Gänzlich ohne Spur. Dietrich Novak
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Название: Gänzlich ohne Spur

Автор: Dietrich Novak

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Valerie Voss, LKA Berlin

isbn: 9783742779175

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СКАЧАТЬ Es kann auch der misslungene Versuch sein, von sich abzulenken und uns etwas vorzugaukeln.«

      »Nett von Ihnen, dass Sie mich trösten wollen«, sagte Katharina, »aber wenn ich ehrlich bin, fühle ich schon länger, dass mein Kind nicht mehr am Leben ist. Der unbekannte Schreiber hätte also Recht, wenn er behauptet, Elena sei bei ihrem Vater.«

      »Wir wollen Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, aber die Erfahrung lehrt uns, dass es nicht bei einer Nachricht bleibt. Die nächste kann ganz anders lauten.«

      »Egal, was derjenige behauptet, mein Gefühl sagt mir, dass Elena nicht wiederkommt. Inzwischen sind drei entscheidende Jahre vergangen. Mein Kind würde mich vielleicht gar nicht mehr wiedererkennen. Ich hoffe nur, dass es ihr besser geht, da wo sie jetzt ist. Sei es bei einer anderen Familie oder im Himmel. Wie gesagt, meinem Gefühl nach …«

      Katharina brach hilflos ab. Valerie nahm sie vorsichtig in den Arm. Die verzweifelte Mutter ließ es eine Weile geschehen, löste sich dann aber aus der Umarmung.

      »Danke für Ihr Mitgefühl. Ich gehe davon aus, dass Sie auch Mutter sind?«

      »Ja, unser Sohn ist aber bereits volljährig. Doch es gab eine Zeit, da waren wir in einer ähnlichen Situation wie Sie. Deshalb kann ich mich gut in Ihre Lage versetzen.«

      »Das dachte ich mir. Wenigstens haben Sie Ihr Kind wiederbekommen, wie ich Ihrer Rede entnehme.«

      »Zum Glück. Wenn es auch eine schlimme Zeit lang nicht so aussah. Sollen wir Sie über die laufenden Ermittlungsergebnisse informieren, Frau Dengler? Es besteht aber auch die vage Möglichkeit, dass wir keine weitere Nachricht erhalten.«

      »Bitte nicht. Diese Ungewissheit halte ich nicht noch einmal aus. Nur wenn Sie Elena finden sollten. Lebendig, um sie zu mir zurückzubringen, oder … dass ich sie wenigstens beerdigen kann, um meinen Frieden zu finden. Über den Strolch, der ihr das angetan hat, möchte ich möglichst nichts erfahren. Allein die Schilderung über das Leid meines kleinen Mädchens würde mir das Herz brechen. Er wird von anderer Seite gerichtet werden. Daran glaube ich fest.«

      »Wir respektieren Ihren Wunsch und nehmen nur noch einmal Kontakt zu Ihnen auf, falls es nötig erscheint. Könnten Sie uns eventuell noch ein Kleidungsstück Ihrer Tochter geben? Eins, das Sie vielleicht noch nicht gewaschen haben?«

      »Ja, ihr Zimmer ist unberührt. Das gilt auch für die Bett- und Nachtwäsche. Einen Moment!«

      »Danke«, sagte Valerie, als Katharina Dengler zurückkam. »Alles Gute, und vor allem viel Kraft.«

      »Vielen Dank, ich begleite Sie noch zur Tür.«

      Draußen auf der Straße musste sich Valerie erst einmal sammeln und legte ihren Kopf an Hinnerks (unversehrte) Schulter. Das waren genau die Momente, die sie an ihrem Beruf hasste.

      2. Kapitel

      Der karge Raum war erfüllt vom kläglichen Weinen des Mädchens. Annika befürchtete, nie wieder freizukommen aus dieser scheußlichen Umgebung. Hier, wo es keine Fenster gab, durch die die Sonne scheinen konnte. Wo man es nicht regnen oder schneien sehen würde. Wo es nicht einmal einen winzigen Ausschnitt gab, der vom Blau des Himmels, dem Weiß der Wolken oder dem Grün der Bäume und Gräser kündete.

