Ellernklipp. Theodor Fontane
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Читать онлайн книгу Ellernklipp - Theodor Fontane страница 4

Название: Ellernklipp

Автор: Theodor Fontane

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754179352

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СКАЧАТЬ Morgen« seine Weide zu finden. Die Kühe hatten ein gestimmtes Geläut, und Hilde, wenn sie das Läuten von ferne hörte, lief ihnen entgegen und setzte sich auf den Bankstein in der offenen Vorlaube. Der melancholische Ton der Glocken durchzitterte sie mit einer Sehnsucht weit hinaus, aber diese Sehnsucht in die Weite war ihr Glück. Und zuletzt kam der alte Melcher Harms, den sie schon von früher her kannte, wo sie noch oben auf Kunerts-Kamp zu Hause war. Er trug einen langen Leinenrock mit vielen Knöpfen, wie die Hirten zu tragen pflegen, und immer, wenn er seinen dreikrämpigen Hut abnahm, sah man einen großen braunen Kamm, der sein spärliches, aber langes Haar nach hinten zu zusammenhielt. Und um dieses Kammes willen war es, daß er bei den Dorfleuten etwas spöttisch der Kamm-Melcher hieß. Aber Hilde hing an ihm, und allabendlich, wenn er heimkehrte, brachte er ihr einen Strauß mit, den er aus Heidekraut und ein paar verspäteten Erdbeeren zusammengebunden hatte. Dann nahm sie seine Hand und tat Fragen über Fragen, und erst wenn sie mitten im Dorf und die meisten Kühe längst im Stalle waren, entsann sie sich und schlenderte die Kreuz und Quer und von einem Ufer aufs andre bis an ihr Haus und die von wildem Wein überwachsene Vorlaube zurück. Da traf sie sich mit Martin, der ihr in allem zu Willen war, ohne daß sie selber einen rechten Willen gehabt hätte. Aber er erriet ihre Gedanken und handelte danach.

      Und so wußt' er denn auch bald, daß sie nichts Lieberes tat, als Boot und Flotte spielen, und in seinen freien Stunden saß er seitdem in der Geschirr- und Hobelkammer, schnitt Schiffchen aus Holz- und Rindestücken und gab ihnen einen Mast mit einem weißen Segel daran. Und dann setzten sie die Schiffchen ein und sahen ihnen nach. Die meisten kenterten gleich und wurden ans Ufer geworfen, aber zwei hielten sich bis weit hinaus, und sie konnten sie nicht bloß verfolgen, sondern auch deutlich erkennen, wie sie gerad auf den Sonnenball zufuhren, der zwischen dem niederhängenden Gezweige stand und die schäumenden Wellen vergoldete. »Sieh«, sagte Martin, »das sind wir; ich hab' unsere Namen drangesteckt, und die scheitern nicht. Und wenn du's nicht glaubst, so komm nur, wir wollen sehen, ob ich nicht recht habe.« Und sie liefen abwärts, um die gekenterten Schiffchen wieder aufzusuchen und danach festzustellen, welche zwei noch flott waren; aber schon das zweite, das zwischen den Steinen lag, war der »Martin«. Er nahm es und erschrak. »Ach, Hilde, dann ist es ein anderes Schiff, das mit dir fährt.« Und eine Träne stand in seinem Auge.

      Hilde gab keine Antwort und sah immer nur den beiden Segeln nach, die noch im Abendlichte glänzten, bis endlich das Licht und die Segel verschwunden waren.

      Unter solchem Spielen verging der Herbst, und es war fast, als ob der Wetterumschlag nicht kommen wollte. Aber zuletzt kam er doch. Eines Abends hatten sich Grissel und Hilde niedergelegt und kurz vorm Einschlafen beschlossen, am nächsten Tage die Winteräpfel von den Bäumen zu schütteln, da kam ihnen der Sturm zuvor, und noch ehe Mitternacht heran war, wachte Grissel auf und sah zu Hilde hinüber, ob sie noch schliefe. Aber sie saß schon auf, mit gefalteten Händen, und sah in den Vollmond, der hell hereinschien und die ganze Stube mit seinem weißen, unheimlichen Lichte füllte. Dabei lief der Sturm, der sein Heulen aufgegeben hatte, pfeifenden Tones und immer rascher um das Haus her und zwängte sich durch alle Ritzen. Und mit einem Male ward es still. »Ist es vorüber?« fragte Hilde von ihrem Bett her. Aber ehe Grissel noch antworten konnte, gab es ein Donnern in den Lüften, und alles dröhnte und schütterte, und Grissel, die sonst Mut hatte, rief mit ängstlicher Stimme: »Duck di, Hilde. Dat is he.« Und Hilde duckte sich und wollte sich unter die Kissen verstecken, aber sie konnte es nicht und sprang auf und setzte sich auf Grissels Bett und sagte: »Was machen wir?« – »Wir beten.« – »Ich kann nicht.« – »Dann sprich es nach.« Und Grissel betete:

»Steh uns bei, Herr Jesus Christ, Wider Teufels Macht und List; Dein ist die Kraft und Herrlichkeit In Ewigkeit. Amen.«

      Und »Amen« zitterte Hildens Stimme nach.

