Das Wesen des Christentums. Feuerbach Ludwig
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Wesen des Christentums - Feuerbach Ludwig страница 9

Название: Das Wesen des Christentums

Автор: Feuerbach Ludwig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754945940

isbn:

СКАЧАТЬ oder des denkenden Bewußtseins. Macht es gleichwohl seine Schranken zu Schranken der Gattung, so beruht dies auf der Täuschung, daß es sich für eins mit der Gattung hält – eine Täuschung, die mit der Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbstsucht des Individuums aufs innigste zusammenhängt. Eine Schranke nämlich, die ich bloß als meine Schranke weiß, demütigt, beschämt und beunruhigt mich. Um mich daher von diesem Schamgefühl, von dieser Unruhe zu befreien, mache ich die Schranken meiner Individualität zu Schranken des menschlichen Wesens selbst. Was mir unbegreiflich, ist auch den andern unbegreiflich; was soll ich mich weiter kümmern? es ist ja nicht meine Schuld; es liegt nicht an meinem Verstande; es liegt am Verstande der Gattung selbst. Aber es ist Wahn, lächerlicher und zugleich frevelhafter Wahn, das, was die Natur des Menschen ausmacht, das Wesen der Gattung, welches das absolute Wesen des Individuums ist, als endlich, als beschränkt zu bestimmen. Jedes Wesen ist sich selbst genug. Kein Wesen kann sich, d. h. seine Wesenheit verneinen; kein Wesen ist sich selbst ein beschränktes. Jedes Wesen ist vielmehr in sich und für sich unendlich, hat seinen Gott, sein höchstes Wesen in sich selbst. Jede Schranke eines Wesens existiert nur für ein and-res Wesen außer und über ihm. Das Leben der Ephemeren ist außerordentlich kurz im Vergleich zu länger lebenden Tieren; aber gleichwohl ist für sie dieses kurze Leben so lang, als für andere ein Leben von Jahren. Das Blatt, auf dem die Raupe lebt, ist für sie eine Welt, ein unendlicher Raum.

      Was ein Wesen zu dem macht, was es ist, das ist eben sein Talent, sein Vermögen, sein Reichtum, sein Schmuck. Wie wäre es möglich, sein Sein als Nichtsein, seinen Reichtum als Mangel, sein Talent als Unvermögen wahrzunehmen? Hätten die Pflanzen Augen, Geschmack und Urteilskraft – jede Pflanze würde ihre Blume für die schönste erklären; denn ihr Verstand, ihr Geschmack würde nicht weiter reichen, als ihre produzierende Wesenskraft. Was die produzierende Wesenskraft als das Höchste hervorbrächte, das müßte auch ihr Geschmack, ihre Urteilskraft als das Höchste bekräftigen, anerkennen. Was das Wesen bejaht, kann der Verstand, der Geschmack, das Urteil nicht verneinen; sonst wäre der Verstand, die Urteilskraft nicht mehr der Verstand, die Urteilskraft dieses bestimmten, sondern irgendeines andern Wesens. Das Maß des Wesens ist auch das Maß des Verstandes. Ist das Wesen beschränkt, so ist auch das Gefühl, auch der Verstand beschränkt. Aber einem beschränkten Wesen ist sein beschränkter Verstand keine Schranke; es ist vielmehr vollkommen glücklich und befriedigt mit demselben; es empfindet ihn, es lobt und preist ihn als eine herrliche, göttliche Kraft; und der beschränkte Verstand preist seinerseits wieder das beschränkte Wesen, dessen Verstand er ist. Beide passen aufs genauste zusammen; wie sollten sie mit einander zerfallen können? Der Verstand ist der Gesichtskreis eines Wesens. So weit du siehst, so weit erstreckt sich dein Wesen, und umgekehrt. Das Auge des Tieres reicht nicht weiter, als sein Bedürfnis, und sein Wesen nicht weiter, als sein Bedürfnis. Und so weit dein Wesen, so weit reicht dein unbeschränktes Selbstgefühl, so weit bist du Gott. Der Zwiespalt von Verstand und Wesen, von Denkkraft und Produktionskraft im menschlichen Bewußtsein ist einerseits ein nur individueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerseits nur ein scheinbarer. Wer seine schlechten Gedichte als schlecht erkennt, ist, weil in seiner Erkenntnis, auch in seinem Wesen nicht so beschränkt, wie der, welcher seine schlechten Gedichte in seinem Verstande gutheißt.

