Neue Schweizer Bildung (E-Book). Andreas Pfister
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Название: Neue Schweizer Bildung (E-Book)

Автор: Andreas Pfister

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783035520118

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СКАЧАТЬ Position. Wo kommt man mit dualer Bildung im Leben hin? Das kann man heute, noch keine dreissig Jahre nach der Einführung von Berufsmaturität und Fachhochschulen, nicht abschliessend beantworten. Wie viele werden mit einem Fachhochschulabschluss den Sprung ins Topkader schaffen? Man kann einwenden, diese Frage sei nicht relevant. Das mittlere Kader sei für FH-Absolvent*innen gut genug. Wenn man das mittlere Kader als eigentlichen Bestimmungszweck des dualen Wegs ansieht, wird man sich damit zufriedengeben. Dann sind Berufsmaturität und Fachhochschulen die moderne Form des dualen Wegs – nicht mehr und nicht weniger. Wenn dieser Weg jedoch ehrgeizigeren Ansprüchen genügend soll, wird man sich mit dem mittleren Kader nicht zufriedengeben. Hinzu kommt: Es geht nicht nur um die berufliche Position und den Lohn, es spielen sehr viel mehr Faktoren mit, vom Eigenwert der Bildung über den Traum vom Forscherdasein bis zum sozialen Status.

      Viele Akademiker*inneneltern wollen es genau wissen: Was ist der duale Weg wert? Wie weit kommt mein Kind damit? Kann man den Informationsveranstaltungen vertrauen? Vonseiten der Berufslehre heisst es häufig, man müsse mehr informieren. Was ist damit gemeint? Mehr Werbung betreiben? Die Haltungen mancher Eltern und Jugendlichen sind ambivalent. Manchmal nerven die Kampagnen. Andererseits ist es beeindruckend, wie der duale Weg seinen Erfolg erschafft, seinen eigenen Wert setzt. Wie er mutig die Zukunft gestaltet, Schmied seines Glücks.

      Die Frage nach der Zielabsicht begleitet Berufsmaturität und Fachhochschule seit ihrer Gründung: Die Idee der Berufsmaturität war es, einen Schultyp zu kreieren, der sich zwischen der Lehre und dem Gymnasium befindet.[27] Was bedeutet dieses «Dazwischen» konkret? Und was bedeutet es heute für die Situation auf dem Arbeitsmarkt? Entspricht dem mittleren Niveau zwischen Lehre und Gymnasium im Arbeitsleben das mittlere Kader? Das wäre ein anderes Ziel als dasjenige, das der duale Weg explizit für sich in Anspruch nimmt, nämlich die völlige Gleichwertigkeit. Ist der duale Weg über die Fachhochschule nur der zweitbeste Weg – oder ist er wirklich gleichwertig? Ist er sogar besser, nämlich der Königsweg? Man kann diese Fragerei als mühsam abtun. Doch es sind die Fragen, welche die Eltern und Jugendlichen umtreiben bei der Wahl des Bildungswegs.

      Einfache Antworten gibt es nicht. Was für die eine Branche gilt, muss für die andere nicht gelten. Die eine persönliche Erfahrung steht im Kontrast zur anderen. Gewisse Firmen legen Wert auf akademische Abschlüsse. Andere, lokale KMUs vielleicht, haben Vorbehalte gegenüber akademischen Titeln und ziehen Bewerber*innen mit höherer Berufsbildung vor. Zudem gibt es viele Jobs, für die beide Abschlüsse geeignet sind. Gewisse Firmen mischen die Teams bewusst, anderen ist das nicht so wichtig, sie achten auf andere Kriterien. Das Feld ist bunt und vielfältig. Entscheidend ist: Realitäten werden gemacht. Wenn Schweizer KMUs lieber Fachhochschulabgänger*innen einstellen, schaffen sie damit genau diese Realität, die sich dann als Statistik niederschlägt: Sie setzen das um, woran sie glauben – nämlich dass der duale Weg der Königsweg sei.

      Allerdings ist die Schweiz keine Insel. Welche Jobs man mit welcher Ausbildung bekommt, wird durch globale Player in diesem Land mitdefiniert. Auch sie gestalten die Realität. Wenn Personalchef*innen solcher Firmen lieber auf akademische Titel setzen, dann ist auch das eine Realität. Mit den internationalen Firmen kommt deren Macht. Lippenbekenntnisse zum Schweizer Bildungswesen müssen an den tatsächlichen Fakten überprüft werden.

      Zweifellos ist der duale Weg ein Erfolgsmodell. Was hier aber nicht beabsichtigt wird, ist ein rhetorisches Einebnen der Unterschiede. Das schulische Niveau muss in der Berufsmaturität ein anderes bleiben als am Gymnasium, schon allein, weil auf den beiden Stufen nicht gleich viel Zeit in die schulische Bildung investiert werden kann. Dafür wird auf dem dualen Weg anderes gelernt, das man in der Schulbank nicht lernen kann. Auch künftig wird die Frage nach dem Wert des dualen Wegs zentral sein. Was hat es mit all den Beteuerungen seitens der Fachhochschulen auf sich, keine Hochschulen zweiter Klasse zu sein?[28] Die Formel der Gleichwertigkeit, aber Andersartigkeit, die bei der Gründung der Fachhochschulen geprägt wurde, ist aus politischer Perspektive völlig richtig: Keine Arbeit ist mehr wert als eine andere, so wie auch kein Mensch mehr wert ist als ein anderer. Aus wirtschaftlicher Perspektive hingegen sieht es anders aus: Auf dem Arbeitsmarkt werden unterschiedliche Arbeiten und Qualifikationsniveaus sehr wohl unterschiedlich entlöhnt. Hier gelten andere Massstäbe. Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das Unterschiede und Hierarchien kennt. Diese Realitäten sind bei der Berufs- beziehungsweise Studienwahl ebenso wichtig wie die theoretische Gleichwertigkeit.

