavares hatte ein offenes Ohr für das Anliegen seiner jungen Frau. Las er ihr doch jeden Wunsch von den Augen ab. Er selbst hatte in Deutschland geordnete soziale Fürsorge für die Arbeiterschaft kennengelernt und brachte Frau Ursels Vorschlägen für gesunde Arbeiterwohnstätten Verständnis und tatkräftige Hilfe entgegen. So waren in den letzten zwölf Jahren auf den Tavaresschen Kaffeeplantagen helle, freundliche Siedlungshäuser für die Arbeiter entstanden, während auf den benachbarten Plantagen noch dieselben Missstände anhielten. Sooft Frau Ursel jetzt ihren Sommersitz bezog, hatte sie eine stolzfreudige Genugtuung, Gutes gewirkt zu haben.

      Es war am frühen Morgen. Ein Tropenmorgen, so heiß, so sonnenhell und strahlend, als sei er eigens für die Sommerfrischler auf der Fazenda heraufgezogen. Durch den weitausgedehnten Palmengarten sprühte silbern der erfrischende Wasserstrahl, den die Neger aus langen Schläuchen über die üppige Baum- und Pflanzenwelt leiteten. Leuchtende, seltsame Blüten öffneten ihre Kelche in jubelnder Farbenfreude dem neuen Sonnenlichte. Schmetterlinge, wie geflügelte Riesenblumen anzuschauen, durchschaukelten die Luft. Papageien und Kolibris in lachender Buntheit wiegten sich hoch oben in Palmenwedeln.

      Auf der Terrasse, über deren gläsernes Dach rieselndes Wasser zur Kühlung herabsickerte, war die Familie beim Morgenfrühstück versammelt. Der Hausherr war selbst in den Ferien ein Frühaufsteher. Er hatte seinen Morgenritt bereits hinter sich, während seine Damen Langschläferinnen waren, wie er sie scherzend nannte.

      »Milton, sieben Uhr ist es erst. Bei uns daheim in Deutschland würden die Eltern mir einen Preis zuerkannt haben, wenn ich so zeitig aus den Federn gefunden hätte«, setzte Frau Ursel den Neckereien des Gatten entgegen.

      »Bei uns daheim – ja, Ursel, wo bist du denn daheim?« Milton Tavares zog die Augenbrauen hoch.

      »Im Tropenlande, mein Herr Tyrann, wenn meine Gedanken auch manchmal, all deiner Eifersucht ungeachtet, in ein kleines deutsches Haus, das jetzt in Schneebetten vergraben liegt, entwischen. Gedanken sind zollfrei, wie du weißt.«

      »Nein, solche Gedanken kosten Zoll.« Dabei schlang Milton Tavares den Arm um die Schulter der Nebenihmsitzenden und nahm sich den Zoll von ihren frischen Lippen.

      Miß Smith, die englische Governess, die gerade in ihre dick mit Honig bestrichene Weißbrotschnitte biß, machte dazu ein Gesicht, als hätte sie Wermut auf der Zunge.

      »Oh, Miß Smith, Sie werden sich verschlucken«, meinte Anita mit teilnehmendem Gesicht.

      »Wieso, Anny?« fragte die Miß kauend.

      »Sie haben bestimmt eben ein shocking hinuntergeschluckt. Ist es Ihnen nicht in der Kehle stecken geblieben?«

      Die Engländerin machte ein unnahbares Gesicht. Es sah so steif und zugeknöpft aus wie der weiße Leinenkragen, den sie ungeachtet der Tropentemperatur trug. Sie blickte von den scheinheilig ernsten Mienen ihres Zöglings zu dessen Eltern, hoffend, daß von dort der notwendige Tadel ausgesprochen würde.

      Frau Ursel sagte denn auch pflichtschuldigst: »Anita, du vergißt stets, mit wem du deinen Scherz treiben darfst.« Obgleich es ihr schwer wurde, ihre Heiterkeit zu verbergen. Ihr Gatte aber wandte sich lachend an die Erzieherin: »Nur ein Kuss, Miß Smith, – a little kiss. Der gehört zu solchem herrlichen Morgen auf dem Lande. Meinen Sie nicht auch?«

      Die Miß verbeugte sich höflich zustimmend.

      Da aber platzte Anita los. Sie lachte – lachte – und steckte mit ihrem silberhellen Lachen auch ihre Zwillingsschwester an. Es war aber auch zu komisch – die Miß und a kiss, das waren zwei Dinge, die wirklich nichts miteinander zu tun hatten. Wirkte sie doch mit ihren strengen Zügen, dem straff zurückgestrichenen Haar und den eckigen Bewegungen mehr wie ein Mann, als wie ein weibliches Wesen. Auch aus ihrem Alter konnte man nicht klug werden. Sicher war Miß Smith mit zwanzig Jahren schon genau so alt gewesen, wie mit fünfzig. Jetzt wandte sie sich mißbilligend an Marietta, die ihr sonst ihr Amt nicht allzu schwer machte. »Mary, auch du! Du darfst dich nicht von deiner Schwester Anny zu ungehörigem Benehmen verleiten lassen, sondern mußt versuchen, günstig auf dieselbe einzuwirken.« Miß Smith sprach stets englisch.

      Marietta machte ein bestürztes Gesicht. Ihrem guten Herzen tat es sofort leid, daß sie die Miß ausgelacht hatte. Anita aber, die unverbesserliche, rief: »Wirke auf mich ein, Jetta, es tut dringend not.«

      »Es tut not, daß ihr jetzt Schluß macht und eure ausgelassene Ferienstimmung, der Miß Smith gewiß manches zugute halten wird, nicht auf die Spitze treibt. Habt ihr fertig gefrühstückt? Schön, dann könnt ihr zur Großmutter hinüberreiten und ihr guten Morgen wünschen«, machte die Mutter der unbotmäßigen Lustigkeit ein Ende.

      »Erst unsere Überraschung, Papi. Du hast uns auf heute vertröstet. Wo bleibt die Überraschung?« bestürmte Anita den Vater.

      »Kleine Ungeduld! Pedro wird sie sogleich bringen.« Der Mulatte eilte auf einen Wink seines Herrn davon und kam mit einem Bambuskörbchen, das rosenrot abgefüttert war und eine Seidendecke in derselben Farbe besaß, zurück.

      »Ein Kind?« fragte Anita zweifelnd und zog fürwitzig die Decke herab. »Ach, ein Äffchen, ein süßes Äffchen – gehört es mir, ja, Papi? Mir ganz allein?«

      »Euch beiden – ihr seid doch Zwillinge. Nun, Jetta, freust du dich auch über den neuen kleinen Hausgenossen?«

СКАЧАТЬ