Название: Blinde Liebe
Автор: Уилки Коллинз
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754176511
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Mountjoy erwartete, nun noch mehr zu hören, aber es wurde nichts weiter gesagt. Vielleicht blickte die verschwiegene Dame nicht gern auf jene Zeit zurück nach einer so langen Reihe von dazwischenliegenden Jahren, oder sie hatte vielleicht auch ihre Gründe, Mr. Mountjoys Verlangen nach der Wahrheit nicht zu befriedigen. Auf jeden Fall ließ sie mit Absicht dieses Gesprächsthema fallen; Iris nahm es jedoch wieder auf. Sie saß an dem einzigen Tisch in dem Zimmer und befand sich so gerade gegenüber einem der Bilder – dem ausgezeichneten Porträt der Mrs. Siddons als tragische Muse.
»Ich möchte wohl wissen, ob Mrs. Siddons wirklich so schön gewesen ist wie auf diesem Bild,« sagte sie, indem sie auf das Gemälde zeigte. »Sir Josua Reynolds soll, wie man sich erzählt, seinen Originalen sehr geschmeichelt haben.«
Mrs. Vimpanys große, selbstbewußte Augen erstrahlten plötzlich in höherem Glanz; der Name dieser großen Schauspielerin schien ihr Interesse zu wecken, aber im Begriff, wie es schien, zu sprechen, ließ sie den Gegenstand ebenso fallen wie vorher bei dem allgemeineren Gespräch über das Theater. Mountjoy konnte nicht umhin, selbst Iris zu antworten.
»Keines von uns ist alt genug,« erinnerte er sie, »um zu entscheiden, ob Sir Josua Reynolds' Pinsel sich der Schmeichelei schuldig gemacht hat oder nicht.«
Darauf wendete er sich wieder an Mrs. Vimpany und versuchte es nun auf einem andern Weg, einen Einblick in ihr früheres Leben zu gewinnen.
»Als Miß Henley so glücklich war, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte er, »waren Sie auf einer Reise in Irland begriffen. War dies Ihr erster Besuch in diesem unglücklichen Lande?«
»Ich bin mehr als einmal in Irland gewesen.«
Nachdem sie so wiederum mit voller Ueberlegung die Erwartungen Hugh Mountjoys getäuscht hatte, wurde sie jetzt durch eine rechtzeitige Unterbrechung von der Weiterfortsetzung des Gespräches befreit. Es war die Stunde, wo die Nachmittagspost abgeliefert zu werden pflegte. Das Dienstmädchen trat in das Zimmer mit einem kleinen versiegelten Paket und hatte außerdem noch ein bedrucktes Papier in der Hand.
»Es ist eingeschrieben, Frau Doktor,« sagte das Mädchen. »Der Postbote bittet Sie, den Zettel zu unterschreiben. Er scheint Eile zu haben.«
Sie legte das Paket und das Blatt Papier auf den Tisch in die Nähe des Tintenfasses. Nachdem Mrs. Vimpany den Schein unterzeichnet hatte, nahm sie das Paket in die Hand und sah nach der Adresse. Sofort blickte sie zu Iris hin und wendete dann ebenso schnell ihre Augen wieder weg.
»Bitte, entschuldigen Sie mich einen Augenblick,« sagte sie und verließ rasch das Zimmer, ohne das Paket zu öffnen.
In dem Moment, als sich die Thür hinter ihr schloß, sprang Iris auf und eilte zu Mountjoy hin.
»O Hugh,« sagte sie, »ich sah die Adresse auf dem Paket, als das Dienstmädchen es auf den Tisch legte.«
»Was kann Sie denn an dieser Adresse so erregen, liebe Iris?«
»Bitte, sprechen Sie nicht so laut! Sie horcht vielleicht vor der Thür.«
Nicht nur die Worte, sondern auch der Ton, in welchem sie gesprochen waren, überraschten Mountjoy. »Meinen Sie Ihre Freundin, Mrs. Vimpany?« rief er aus.