      Als sich am andere Morgen der Sturm gelegt hatte, kam die Regenzeit. Die dauerte zwei volle Wochen, und es klatschte Tag und Nacht an die Fenster, und die letzten Blätter fielen von den Bäumen und trieben in hundert kleinen Rinnen dem von dem losgewaschenen Erdreich immer trüber werdenden Bache zu. Hilde stand an dem Giebelfenster oben und fror. Und zuletzt warf sie sich aufs Bett, wickelte sich ein und legte die Füße auf den Binsenstuhl. Aber wenn sie dann Grissel auf der Treppe hörte, sprang sie rasch wieder auf, machte Bett und Decke wieder glatt, trat ans Fenster und sah in den Hof hinunter, wo die Hühner unterm Schuppendach saßen und Tiras seinen Kopf immer nur so weit vorstreckte, wie der Dachvorsprung seiner Hütte reichte. Und dann fragte Grissel: »Was machst du, Hilde?«

      »Ich friere.«

      »Dann komm an den Herd.«

      Und darauf wartete Hilde bloß und ging treppab und kauerte sich unter den Herdbogen, wo das kleingemachte Holz lag, und wenn sie da warm geworden, kroch sie wieder heraus und setzte sich auf den Hauklotz. Da hockte sie stundenlang und sah in das Feuer, in das von oben her aus dem Rauchfang einzelne Tropfen zischend niederfielen, und hörte, wie die Katze spann und wie die Sperlinge, die sich naß und hungrig auf das Fensterbrett geflüchtet hatten, ängstlich und traurig zirpten und zwitscherten. Dann jammerte sie der Kreatur, und sie stand auf und öffnete das Fenster und streute Krumen. Und wenn einige zudringlich in die Küche hineinhuschten, dann hielt sie die Katze fest, bis alle wieder über den Flur oder durch den Rauchfang hinaus ins Freie waren.

      Das ging so wochenlang, bis eines Morgens der Regen fort war und die Sonne hell ins Fenster blinkte. Denn über Nacht war Winter geworden. Und wie das Wetter, so hatte sich auch die Hilde vertauscht und war froh und frisch und aller Müdigkeit los und ledig. Und Martin sagte: »Komm, ich geh' auf die Sieben Morgen.« Und nicht lange, so stiegen sie den Heckenzaun entlang auf ein Tümpelchen zu, das in der Sommerzeit eine Tränke für das Vieh war. Und weil es tief eingebettet und geschützt vor dem Winde lag, war sein Eis glatt, und Martin sagte. »Nun hucke dich und fasse meinen Rock.« Und im nächsten Augenblick fuhr er über die Spiegelfläche hin, und sie glitt ihm nach und konnt' es nicht müde werden, bis ihr zuletzt die klammen Finger versagten. Aber noch auf dem Heimwege versuchte sie's immer wieder, und als Grissel ihrer ansichtig wurde, wie sie so frisch und rotbäckig war, rief sie verwundert ein Mal über das andere: »Kind, Hilde, du bist es ja gar nicht mehr!«

      Und wieder eine Woche später, da trübte sich der Himmel, ohne daß der Frost erheblich gewichen wäre; und als Hilde den dritten Tag aufsah und wie gewöhnlich das Fenster öffnete, siehe, da flog schon ein Schneeball über sie weg und gleich darauf ein zweiter, und Martin rief hinauf: »Aber nun rasch; ich will dich Schlitten fahren.« Und wirklich, ehe noch die Grissel ein Nein oder Ja sagen konnte, war schon die Schleife mit den vier Speichen heraus, und Hilde saß in dem Korbe, einen Häckselsack unter den Füßen und einen Pferdefries über die Knie; Martin und Joost aber spannten sich vor, der eine rechts, der andere links, und im selben Augenblicke ging es vom Hof her in den Fahrweg hinunter und am Hause vorbei, so laut und so froh, daß Baltzer von seinem Tisch aufsah und zur Grissel sagte: »Wie die Hilde lustig sein kann. Und du sagst immer, sie sei bloß müd und matt und recke sich und strecke sich. Da sieh nur, wie das jubelt und lacht!«

      »Ja«, sagte Grissel, »das ist, seit wir den Winter haben; und hat ordentlich rote Backen und ist wie vertauscht. Und uns' Martin auch, und immer hinterher, und Hildechen hier und Hildechen da. Ja, die Hilde! Sie weiß es nicht anders mehr und hat es mein Seel vergessen, wo sie herkommt und was sie eigentlich mit ihr ist... Aber das sag' ich so bloß zwischen uns, Baltzer Bocholt.«

      Und des Heidereiters Stirn, die sich schon gerunzelt hatte, glättete sich wieder, und er sagte ruhig und in beinahe freundlichem Tone: »Und wenn sie's vergessen hat, desto besser. Wir wollen es auch vergessen... Und das vergiß nicht!«

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