Название: Von alten und neuen Bürowelten
Автор: Maik Marten
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783752926736
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Nachdem man sich ausreichend mit den räumlichen Bedingungen beschäftigt hatte, nahm man die Angestellten näher unter die Lupe. Heute ziemlich sonderbar anmutende Bewegungsstudien wurden durchgeführt. So zeigte man großes Interesse für die Handbewegungen im Zusammenhang mit Schreibgeräten, für das Öffnen von Umschlägen, den optimalen Härtegrad von Bleistiften, die Art und Häufigkeit, wie sich ein Mitarbeiter während seiner Arbeit umdrehte und auch die Position des Wasserspenders (Leffingwell ging davon aus, dass ein durchschnittlicher Mitarbeiter circa fünf bis sechs Mal am Tag Wasser trinkt. Um auf die optimale Verteilung der Wasserspender zu kommen, zählte er bei seinen Kunden die Schritte jedes Büroarbeiters und multiplizierte das Ergebnis mit der Anzahl aller Mitarbeiter und Tage.).5 Noch skurriler waren damalige Empfehlungen zur Entspannung der Mitarbeiter. So empfahl man für Frauen spezielle Ruheräume, die mit Sofas und Plattenspielern ausgerüstet sein sollten und für die Männer regelmäßige, fünfzehnminütige Raucherpausen, um ihre Konzentrationsfähigkeit über die Länge des Arbeitstages aufrecht zu halten.6
Scientific Management bedeutete, dass man jeden noch so kleinen Arbeitsschritt im Voraus plante, dokumentierte und kontrollierte. Man fügte die einzelnen Schritte zu Programmen zusammen, die man peinlich genau zu befolgen hatte. Ein Bestellvorgang in einem Verlagshaus sah beispielsweise folgendermaßen aus:
Es beginnt mit dem postalischen Eingang der Bestellung in der Poststelle. Dort wird der Brief von dem zuständigen Mitarbeiter, dem mail clerk, geöffnet und durch ein farbiges Formular ergänzt. Anschließend gibt er das Dokument an den order clerk weiter. Dieser liest die Bestellung und trägt auf dem Brief und dem farbigen Formular die Bestell- und Lieferdaten ein. Danach gibt der order clerk das Dokument weiter an einen weiteren Mitarbeiter, dem registry clerk, der daraufhin eine Kontonummer vergibt, die er dem Gesamtregister des Unternehmens entnimmt. Sobald dies geschehen ist, übergibt er die Bestellung wieder weiter; diesmal an das plate department, wo eine Tafel (Schablone - eine Frühform des Kopierers) erstellt wird, die alle wesentlichen Informationen zur Bestellung noch einmal zusammengefasst enthält: Adresse, Datum der Bestellung, Bestellnummer, die Details der Bestellung, und, sofern es sich um ein Abo handelt, das Ablaufdatum. Sobald dieser Vorgang abgeschlossen ist, wird ein Abdruck der Tafel auf dem farbigen Formular gemacht und sorgfältig mit der Originalbestellung verglichen. Erst wenn sicher ist, dass alle Angaben übereinstimmen, wird die Tafel an das billing department übergeben. Dort vervielfältigt wiederum der billing clerk die Informationen mit Hilfe der Tafel zu sechs separaten, identischen Dokumenten. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Übersicht zu behalten. Zwei der sechs Blätter wandern ins Archiv, wo sie eine lückenlose Kundenhistorie gewährleisten (ein Dokument verbleibt immer im Archiv, das andere kann z.B. bei späteren Kundenbeschwerden herausgenommen werden); zwei weitere Abzüge gelangen in die Versandabteilung, wo man anhand der Daten Versandlabel und Lieferscheine erstellt. Die letzten beiden Exemplare gehen in die Rechnungsabteilung, um die Rechnung zu erstellen, die man anschließend in das mailing department bringt. Dort steckt man sie in einen Umschlag und versendet sie sieben bis acht Tage nach Versand der Bestellung an den Kunden.
