Название: Internationales Strafrecht
Автор: Robert Esser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811448100
isbn:
140
Diese Grundsätze gelten auch für die Wiedergutmachung einer unangemessen langen Dauer einer Untersuchungshaft (Art. 5 Abs. 3 EMRK). Voraussetzung für den Wegfall der Opfereigenschaft ist auch hier, dass in dem das Verfahren abschließenden Urteil dargelegt wird, in welchem Umfang diese Feststellung eine messbare Minderung der verhängten Strafe des Bf. mit sich gebracht hat.[105]
141
Bei einem bereits abgeschlossenen Konventionsverstoß sollten bereits in der Beschwerdeschrift Ausführungen zum Fortbestehen der Verletzung bzw. zum Nichteintritt einer staatlichen Heilung/Wiedergutmachung des Verstoßes erfolgen.
c) Sonderfall: Tod des Beschwerdeführers
142
Beim Tod des Bf. ist das Fortbestehen seiner Opfereigenschaft sehr sorgfältig zu prüfen. Stirbt der unmittelbar Verletzte bevor oder nachdem eine andere Person die Beschwerde im Namen des tatsächlichen Opfers eingereicht hat, ist diese nicht automatisch mangels gegenwärtiger Beschwer unzulässig.[106]
143
Stirbt der Bf. während des Verfahrens, d.h. nach der Registrierung der Beschwerde, so können sein (gesetzlicher) Erbe oder ein (naher) Verwandter (close relative)[107] bzw. der Ehegatte das Verfahren fortsetzen, wenn diese Personen ein berechtigtes Interesse am Fortgang des Verfahrens haben.[108] Abgelehnt hingegen wurde die Fortführung des vor dem EGMR anhängigen Verfahrens durch einen mit dem verstorbenen Bf. nicht verwandten Vermächtnisnehmer (universal legatee).[109]
144
Der Wille zur Aufrechterhaltung der Beschwerde muss gegenüber dem Gerichtshof eindeutig erklärt werden. Ein Verfahrensbevollmächtigter sollte mit den Angehörigen seines verstorbenen Mandanten Kontakt aufnehmen, um deren Willen zur Fortsetzung des Verfahrens zu eruieren, und ggf. durch eine neue Vollmacht oder ein anderes diesen Willen zum Ausdruck bringendes Dokuments gegenüber der Kanzlei des Gerichtshofs dokumentieren.[110]
145
Ist eine Person bereits vor Einreichung der Beschwerde verstorben, kann unter den eben genannten Voraussetzungen eine Beschwerde durch eine Person, die ein berechtigtes Interesse an dem Verfahren hat, sogar noch eingeleitet werden (siehe schon Rn. 102, 142).[111] Bei Beschwerden, die erst nach dem Tod des Opfers eingereicht werden, soll es aber zudem darauf ankommen, ob es sich bei dem Beschwerdegegenstand um eine Sache von Allgemeininteresse handelt, z.B. weil eine bestimmte Gesetzeslage oder das Rechtssystem als Ganzes in Frage steht.[112]
146
Davon strikt zu unterscheiden ist die Konstellation, dass die nächsten Angehörigen von Personen, die unter Umständen verstorben sind, selbst als Bf. auftreten können, um etwa Fragen nach Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK aufwerfen zu können (vgl. Rn. 121).
147
Der Gerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde auch dann fortsetzen, wenn kein Erbe oder Angehöriger des verstorbenen Bf. ein Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens anzeigt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Beschwerde losgelöst vom speziellen Fall eine Angelegenheit betrifft, die für die Herausbildung allgemeiner Standards im internationalen Menschenrechtsschutz von besonderem Interesse ist.[113]
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › VI. Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe
VI. Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe
148
Um dem Vertragsstaat die Behebung einer Konventionsverletzung auf nationaler Ebene zu ermöglichen, kann sich der Gerichtshof mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung aller dem Bf. auf nationaler Ebene (tatsächlich und effektiv) zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe befassen (Art. 35 Abs. 1 EMRK); denn im Sinne der Subsidiarität internationaler Kontrollverfahren sollen zunächst die sachnäheren nationalen Stellen und Behörden Gelegenheit haben, der behaupteten Rechtsverletzung abzuhelfen.[114] Der Grundsatz der Subsidiarität wird künftig nach Inkrafttreten des 15. Protokolls zur EMRK (CETS 213) auch in der Präambel der Konvention namentliche Erwähnung finden. Auf diese Weise bleibt die Funktion des EGMR auf eine Kontrolle des nationalen Rechtsschutzes beschränkt (vgl. Art. 13 EMRK).
a) Vertikale Erschöpfung
149
Neben förmlichen Rechtsmitteln muss der Bf. sämtliche für ihn zugängliche Rechtsbehelfe einlegen, die hinreichend geeignet sind, dem behaupteten Konventionsverstoß abzuhelfen und die der Betroffene selbst initiieren kann (vertikale Erschöpfung). Dies gilt grundsätzlich auch, wenn eine Kontrollinstanz nur eine (auf Rechtsfragen) beschränkte Prüfungsbefugnis hat[115] oder wenn für ein bestimmtes Rechtsmittel erst die Annahme erforderlich ist (vgl. § 313 StPO) bzw. sogar beantragt werden muss und diese unsicher ist.[116]
150
Wendet sich der Bf. gegen ein staatliches Handeln oder einen staatlich herbeigeführten Zustand, so muss er auch solche Rechtsbehelfe einlegen, mit deren Hilfe zwar nicht die diesem Handeln oder Zustand zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände, zumindest aber deren rechtliche Voraussetzungen durch eine Vorinstanz beurteilt werden können.[117]
151
Zu den zu erschöpfenden Rechtsbehelfen im deutschen Strafverfahrensrecht gehören – je nachdem, ob sich die Beschwerde gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme, einen bestimmten Verfahrensgang oder den Abschluss des Verfahrens als solches richtet – die klassischen Rechtsmittel der Beschwerde, Berufung und Revision (§§ 304, 310, 311, 312, 333, 335 StPO), sonstige förmliche Rechtsbehelfe (Einspruch gegen Strafbefehl, § 410 StPO; Antrag auf gerichtliche Entscheidung, u.a. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO ggf. mit der Möglichkeit der Beschwerde; Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), die Gegenvorstellung[118] bzw. der Antrag auf Gewährung nachträglichen Gehörs (§§ 33a, 311a, 356a StPO)[119], spezielle Rechtsbehelfe, wie z.B. die Haftprüfung (§ 117 StPO) oder ein Befangenheits-/Ablehnungsantrag (§§ 24, 74 StPO), Beweisanträge sowie sonstige informelle Anträge und Anfragen,[120] z.B. (wiederholte) Anträge auf Akteneinsicht/Zugang zur Verfahrensakte[121], soweit diese effektive Abhilfe versprechen, wie auch alle Zwischenrechtsbehelfe (namentlich § 238 Abs. 2 StPO) [122] und sonstige (effektive) Widerspruchsmöglichkeiten.[123]
152
Setzt СКАЧАТЬ