»Mrs. Vimpany scheute sich, das Paket in unserer Gegenwart zu eröffnen,« fuhr Iris fort. »Sie müssen es ja selbst bemerkt haben. Die Handschrift war mir bekannt; ich weiß genau, wer die Adresse geschrieben hat.«
»Nun, wer denn?«
Sie flüsterte ihm leise ins Ohr:
»Lord Harry!«
Fünfzehntes Kapitel.
»Ich bin vollständig von dem überzeugt,« sagte sie zu ihm, »was ich soeben ausgesprochen habe.«
Mountjoys bedächtiger, nicht leicht aus dem Gleichgewicht zu bringender Sinn trug Bedenken, ein allzu schnelles Urteil zu fällen.
»Ich bin sicher, daß Sie von dem, was Sie mir gesagt haben, vollständig überzeugt sind,« entgegnete er. »Aber Irrtümer kommen doch bisweilen bei der Beurteilung von Handschriften vor.«
Infolge des lebhaft erregten Zustandes, in dem sich Iris jetzt befand, war sie sehr leicht beleidigt. Er hatte ja selbst, wie sie ihm ins Gedächtnis zurückrief, in früherer Zeit die Handschrift Lord Harrys gesehen. War denn überhaupt bei diesem dick geschriebenen Buchstaben ein Irrtum möglich?
»O Hugh!« rief sie aus; »ich bin elend genug, versuchen Sie es nicht, mir noch abstreiten zu wollen, was ich genau weiß! Nur denken zu müssen, daß eine so liebenswürdige, so freundliche, so uneigennützig erscheinende Frau – nur denken zu müssen, daß Mrs. Vimpany mich getäuscht hat!«
Es lag nicht der geringste Grund vor, dem, was sich ereignet hatte, diese Auslegung zu geben. Mountjoy machte daher auch besänftigende Einwendungen.
»Meine liebe Iris, wir wissen wirklich noch nicht, ob Mrs. Vimpany in der That nach Vorschriften von Lord Harry gehandelt hat. Warten Sie daher noch eine kurze Zeit, bevor Sie Ihre Reisegefährtin beschuldigen, daß sie Ihnen nur in der Absicht ihre Dienste angeboten habe, um Sie zu täuschen.«
Iris war von neuem ärgerlich über ihren Freund.
»Warum aber hat mir Mrs. Vimpany nie gesagt, daß sie Lord Harry kennt? Ist das nicht verdächtig?«
Mountjoy lächelte.
»Erlauben Sie, daß ich auch meinerseits eine Frage stelle,« sagte er. »Haben Sie denn Mrs. Vimpany erzählt, daß Sie Lord Harry kennen?« Iris gab keine Antwort, aber ihr Gesicht sprach statt dessen. »Nun also,« fuhr er fort, »ist vielleicht ihr Schweigen verdächtig? Merken Sie wohl, ich bin weit davon entfernt, zu sagen, daß dieses, wenn es der Fall wäre, nicht eine sehr unangenehme Entdeckung sein würde. Aber lassen Sie uns nur erst vollkommen sicher sein, daß wir recht haben.«
Neben den meisten weiblichen Vorzügen besaß Miß Henley auch viele Fehler der Frauen. Sie hielt an ihrer eigenen Meinung fest und fragte nur Hugh, wie sie denn hoffen könnten, zu einer Gewißheit darüber zu kommen, da sie doch ihre Fragen an eine Person richten müßten, welche sie schon getäuscht hätte.
Mountjoys unerschöpfliche Geduld suchte Mrs. Vimpany immer noch zu verteidigen.
»Wenn sie zurückkommt,« sagte er, »so werde ich schon eine passende Gelegenheit zu finden wissen und Lord Harrys Namen erwähnen. Wenn sie dann sagt, daß sie ihn kennt, so können wir mit gutem Gewissen ihr auch weiterhin trauen.«
»Angenommen nun, sie heuchelt Unkenntnis,« fuhr Iris hartnäckig fort, »und gibt sich den Anschein, als ob sie niemals zuvor seinen Namen gehört hätte.«
»In diesem Falle werde ich gern zugeben, daß ich im Unrecht war, und werde Sie bitten, mir zu verzeihen.«
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