Die protestantische Arbeitsethik
Der Kapitalismus wirkte wie eine Urkraft, die die Gesellschaft in Arbeitgeber und Arbeitnehmer spaltete. Ein Trend, der besonders stark in den USA zu beobachten war. Über Generationen hinweg bestand Amerikas Wirtschaft größtenteils aus Kleinbetrieben und Selbständigen. Die USA waren das Land der Entrepreneure. Wer sein Glück finden wollte, baute sich eine selbständige Existenz auf. Auch wenn damit mehr Risiko und Unsicherheit verbunden war: Auf den eigenen Beinen zu stehen, galt als der amerikanische Traum schlechthin. Mit dem Wachstum der Unternehmen schien sich dieses Idealbild zu wandeln. Nun strömten die Menschen an die neu geschaffenen Arbeitsplätze in den Fabriken, Verwaltungen und Geschäfte. Dabei war die neue Arbeitswelt alles andere als perfekt. Zwar versprach sie mehr Sicherheit, steigende Einkommen und Teilhabe am wachsenden Wohlstand, aber die Industrialisierung sorgte mit ihrer gnadenlosen Spezialisierung und Rationalisierung von Arbeitsvorgängen auch für ein bisher unbekanntes Ausmaß an Eintönigkeit, Ermüdung und Abstumpfung. Man begann sich zu fragen, ob der Mensch das auf lange Sicht aushalte. Waren wir dazu geschaffen, die Mühen der fremdbestimmten Lohnarbeit auf uns zu nehmen? Führte uns die Rationalisierung nicht in eine zunehmende Entfremdung von der Arbeit? Machte sie uns nicht auf Dauer zu willenlosen Wesen?
Unter den Eindrücken einer im Jahr 1904 durchgeführten Reise durch Amerika, hatte der deutsche Soziologe Max Weber in seinem berühmten Werk Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus die These formuliert, dass die Wesenszüge des Kapitalismus eng mit der protestantischen Ethik verknüpft seien.1 Der Protestantismus, im Besonderen der Puritanismus, war seit dem 17. Jahrhundert die bestimmende Religion in den USA. Die Puritaner waren fromme, gottesfürchtige Menschen, deren Leben von Fleiß und Arbeit geprägt war. Für sie stellte Arbeit ein Mittel dar, Gott zu dienen und sich allem Weltlichen, Ausschweifenden und Müßigen zu entziehen. Wenn die Rationalisierung der Arbeit bedeutete, produktiver und sinnvoller als bisher mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen, sollte dies ganz im Sinne ihrer Religion sein. Folglich hatte man auch die mit ihr verbundenen Entbehrungen und Erschöpfungszustände zu erdulden.2 Technologie und Maschinisierung waren die Werkzeuge, um die moderne, bürgerliche Gesellschaft weiter voranzutreiben. Arbeit, auch wenn sie noch so langweilig war, wurde zur Pflicht eines rechtschaffenen Menschen.
Im Laufe der Zeit lösten sich Religion und Pflichtgefühl voneinander ab. Die puritanische Religiosität verschwand aus dem alltäglichen Leben der Amerikaner. Übrig blieb das Erbe einer „nüchternen Berufstugend“3, die die Menschen anhielt, die Bürden der Arbeit hinzunehmen. Der Charakter der Arbeit hatte sich für den Großteil der Erwerbstätigen geändert. Zwar waren viele Tätigkeiten monotoner und ermüdender als zuvor, aber die Rationalisierung der Wirtschaft sorgte gleichzeitig auch für steigende Gehälter, kürzere Arbeitszeiten und deutlich mehr Kaufkraft. So konnte man sich über die Langeweile am Arbeitsplatz und den Verlust von Autonomie durch zahlreiche neue Möglichkeiten des Konsums und der Freizeitgestaltung hinwegtrösten. Es begann sich ein veränderter Wertekanon unter den Menschen herauszubilden, der auf Technikglauben, Instrumentalismus, dem Segen der Rationalisierung und des Konsums beruhte.4
White-Collar Factories
Die Zeit der großen Männer geht zu Ende; die Epoche des Ameisenhaufens, des vielfachen Lebens fängt an. Das Jahrhundert des Individualismus läuft Gefahr, falls die abstrakte Gleichheit überhandnimmt, wahrhaftige Individuen aus dem Blick zu verlieren. Durch die ständige Nivellierung und die Aufteilung der Arbeit wird die Gesellschaft zu allem werden und der Mensch zu nichts.
(Henri-Frédéric Amiel, 1851) 1
Zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert stieg der Bedarf an Büroraum sprunghaft an. Riesige Bürogebäude wuchsen in den Himmel, in denen hunderte, oft tausende Angestellte arbeiteten. Architekten, Bauherren und Manager setzten sich gemeinsam an den Tisch und erschufen systematische Grundrisse für die im Rahmen des Scientific Managements entwickelten Arbeitsvorgänge. Die Prämisse war die gleiche wie auch heute: Diejenigen Mitarbeiter, die viel miteinander kommunizierten, sollten möglichst dicht beieinander sitzen.2
Den Vorzug bekamen daher auch offene Grundrisse ohne störende Barrieren. Wände, Treppen und Etagen wurden, wenn möglich, vermieden. Zur optimalen Flächenausnutzung plante man lange, orthogonal ausgerichtete Tischreihen. An deren Enden gab es erhöhte Plätze für die Vorgesetzten und Kontrolleure. Von dort aus konnten sie die Arbeit ihrer Untergebenen leichter СКАЧАТЬ