      Denkst du folglich das Unendliche, so denkst und bestätigst du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlst du das Unendliche, so fühlst und bestätigst du die Unendlich-keit des Gefühlsvermögens. Der Gegenstand der Vernunft ist die sich gegenständliche Vernunft, der Gegen-stand des Gefühls das sich gegenständliche Gefühl. Hast du keinen Sinn, kein Gefühl für Musik, so vernimmst du auch in der schönsten Musik nicht mehr, als in dem Winde, der vor deinen Ohren vorbeisaust, als in dem Bache, der vor deinen Füßen vorbeirauscht. Was ergreift dich also, wenn dich der Ton ergreift? Was vernimmst du in ihm? was anders, als die Stimme deines eignen Herzens? Darum spricht das Gefühl nur zum Gefühl, darum ist das Gefühl nur dem Gefühl, d. h. sich selbst verständlich – darum, weil der Gegenstand des Gefühls selbst nur Gefühl ist. Die Musik ist ein Monolog des Gefühls. Aber auch der Dialog der Philosophie ist in Wahrheit nur ein Monolog der Vernunft: der Gedanke spricht nur zum Gedanken. Der Farbenglanz der Kristalle entzückt die Sinne; die Vernunft interessieren nur die Gesetze der Kristallonomie. Der Vernunft ist nur das Vernünftige Gegenstand. Alles daher, was im Sinne der übermenschlichen Spekulation und Religion nur die Bedeutung des Abgeleiteten, des Subjektiven oder Menschlichen, des Mittels, des Organs hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung des Ursprünglichen, des Göttlichen, des Wesens, des Gegenstandes selbst. Ist z. B. das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus, als das Wesen des Gefühls. Der wahre, aber verborgene Sinn der Rede: »das Gefühl ist das Organ des Göttlichen«, lautet: das Gefühl ist das Nobelste, Trefflichste, d. h. Göttliche im Menschen. Wie könntest du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht selbst göttlicher Natur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche, »Gott nur durch sich selbst erkannt«. Das göttliche Wesen, welches das Gefühl vernimmt, ist in der Tat nichts als das von sich selbst entzückte und bezauberte Wesen des Gefühls – das wonnetrunkene, in sich selige Gefühl.

      Es erhellt dies schon daraus, daß da, wo das Gefühl zum Organ des Unendlichen, zum subjektiven Wesen der Religion gemacht wird, der Gegen stand derselben seinen objektiven Wert verliert. So ist, seitdem man das Gefühl zur Hauptsache der Religion gemacht, der sonst so heilige Glaubensinhalt des Christentums gleichgültig geworden. Wird auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenstand noch Wert eingeräumt, so hat er doch diesen nur um des Gefühls willen, welches sich vielleicht nur aus zufälligen Gründen mit ihm verknüpft; würde ein anderer Gegenstand dieselben Gefühle erregen, so wäre er ebenso willkommen. Der Gegenstand des Gefühls wird aber eben nur deswegen gleichgültig, weil, wo einmal das Gefühl als das subjektive Wesen der Religion ausgesprochen wird, es in der Tat auch das objektive Wesen derselben ist, wenn es gleich nicht als solches, wenigstens direkt, ausgesprochen wird. Direkt sage ich, denn indirekt wird dies allerdings dadurch eingestanden, daß das Gefühl als solches für religiös erklärt, also der Unterschied zwischen eigentümlich religiösen und irreligiösen oder wenigstens nicht religiösen Gefühlen aufgehoben wird – eine notwendige Konsequenz von dem Standpunkt, wo nur das Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt. Denn warum anders als wegen seines Wesens, seiner Natur machst du das Gefühl zum Organ des unendlichen, des göttlichen Wesens? Ist aber nicht die Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes speziellen Gefühls, sein Gegenstand sei nun welcher er wolle? Was macht also dieses Gefühl zum religiösen? der bestimmte Gegenstand? Mitnichten, denn dieser Gegenstand ist selbst nur ein religiöser, wenn er nicht ein Gegenstand des kalten Verstandes oder Gedächtnisses, sondern des Gefühls ist. Was also? die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterschied des Gegenstandes, teilhat. Das Gefühl ist also heiliggesprochen, lediglich weil es Gefühl ist; der Grund seiner Religiosität ist die Natur des Gefühls, liegt in ihm selbst. Ist aber dadurch nicht das Gefühl als das Absolute, als das Göttliche selbst ausgesprochen? Wenn das Gefühl durch sich selbst gut, religiös, d.h. heilig, göttlich ist, hat das Gefühl seinen Gott nicht in sich selbst?

      Wenn du aber dennoch ein Objekt des Gefühls festsetzen, zugleich aber dein Gefühl wahrhaft auslegen willst, ohne mit deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was bleibt dir übrig, als zu unterscheiden zwischen deinen individuellen Gefühlen und zwischen dem allgemeinen Wesen, der Natur des Gefühls, als abzusondern das Wesen des Gefühls von den störenden, verunreinigenden Einflüssen, an welche in dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden ist? Was du daher allein vergegenständlichen, als das Unendliche aussprechen, als dessen Wesen bestimmen kannst, das ist nur die Natur des Gefühls. Du hast hier keine andere Bestimmung für Gott als diese: Gott ist das reine, das unbeschränkte, das freie Gefühl. Jeder andre Gott, den du hier setzest, ist ein von außen deinem Gefühl aufgedrungener Gott. Das Gefühl ist atheistisch im Sinne des orthodoxen Glaubens, СКАЧАТЬ