Dafür und Dagegen. Eckhard Lange
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Название: Dafür und Dagegen

Автор: Eckhard Lange

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Antike Sagen - für unsere Zeit erzählt

isbn: 9783738082951

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СКАЧАТЬ Es hat wieder angefangen zu regnen, die Tropfen laufen in langen Bahnen die Frontscheibe hinunter. Artur betätigt den Wischer, denn der Uniformierte dort draußen verschwimmt langsam vor seinen Augen. Doch der hat zur Zeit andere Sorgen, er geht mit eiligen Schritten auf eine Tür des Abfertigungsgebäudes zu, um kurz darauf mit einem Regenmantel zurückzukommen.

       Artur Penn nimmt das alles wahr, ohne dass es bis in sein Gedächtnis gelangt. So schrickt er zusammen, als jemand an das Seitenfenster klopft und barsch seine Papiere verlangt. Doch plötzlich wird der Ton freundlicher: „Ach, Sie sinds, Genosse Penn! Ihr neues Buch drüben vorstellen?“ „Nein, meinen Vater begraben,“ antwortet Artur, und der Grenzer bemüht sich sichtlich, bekümmert dreinzuschauen: „Mein herzliches Beileid!“ Dann winkt er ihn auf eine freie Spur: „Gute Reise!“ Und zu einem Kollegen gewandt, der misstrauisch zuschaut: „Geht in Ordnung. Es ist der Penn.“

       Artur Penn durchkurvt die Sperranlagen. Es ist doch schön, wenn sie selbst hier deinen Namen kennen, denkt er. Dem Beamten dort drüben wird er sicher nichts sagen. Auch wenn zwei seiner Bücher inzwischen auch im Westen erschienen sind. Aber wer liest dort schon Ostliteratur – und dann noch solche, die von Walter Ulbricht öffentlich gelobt worden ist. Dabei hat der Genosse Staatsratsvorsitzender wohl kaum die leise Ironie in seinen Werken bemerkt, die verschlüsselte Kritik an seiner Form von Sozialismus. Alles ist hier verschlüsselt, denkt Artur. Verschlüsselt und verschlossen. Wie diese Grenze.

       Mehr als einmal haben westliche Kollegen ihn – abends an der Bar und nach einigen Cocktails – schon mit verschwörerischem Blick gefragt: „Und – bleiben Sie diesmal hier?“ Und mehr als einmal wurde dieser Blick verständnislos, wenn er sagte: „Ich bleibe da, wo ich hingehöre. Wer soll denn den Sozialismus entwickeln, wenn nicht wir? Sollen wir das den Parteikadern überlassen?“ Nein, er wird das weder diesen Sturköpfen in der Partei überlassen noch jenen Salonsozialisten drüben im Westen oder Leuten wie seinem Vater, bei denen man nie weiß, was sie wirklich denken.

       Ach, der Vater! Hat er überhaupt an etwas geglaubt, für etwa gekämpft, auf etwas gehofft? Vielleicht hätte ich ihn danach fragen sollen. Doch da war diese Grenze zwischen uns, die reale und die der Herzen. Und nun gibt es noch jene andere, letzte Grenze. Nun ist es zu spät.

      6. Kapitel

      Ulrich von Pendragon war froh, wieder einmal zu Hause zu sein. Die vorlesungsfreien Wochen an der Universität gaben ihm die Möglichkeit, der Hektik Berlins für einige Zeit zu entfliehen. So sehr er sie selbst gesucht hatte und meist auch genoß – es war wunderbar, wieder einmal auszureiten, die ehrerbietigen Grüße der Leute zu erwidern und dann quer über die abgeernteten Felder zu traben, die Felder, die seine Vorväter seit Menschengedenken bestellt haben, die Jahr um Jahr ihren Ertrag lieferten, unbekümmert um den Geldwert von Hafer und Weizen, angewiesen nur auf das, was der Himmel lieferte.

      Es waren zwei schlimme Jahre gewesen auch auf die pommerschen Gütern, die Inflation hatte alle Rücklagen vernichtet, hatte planvolles Wirtschaften unmöglich gemacht. Der Bruder war zu den Gebräuchen des vergangenen Jahrhunderts zurückgekehrt: Er hatte die Leute auf den Gütern wieder mit Naturalien entlohnt, und sie waren dankbar, weil der Weg bis zu den Geschäften in Platikow sie schon um die Hälfte ihres Lohnes gebracht hatte, ehe sie ihn in Waren eintauschen konnten. „Wir sind wieder im Mittelalter angekommen,“ hatte er einmal schmunzelnd gesagt, „und das hat auch seine guten Seiten: Genau wie unser restliches Vermögen sind auch unsere Schulden in diesem Hexenstrudel verschwunden.“

      Doch jener Hexentanz war nun beendet, die neue Rentenmark schien auf festen Füßen zu stehen. Ulrich war froh, dass der Bruder dem Vater zur Seite stand, während er auf einem ganz anderen Hexentanzplatz mit dem Teufel buhlte. Und er war fest entschlossen, dem Bruder auch die Herrschaft in Platikow zu überlassen, sich einzig mit dem Wohnrecht im Schloß der Familie zu begnügen: Fritz von Pendragon mochte der Jüngere sein, aber er war der Fähigere. Wenn jemand die Güter erhalten und ausbauen könnte, das Erbe der Familie bewahren und zugleich den Leuten, die irgendwie schließlich auch zur Familie gehörten, Lohn und Brot und ein Dach über dem Kopf geben könnte, dann war das Fritz. Und in Platikow war er längst der junge Herr Baron, während sie Ulrich nur den Herrn Leutnant nannten. Das Volk hatte entschieden, dachte Ulrich mit sichtlicher Ironie, das ist Demokratie auf pommersche Art. Was ist dagegen diese Reichverfassung, die man uns da zumutet!

