Wie in einem Spiegel. Eckhard Lange
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Название: Wie in einem Spiegel

Автор: Eckhard Lange

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Antike Sagen - für unsere Zeit erzählt

isbn: 9783738083668

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СКАЧАТЬ war, als er seinen Namen nannte und hinzufügte, er sei in der Stadt. Um einen kurzfristigen Termin zu nennen, gab sie das Gespräch in die Warteschleife zurück, und Jason wusste, dass sie zunächst den Onkel informierte. Dann meldete sie sich zurück, bat um Entschuldigung und lud ihn für den frühen Nachmittag ins Werk.

      Es galt also, noch einmal einige Stunden zu überbrücken, und weil ihm nichts anderes einfiel und auch der Regen längere Spaziergänge unmöglich machte, beschloss Jason, jene großen Kirchen zu besuchen, die er als Kind an der Hand der Mutter einmal bestaunt hatte. Und so betrachtete er zunächst im altehrwürdigen Dom die vielen gotischen Schnitzaltäre, bis ihn eine weibliche Heiligenfigur plötzlich an Anita erinnerte, seine erste und so kläglich gescheiterte Beziehung im vergangenen Jahr. Da verließ er verstört das Gotteshaus, und auch die hohe Halle der Ratskirche nahe dem Markt konnte ihm die innere Ruhe nicht wieder zurückbringen. Doch dann erklang das Glockenspiel der astronomischen Uhr, und danach lud eine Stimme zu einer kurzen Andacht ein.

      Jason setzte sich ins Mittelschiff, lauschte auf das Vorspiel der Orgel und hörte unkonzentriert auf eine Frau, die dort vorne ihre Gedanken ausbreitete. Doch er fand nichts, was ihn innerlich bewegen konnte. So ging er, immer noch voller Unruhe und Selbstzweifel, zum Wagen zurück. Immerhin hatte der Regen aufgehört, und hin und wieder brach sogar ein wenig Sonnenschein durch die dichte Wolkendecke. Unterwegs kaufte er sich einen Snack in einer Bäckerei, damit er nicht mit leerem Magen in das Gespräch gehen musste. Endlich zeigte die Uhr, dass es Zeit war, den Wagen die Ausfallstraße hinaus zum Werksgelände der Yolck Pharma KG zu lenken. Er fand einen Besucherparkplatz nahe dem Verwaltungsgebäude und betrat die Eingangshalle. Der Pförtner meldete seine Ankunft und beschrieb den Weg zum Vorzimmer, wo ihn die Sekretärin mit großer Höflichkeit empfing. Sie bat ihn, einen Augenblick zu warten, bis der Chef sein Telefongespräch beendet habe, und gab ihm dann die Tür frei.

      Es war immer noch jener Raum, in den er einst von seinem Vater geführt worden war, nur an die Möblierung konnte Jason sich nicht mehr erinnern, wohl aber an die dunkle Eichenholztäfelung, die der Großvater hatte anbringen lassen und die noch immer den Wänden ein gediegenes und auch ehrfurchtgebietendes Aussehen gab. Peer Yolck hatte sich erhoben und ging auf den Neffen zu. Er war älter geworden, der Haarkranz noch spärlicher, aber er blickte energisch über seine Lesebrille hinweg auf den Jungen, dann zeigte sein Gesicht ein Lächeln, er streckte die Hand aus und sagte: „Schön, dich einmal wiederzusehen, Jason. Ich hoffe, du hast keine schlechte Nachricht für mich. Es ist doch alles in Ordnung dort in deiner Schule?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wies er auf die Sitzecke neben dem Schreibtisch, und beide setzten sich. Auf einem Tischchen standen Flaschen mit Wasser und verschiedenen Säften, daneben eine Schale mit Gebäck. „Bitte, bedien dich, mein Junge!“

      Eine Weile verlief das Gespräch in unverbindlicher Plauderei, der Gastgeber erkundigte sich nach dem Schulbetrieb in Lenorenlund, sie sprachen über die schöne Lage an der Förde, über Jasons Segeltörns und seine Mitarbeit in den Gilden, die zum Konzept des Internats gehörten, und Jason war froh, nicht sofort mit seinem Anliegen herausrücken zu müssen. Doch dann entstand eine Pause, der Onkel griff zu seinem Glas und fixierte den Neffen mit einer sichtbaren Spannung: „Du bist sicher nicht hergekommen, um mit mir über deine Jugendstreiche zu plaudern,“ sagte er. „Willst du mir den eigentlichen Grund verraten?“

      Jason nickte: „Du hast recht, Onkel Peer. Ich habe einen Grund. Oder nenne es eine Bitte. Du weißt, im Frühjahr werde ich das Abi machen, dann ist die Zeit im Internat vorbei. Ich muss mich entscheiden, wie es weitergehen soll.“ Und dann erläuterte Jason seinen Wunsch, zunächst ein mehrmonatiges Praktikum zu machen – und zwar hier, bei der Yolck Pharma. Und er schloss: „Ich möchte die Firma gerne näher kennenlernen. Schließlich ist es das Werk meines Vaters.“