      Doch fast noch schlimmer war die Isolation. Ihr fehlten das Lachen der Kinder und die Spiele mit ihnen. In Unbeschwertheit Streiche auszuhecken oder sich über die kleinen und großen Sorgen austauschen zu können. Wenn sie doch wenigstens etwas Lebendiges bei sich hätte. Einen kleinen Hund oder eine Katze. Ihre einzige Bezugsperson war der fremde Mann, der abwechselnd zärtlich oder böse zu ihr war. Sodass sie stets darauf achten musste, keinen Fehler zu begehen. Was wollte er nur von ihr? Sollte sie seine Ersatztochter sein? Oder war er so einsam, dass es ihm egal schien, dass sie noch ein Kind war? Dass er andere Ziele verfolgen könnte, lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Ja, man hatte sie immer gewarnt, nicht mit fremden Männern mitzugehen, aber was die mit ihr anstellen würden, darüber hatte niemand gesprochen.

      Eine erste leise Ahnung bekam sie, als er sich schon in der ersten Nacht neben sie ins Bett legte. Annika hatte sich ganz eng an die Wand gedrückt, aber der Mann rückte ihr nach. Sie ekelten seine Nähe und sein schlechter Atem. Sein Streicheln hatte immer weiter nach unten ihren Körper entlang geführt. Bis seine Hand in ihrem Schritt verweilte. Dabei war sie stocksteif geworden und hatte die Luft angehalten, bis sie fast geplatzt war. Dann hatte er ihre kleine Hand genommen und sie unter der Bettdecke zu seinem Schritt geführt. Da war etwas sehr Festes und zugleich Samtweiches und Heißes gewesen. Annika hatte erschrocken ihre Hand zurückgezogen. Doch der Mann hatte sie sogleich zurückgelegt, um immer heftiger zu atmen und dabei an sich herumzuhantieren. Nachdem er kurz aufgestöhnt hatte, war endlich Ruhe gewesen. Er hatte sich aufgesetzt und seine Hose angezogen. Ohne sie noch einmal eines Blickes zu würdigen, war er hinausgegangen.

      »Schlaf gut, und träum was Süßes!«, waren seine einzigen Worte gewesen, die in ihren Ohren wie Hohn klangen. Noch dazu, wo er sie kalt mit emotionsloser Stimme vortrug. Würde sie jemals wieder ruhig einschlafen können? Ohne Angst vor dem nächsten Tag? Annika wusste es nicht und lag die halbe Nacht wach, bis sie doch schließlich hinübergedämmert sein musste.

      An diesem Morgen war Ben für seine Verhältnisse sehr zeitig am Frühstückstisch. Valerie meinte, ihn erst in den frühen Morgenstunden nach Hause kommen gehört zu haben. Wahrscheinlich hatte er wenig oder gar nicht geschlafen.

      »Wäre es sehr schlimm für euch, wenn ich wieder auszöge?«, fragte er unvermittelt.

      »Ich hätte zwar eine Menge weniger Arbeit, aber das hatten wir doch schon mal.«

      »Nur diesmal ziehe ich nicht in eine WG, sondern zu einer Frau.«

      »Auch eine Studentin? Ist sie hübsch?«, fragte Hinnerk.

      »Ist das deine einzige Sorge?«, ärgerte sich Valerie. »Er weiß noch nicht einmal, für welches Studium er sich entscheidet, aber schon mit Wei … Frauen rummachen.«

      Ben hatte sich nach dem Abitur entschieden, an der FU das sogenannte EinS@FU – das Einführungs- und Orientierungsstudium der Freien Universität Berlin zu absolvieren. Dabei konnte man ein Jahr lang mehr als vierzig Studiengänge der FU in den Naturwissenschaften, Geschichts- und Kulturwissenschaften sowie in der Philosophie- und den Geisteswissenschaften kennenlernen, neue Interessen und Studienfächer entdecken, sich gezielt auf ein späteres Studium vorbereiten, anrechenbare Leistungen für ein nach-folgendes Studium erwerben und letztendlich ein Studium finden, das genau zu den eigenen Vorstellungen, Fähigkeiten und Zielen passte. So lautete der Werbetext der Universität. Valerie nannte es eine Maßnahme für Unentschlossene, doch Hinnerk sah die Chance, dass Ben sich auf diese Weise für das richtige Studium entschied.

      »Ich mache nicht mit mehreren Weibern rum, sondern nur mit einem«, protestierte Ben.

      »Wenn es wieder so ein Fehlgriff wie mit dieser Merle ist, dann sehe ich schwarz«, ließ Valerie nicht locker.

      »Nun lass ihn doch seine eigenen Erfahrungen machen. Wir waren in dem Alter doch auch nicht anders«, sagte Hinnerk.

      »Du vielleicht nicht, ich schon. Sonst hätte ich heute nicht ein Kind, sondern ein ganzes Dutzend.«

      »Chantal kann man mit Merle nicht vergleichen. Sie ist einzigartig.«

      »Das denkt man immer, wenn die Liebe noch frisch ist, СКАЧАТЬ