      Ulrich war inzwischen bis an das Seeufer geritten und stieg ab, um der Stute eine Pause zu gönnen. Auf der anderen Seite versteckten sich die Katen von Lüchow unter den dichten Eichenkronen, auch eines der väterlichen Güter. Irgendwann wird man auch dorthin eine Telegrafenleitung legen, dachte Ulrich, und vielleicht sogar ein Kabel mit elektrischem Strom. Aber was wird das ändern?

      Die Männer werden weiter die Gäule vor die Erntewagen spannen, um die Garben einzubringen, die Frauen werden die Hühner füttern und die Kinder in ihren Holzpantinen ins nächste Dorf zur Schule laufen, wenn sie nicht zum Heuaufsetzen oder zur Kartoffelernte benötigt werden. Da mögen in Berlin die Spartakisten die Weltrevolution ausrufen oder die Monarchisten den Kronprinzen zum Kaiser erklären. Sie alle brauchen unser Brot und unsere Kartoffeln, sie brauchen unsere Butter und unseren Käse. Diese gute Erde ist es, was sie wirklich brauchen zum Leben, und die Menschen, die sie bebauen im Schweiße ihres Angesichts, wie geschrieben steht. Es ist schön hier, und still, und voller Frieden, dachte Ulrich. Und da war der Teufel weit weg, irgendwo in der großen Stadt, und seine Versuchungen erschienen ihm auf einmal wie Kinderstreiche.

      Ich sollte etwas anderes schreiben, dachte Ulrich, die Geschichte dieser Menschen hier erzählen, ihr Leben, ihren Alltag – und ihre Erlebnisse, wenn man sie herausreißt aus ihrer Welt, als Arbeiter in die Fabriken pfercht, als Soldaten ins Trommelfeuer schickt. Und ihre Sehnsucht nach dem Leben daheim, einfach und geordnet, mit festem Rahmen, mit Herren und Knechten, oben und unten, in der doch keines ohne das andere sein kann. In der Gehorsam nur gefordert werden kann, wenn auch Verantwortung geübt wird.

      Ja, ich sollte ihre Geschichte erzählen – den andern da draußen erzählen, damit sie wissen, wo unser aller Wurzeln sind. Und plötzlich sah er diese Aufgabe, erinnerte er sich so mancher Aufzeichnung aus den Jahren des Krieges, und zugleich so vieler Bilder aus seiner Kindheit, als er mit dem Vater hinausgefahren war im Kutschwagen, die Güter zu inspizieren, die Ernte zu überwachen, aber auch mit den Leuten zu feiern nach den strengen Regeln jahrhundertealter Bräuche.

      Er sah, wie der Vater die Großmagd zum ersten Tanz führte und der Großknecht die Baronin aufforderte, wie die Kinder den Reigen aufführten und die Gaben brachten und wie alle die Garbenkrone zur Kirche trugen. Er sah auch den Kerzenschein, wenn alle Angestellten des Schlosses ehrfürchtig in der großen Halle warteten, bis die Mutter sie ins Speisezimmer bat, wo der Baum mit den Lichtern und den Süßigkeiten stand und der Vater mit heiserer Stimme die Weihnachtsgeschichte las, ehe jeder und jede das ihnen zugedachte Geschenk erhielten.

      Und er sah, wie dann der Kutscher mit verlegener Miene die selbstgeschnitzte Flöte hervorholte, um der freiherrlichen Familie ein Lied zu spielen, als Dank des Gesindes, so wie es jedes Jahr geschah. Das alles wollte er erzählen, und auch die Notzeiten und Kriegszeiten nicht vergessen, das Sterben und das Leiden, Krankheit und Unfall, Feuersbrunst und Seuchen. Wie ein großes Gemälde würde es sein, gemalt mit den Farben der Erde. Und wie eine gewaltige Sinfonie, und Sturm und Hagelschlag, sanftes Wehen und wütender Donner, Hundegebell und Pferdegetrappel, das Blöken der Schafe und die Flöte des Hirten würden dort zusammenklingen mit dem Greinen der Kinder und den Rufen der Schnitter.

      Lange blickte der junge Herr von Pendragon hinaus auf den See, bis der sich langsam im Abenddämmern verdunkelte und die Stute ihn anstieß, um zum Heimritt zu mahnen. Er gehorchte, aber in seinen Gedanken formten sich schon die ersten Zeilen, und plötzlich hatte er es eilig, zurückzukommen, um sie niederzuschreiben, ehe sie sich wieder auflösten СКАЧАТЬ