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Sonnenhut erinnern können und weniger an das Gesicht. Sie verglich noch einmal die alten Fotografien mit dem Gemälde. Sie hielt den Ausdruck daneben. Nein, es war eindeutig, sie war es. Florence war ganz aufgeregt. Eines der Bilder aus der Ausstellung war das Gruppenfoto, das Florence die ganze Zeit vor Augen hatte. Im Zentrum der Fotografie befand sich das Fischerboot, es war auf den Strand gezogen. Der Mast war durch den oberen Bildrand abgeschnitten. Mehrere Erwachsene standen links und rechts vom Kiel. Vor ihnen hatten sich Kinder und einige Frauen gehockt. Es waren vielleicht fünfzehn Personen. Das Foto war so aufgenommen, dass die Gesichter all der Menschen gut zu erkennen waren. Die zweite Fotografie zeigte nicht den Strand, sondern eine Siedlung mit Häusern und unbefestigten Straßen. Die Kleine trug hier keinen Hut mehr und hatte auch ein anderes Kleid an. Es war ein schweres, braunes Kleid, das nicht richtig zum Klima der Inseln passte. Vor einem Kolonialwarenladen hatten sich ein Dutzend Kinder versammelt. Es sah beinahe aus wie eine Schulklasse. Einige der Kinder hatten große geflochtene Körbe vor ihre Füße gestellt, die mit Obst und Gemüse angefüllt waren. Neben dem kleinen Mädchen schienen auch alle anderen Kinder europäischer Abstammung zu sein. Das Bild war anders, als die Aufnahme vom Strand. Auf dem Foto vom Strand hatten die Erwachsenen und auch die Kinder noch versucht, sehr würdevoll in die Kamera zu blicken. Insgesamt sahen aber alle immer noch sehr fröhlich aus und lächelten beinahe, als wenn der Fotograf es ihnen vor dem Auslösen der Kamera zugerufen hätte. Auf dem zweiten Foto, das vor diesem Laden aufgenommen worden war, hatte das kleine Mädchen die Augen leicht zusammengekniffen und sah recht ernst aus. Es war eindeutig, dass Gauguin in dem Ölgemälde eher die Stimmung eingefangen hatte, die auch in der Fotografie vom Strand herrschte. Florence nahm die zweite Aufnahme von der Wand und hielt sie neben die Strandszene. Sie sah sich die beiden Fotos genauer an. Ihr Blick wechselte mehrfach vom einen zum anderen. Irgendetwas unterschied die Gesichter des kleinen Mädchens. Es war nicht der Gesichtsausdruck, es war etwas anderes. Florence überlegte, aber sie konnte den Grund dafür nicht feststellen. Die Kleine hatte lange, wohl dunkelblonde Haare, die glattgekämmt über ihrer Schulter lagen. Bei der Aufnahme am Strand waren ihre Haare noch von dem Hut verdeckt. Florence betrachtete sich das Ölgemälde. Gauguin hatte sie so gemalt, dass ihre langen Haare nach hinten über den Rücken gelegt waren. Einige Strähnen bedeckten die Schulter und waren nur schwer von der Farbe ihres Kleides zu unterscheiden. Der Schwarzweiß-Ausdruck des Ölgemäldes gab diesen Kontrast nur schwach wieder. Florence erkannte jetzt auch, dass das Kleid auf dem Ölgemälde nicht nur einen ähnlichen Schnitt hatte, wie das Kleid, das die Kleine auf dem Foto vom Strand trug, das Muster schien auch sehr ähnlich zu sein. Es stimmten erstaunlich viele Details überein. Die beiden Fotografien, auf denen das Mädchen zu sehen war, stammten von der Insel Hiva Oa und waren im Jahr 1904 aufgenommen. Florence stutzte. Sie hatte immer noch eines der Fotos in der Hand und legte es auf den Boden des Stationsflures. Den Ausdruck des Ölgemäldes nahm sie jetzt in beide Hände und hielt ihn in das Licht, das durch die Stationstür von draußen in den Flur strahlte. Sie versuchte den Text zu entziffern, der mit einem feinen Pinselstrich in die rechte Bildecke geschrieben war. Neben der Signatur konnte sie als Entstehungsdatum des Ölgemäldes das Jahr 1902 lesen. Unterhalb von Signatur und Jahreszahl war der Bildtitel geschrieben. »Julie des Bois«, las Florence laut vor. Es war die Jahreszahl, die sie stutzig machte. Sie überlegte. Das Motiv des Ölgemäldes konnte nicht von der Fotografie stammen. Die Fotografie wurde erst zwei Jahre nach der Entstehung des Ölgemäldes aufgenommen. Oder war vielleicht die Datierung der Fotografien falsch, stammten die Aufnahmen vielleicht doch aus dem Jahr 1902. Sie sah sich wieder die Strandszene an und verglich auch diese Fotografie mit dem Ölgemälde. Es war schwer zu sagen, ob Gauguin das Foto gekannt hatte, bevor er sein Bild malte. Ganz sicher war sich Florence nur, dass das kleine Mädchen auf den beiden alten Fotografien mit dem Kind auf dem Gauguin-Gemälde übereinstimmte. Sie bückte sich wieder und hob die abgelegte Fotografie vom Boden auf. Sie hielt diese Aufnahme und das Foto des Ölgemäldes links und rechts neben die Fotografie der Strandszene. Ihr Blick wanderte noch ein paar Mal von Bild zu Bild. Sie klemmte sich den einen Rahmen schließlich unter den Arm und nahm die Strandszene ebenfalls von der Wand. Sie würde die Bilder in einer halben Stunde wieder zurückbringen. Florence verließ die Station und lief den Weg am Gebäude entlang zum Eingangsbereich zurück. In ihrem Büro angekommen, löste sie die Fotografien aus den Rahmen. Die Rückseiten der Bilder trugen Aufkleber, auf denen das Copyright eines Fotolabors vermerkt war. Das Fotolabor hatte seinen Sitz auf Tahiti. Es war eine Hausanschrift und sogar eine E-Mail-Adresse vermerkt. Zusätzlich hatten die Fotografien noch unterschiedliche Registrierungsnummern. Florence notierte sich alles. Im Vorraum ihres Büros hatte sie einen Drucker, mit dem sie die Aufnahmen scannen konnte. Die Dateien wurden an ihren Computer gesendet. Florence ging in ihr Büro, öffnete die Dateien und betrachte sich die Bilder eine Zeit lang am Computermonitor. Dann raffte sie sich auf, baute die Bilderrahmen zusammen und machte sich sofort wieder auf den Weg zur Station der Innerenmedizin.