      Peer Yolck hob erstaunt die Brauen und blickte den Neffen aufmerksam an. Wie sollte er diese Bemerkung verstehen? Und was hatte er mit diesem Wort „Werk“ gemeint? Nur schlicht das Lebenswerk seines Bruders Eicke, oder diesen Betrieb, der schließlich ihm, Peer Yolck, gehörte? Der Onkel hatte allen Grund, misstrauisch zu sein, aber er ließ sich nichts davon anmerken, sondern sagte nach einem Moment des Schweigens ruhig und freundlich: „Ich freue mich, dass du für die Yolck Pharma Interesse zeigst, das ist schließlich unser aller Lebensinhalt. Aber wie ein solches Praktikum aussehen könnte, das muss ich erst mit meinen Herren besprechen. Wir haben zwar gelegentlich Schüler als Praktikanten im Haus, aber doch höchstens für eine Woche. Die laufen dann einfach so mit und schauen zu, und in die Produktion dürfen sie sowieso nicht, das wäre zu gefährlich. Und an eine normale Lehre, mit welchem Berufsziel auch immer, hast du sicher auch nicht gedacht. Also hab bitte Verständnis, wenn ich nicht einfach zusagen kann. Ich muss das erst einmal abklären.“

      „Und wie lange wird das dauern? Ich müsste mich sonst möglichst rasch bewerben, Onkel Peer, ob nun Ausbildung oder Studienplatz.“ „Bleibst du noch länger in der Stadt? In ein paar Tagen könnte ich dir Näheres sagen.“ Aber Jason wollte möglichst schnell wieder abreisen, außerdem waren die Herbstferien mit dem anstehenden Wochenende beendet. Der Onkel nickte: „In Ordnung, mein Junge, ich werde sehen, dass wir rasch zu einer Entscheidung kommen. Spätestens Montag Nachmittag werde ich dich informieren. Über alles Nähere können wir dann immer noch sprechen. Einverstanden?“ Jason nickte.

      Peer Yolck erhob sich und reichte dem Neffen die Hand: „Wir werden schon einen Weg finden. Und – es war schön, dich nach so langer Zeit einmal wiederzusehen. Aber das wird sich ja hoffentlich bald ändern.“ Jason nahm das als eine vorweggenommene Zusage. Womit hätte der Onkel ihm auch seinen Wunsch verwehren können? Der erste Schritt in eine neue Zukunft war also getan.

      KAPITEL 6

       Ich habe ihn immer gehasst, meinen Onkel, aber ich habe mir das lange nicht eingestanden. Gut, er hat für meine Ausbildung gesorgt, als Vater dazu nicht mehr fähig war. Aber er hat uns alle nur benutzt für seine Ziele. Seinen Bruder hat er aus der Firma gedrängt, statt ihm zu helfen; seinen Neffen hat er mit kriminellen Aufträgen geködert, um ihm dann doch den Lohn vorzuenthalten. Es ist wahr: Ich war sein Werkzeug, als er um seinen Reichtum fürchten musste. Aber den Reichtum wollte er nur für sich, und ich bin leer ausgegangen. –

       Schon wieder dieses Selbstmitleid, Jason Yolck? Du hast dich doch auf jenes Spiel eingelassen, du hast kriminell gehandelt und Unschuldige mit hineingezogen. Denke an Madeleine. Sie ist das Opfer, nicht du! Du bist ausgenutzt worden, klagst du? Hast du nicht ebenso gehandelt, hast du nicht diese Frau benutzt für deine Ziele und sie dann ebenso fallen lassen? -

       Nein, nein und nochmals nein! Ich habe sie geliebt, obwohl ich nicht mehr lieben konnte. Ich habe ihr Erfüllung geschenkt und auch ein Kind – mein Kind, das sie so grauenvoll sterben ließ. –

       Das wird noch zu klären sein, Jason. Schon wieder verdrängst du deine eigene Schuld. Aber es geht nicht um deine Rechtfertigung, es geht um die Wahrheit, an die du dich erinnern sollst. Ohne diese Wahrheit wirst du deinem Leben niemals einen Sinn geben können. -

       Warum willst du mich immer nur beschuldigen, warum willst du mir meine Sicht der Dinge nehmen? Warum willst du mich vernichten? Ich bin doch du, es ist auch dein Leben, um das wir hier rechten. –

       Ja, es ist mein Leben, und eben deshalb muss ich auf der Wahrheit bestehen. Denn ich bin dein gespiegeltes Antlitz, du schaust doch in deine eigenen Augen, wenn du mich anblickst. Ich bin dein Gewissen, das du nicht hören willst. Aber ich bin da, Jason Yolck, mich wirst du nicht verjagen, auch wenn du den Spiegel verhängst, auch wenn du die Augen schließt. Dann werde ich in deinen Träumen zu dir kommen, und die musst du ertragen. Vielleicht kannst du sie vergessen im hellen Tageslicht, aber danach kommt die Nacht, kommt dein Schlaf, danach kommen deine Träume – komme ich, dein Gewissen. Du sagst, du hasst deinen Onkel? Mit welchem Recht? Niemand hat ein Recht zu hassen, weil niemand in die СКАЧАТЬ