      Dank der Berufsmaturität wird das Bildungssystem durchlässiger.

      Die Berufsmaturität gilt als Paradepferd der neueren Schweizer Bildungslandschaft. Zuweilen erwartet man ungemein viel von ihr. Als eine Art eierlegende Wollmilchsau soll sie alles leisten, was an Forderungen an die Bildung herangetragen wird: vom Upskilling bis zur Integration. Man meint, sie ächzen zu hören unter diesem Erwartungsdruck. Dabei ist sie ein eher filigranes Konstrukt: Von Beginn weg musste sie die Doppelbelastung von Schule und Arbeit im Betrieb stemmen. Es gilt, von den Jugendlichen, die diesen Weg wählen, nicht Übermenschliches zu erwarten. Ist die Berufsmatura ein Murks? Ja und nein. Ja insofern, als sie eine Doppelbelastung darstellt. Man kann sich an die eigene Jugendzeit, die eigene Lehre erinnern, vermutlich hätten viele das nicht stemmen können. Nein insofern, als der duale Bildungsweg geschätzt wird. Viele Jugendliche nehmen lieber eine zusätzliche Belastung in Kauf, als länger die Schulbank zu drücken. Andere wissen schlicht nicht, was auf sie zukommt. Aber: Wenn der duale Weg eher akzeptiert wird als ein vollschulisches System, kann man die Beliebtheit dieses Bildungswegs nutzen.

      Für sozial schwächere Familien beziehungsweise deren Kinder ist die Berufsmaturität ein Weg und Mittel zum Aufstieg. Doch was ist sie für Akademiker*innenfamilien? Wie wird sie zur echten Alternative? Was braucht es, dass auch sie diesen Weg für ihre Jugendlichen in Betracht ziehen? Man kann den Akademiker*inneneltern Vorurteile, Bildungsdünkel und Unkenntnis des Schweizer Bildungssystems vorwerfen. Das ist aber keine so gute Strategie. Ein besseres Argument ist die Durchlässigkeit. Die Architekt*innen des dualen Bildungswegs haben das früh erkannt. «Kein Abschluss ohne Anschluss» lautet die Formel. Die Möglichkeit, vom dualen jederzeit auf den akademischen Weg wechseln zu können, kann für Akademikerfamilien ein entscheidendes Argument sein. Nach der Berufsmatura kann man über die Passerelle an die Universität wechseln. Auch nach der Fachhochschule ist das möglich. Zwar sind diese Wechsel mit Aufwand verbunden und das Vertrösten, Bildung könne mit dreissig oder vierzig Jahren immer noch nachgeholt beziehungsweise ausgebaut werden,[29] ist nicht unproblematisch. Doch allein die Möglichkeit ist von zentraler Bedeutung. So können Richtungsentscheidungen später im Leben revidiert werden – und zwar auf beide Seiten. Profan ausgedrückt: Wenn Akademiker*inneneltern fürchten, ihre Kinder an die Welt der dualen Bildung zu verlieren, besteht doch die Hoffnung, dass sie später, falls sie möchten, zurückkehren können zur akademischen Bildung. Man mag lächeln über ein solches Argument. Doch es ist wichtig. Hinzu kommt: Nicht alle Jugendlichen schaffen den Sprung ins Gymnasium. Die Berufsmaturität bietet auch jenen echte Bildungskultur, die den dualen Weg nicht freiwillig antreten.

      Die Berufsmaturität etabliert eine neue Bildungskultur.

      Akademiker*inneneltern fürchten bisweilen, der duale Bildungsweg unterstütze die Anstrengungen ihrer Erziehung nicht, sondern unterlaufe sie geradezu. Sie fürchten um die Bildungskultur innerhalb der Berufsmaturität. Erfährt dort nicht Geringschätzung, was ihnen wichtig ist? Nämlich Bildung um der Bildung willen? Was geschieht mit der Welt des Geistes, des Spiels, der Kritik – in einem streng auf Nützlichkeit hin ausgerichteten Bildungsverständnis? Ist durchökonomisierte Ausbildung nicht das Gegenteil von Bildung?

      Ein Beispiel dafür, wie man mit Bildungskultur nicht umspringen sollte, liefert die gegenwärtige unselige Diskussion über die zweite Landessprache in der Bildungsreform «Kaufleute 2022».[30] Diese sollte für angehende Kaufleute vom obligatorischen Grundlagen- zum Wahlpflichtfach herabgestuft werden. Zur Wehr gesetzt hat sich der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.[31] Auch gibt es politischen Widerstand. In seiner Antwort auf eine Interpellation hält der Bundesrat fest:[32] СКАЧАТЬ