Nach zehn Minuten kehrte sie zurück und setzte sich sofort wieder vor ihren Computer. Sie hatte zusammen mit dem Foto des Ölgemäldes drei digitale Bilder, die sie sich jetzt noch einmal ansah. Wie bei einer Diashow ließ sie sich die Bilder nacheinander auf dem Monitor anzeigen. Sie sah sich immer wieder die alten Fotografien an und verglich Details darauf mit dem Ölgemälde. Sie dachte an die Ausstellung, aus der die Fotografien stammten. Es konnte durchaus sein, dass noch andere Bilder existierten, die nicht in der Ausstellung gezeigt wurden und auf denen das kleine Mädchen vielleicht ebenfalls zu sehen war. Sie sah nach ihren Notizen, sie hatte die Adresse des Fotolabors. Das Labor hatte sicherlich zahlreiche weitere Bilder für die Ausstellung in Taiohae angeboten und der Gemeinderat hatte sich die besten herausgesucht. Florence schrieb eine E-Mail an das Fotolabor auf Tahiti. In der Nachricht erklärte sie kurz, worum es ihr ging. Sie bezog sich auf die Ausstellung im Gemeindehaus auf Nuku Hiva und fragte nach weiteren Aufnahmen und nach den Namen der Fotografen, von denen die Bilder stammten. In ihrer Mail fragte sie an, ob es Unterlagen gäbe, aus denen hervorginge, wer auf den Fotografien abgebildet war. Auch wenn ihr Wunsch sehr wahrscheinlich nicht erfüllt werden konnte, so war es wenigstens ein Versuch wert.
*
Das Fotolabor meldete sich gleich am nächsten Tag und schickte eine Tabelle mit der ausführlichen Beschreibung aller Informationen zu den Fotografien, die seinerzeit für die Rathausausstellung geliefert wurden. Florence überflog die Beschreibungen zu den einzelnen Bildern. Zumeist wurden die Orte genannt, an denen die Fotografien entstanden waren, Hiva Oa, Nuku Hiva und Ua Pou. Die Insel Hiva Oa kam dabei am häufigsten vor, von Ua Pou gab es dagegen nur zwei Aufnahmen. Die ältesten Fotografien stammten aber von Nuku Hiva. Es begann mit dem Jahr 1895. Zu jedem Bild wurde außerdem kurz beschrieben, was die Aufnahme darstellte. Die Titel lauteten: »Strand bei Taiohae«, »Straßenszene in Atuona«, »Vor dem Hotel Charles« oder »Regierungsbeamte vor der Kommandantur«. Wer die Menschen waren, ihre Namen, war nicht erwähnt. In zwei Einträgen, die direkt hintereinander folgten, erkannte sie die Registrierungsnummern der Fotografien, die sie sich von der Station mitgenommen hatte. Der Titel des einen Bildes lautete »Hiva Oa, Strand von Taaoa« und der des anderen »Handelsposten Gallet in Atuona«. Florence überlegte, natürlich kannte sie den Strand von Taaoa. Es war einer der wenigen Küstenabschnitte auf Hiva Oa, die eine Sanddünung besaßen. Heute gab es dort zwei Hotels, die auf einem Teil des Strandes Sonnenstühle und Schirme für ihre Gäste anboten. Einen Handelsposten oder ein Geschäft mit dem Namen Gallet war Florence nicht bekannt. Die beiden Fotografien stammten von demselben Fotografen. Der Mann hieß Victor Jasoline. In der Tabelle waren für die anderen Bilder insgesamt noch vier weitere Fotografen genannt. Victor Jasoline hatte von allen aber die meisten der Aufnahmen beigetragen. Florence sah sich noch einmal die Fotografie an, auf der die Kinder vor dem Geschäft zu sehen waren. Das Bild ließ nur erkennen, dass es sich um ein Geschäft, um einen Laden handelte, ohne die heute typischen Schaufenster. Neben den Körben mit Obst war ein Teil der Waren, Holztröge, Bürsten und Werkzeuge, noch am rechten Bildrand zu sehen. An dem Holzgebäude war ein Schild angebracht, von dem nur ein Teil der Aufschrift auf die Fotografie gekommen war. Es war ein Teil des Wortes »Handel«. Der Name Gallet tauchte nirgends auf. Florence suchte, ob es irgendwo auf den Auslagen verzeichnet war, aber sie konnte nichts finden. Sie sah sich noch einmal die Kinder an. Das kleine Mädchen stand zwischen zwei Jungen.
Florence überlegte. Sechsunddreißig Fotografien, das waren
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