Название: Internationales Strafrecht
Автор: Robert Esser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811448100
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Nachdem die Zahl der anhängigen Beschwerden in den vergangenen Jahren weiter verringert werden konnte, stieg diese im Jahr 2016 wieder um fast 25 % im Vergleich zum Vorjahr: Am 31.12.2016 lagen rund 79.750 (31.12.2013: 99.900; 31.12.2014: 69.900; 31.12.2015: 64.850) Beschwerden an.[45] Konkret für Deutschland waren Ende 2016 insgesamt 213 Beschwerden anhängig (2015: 212).[46] Die Verringerung führte der EGMR-Präsident Dean Spielmann 2014 auf zusätzliche Finanzmittel sowie auf die Einrichtung einer speziellen Sektion aus Einzelrichtern zurück, die offensichtlich unzulässige Beschwerden herausfiltern.[47] Diese Methoden sollen nun auch auf sich wiederholende Fälle angewandt werden, die immerhin knapp die Hälfte der derzeitig anhängigen Beschwerden darstellen (geschätzt 30.500 der insgesamt 64.850).[48]
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Im Jahr 2016[49] haben den Gerichtshof 53.500 Individualbeschwerden erreicht, was ein Plus von 32 % gegenüber dem Vorjahr (2015: 40.550; 2014: 56.200) darstellt.[50] Insgesamt konnten 38.505 (2015: 45.574; 2014: 86.068) Beschwerden erledigt werden.[51] Damit konnten weniger Fälle erledigt werden, als neue hinzukamen, so dass die Zahl der anhängigen Beschwerden erstmalig wieder anstieg. Dies erklärt sich jedoch damit, dass in den vergangenen Jahren vor allem eine große Anzahl an Unzulässigkeitsentscheidungen ergangen ist. Nachdem dieser Rückstand weitgehend abgebaut ist, liegt der Fokus nunmehr verstärkt auf komplexeren und demnach zeitaufwändigeren Verfahren.[52] Allerdings fasst der Gerichtshof in den letzten Jahren auch verstärkt Verfahren, die ähnliche rechtliche Probleme betreffen, zur Entscheidung zusammen. Somit können, auch wenn die Zahl der Entscheidungen nicht weiter ansteigt wie bisher, mehr Beschwerden erledigt werden.[53]
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Speziell für Deutschland ergeben sich für das Jahr 2016 folgende Verfahrenszahlen: Insgesamt wurden 677 Beschwerden durch den EGMR erledigt (2015: 913). Davon wurden 658 (2015: 901) Beschwerden bereits im Vorfeld als unzulässig erklärt oder aus der Liste der anhängigen Verfahren gestrichen, nur in 19 Fällen (2015: 12) entschied der EGMR durch Urteil, wobei er nur in vier Fällen tatsächlich eine Verletzung der EMRK feststellte (Art. 3, 6 und 8 EMRK). 676 (2015: 789) Verfahren wurden darüber hinaus an Spruchkörper zur weiteren Überprüfung weitergeleitet.
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Insgesamt ergingen gegen die Bundesrepublik seit 1959 305 Urteile, wobei in 186 Fällen eine Gesetzesverletzung festgestellt wurde. Die Mehrzahl der Verletzungen (insgesamt 127 Fälle) betraf dabei Art. 6 EMRK (davon 102 Fälle in Bezug auf eine zu lange Verfahrensdauer), gefolgt von Verstößen gegen Art. 5 EMRK (29) und Art. 13 EMRK (24).
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Obwohl angestrebt wird, dass die Beschwerden innerhalb von drei Jahren erledigt werden, beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer derzeit immer noch zwischen vier und fünf Jahren.
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › A. Einführung › VII. Reformen des Kontrollsystems
VII. Reformen des Kontrollsystems
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Die große Zahl der beim EGMR eingehenden Beschwerden hat eine weitere strukturelle Reform des Kontrollsystems erforderlich gemacht.[54] Das am 13.5.2004 zur Zeichnung aufgelegte und am 1.6.2010 in Kraft getretene 14. Protokoll zur EMRK über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention (CETS 194) führte zu signifikanten Änderungen des Individualbeschwerdeverfahrens (Art. 34 EMRK).[55]
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Das Protokoll hat den Einzelrichter als neuen Spruchkörper eingeführt, der durch Mitarbeiter der Kanzlei unterstützt wird, die als nichtrichterliche Berichterstatter (Rapporteurs) fungieren. Der Einzelrichter kann eine Beschwerde (endgültig) für unzulässig erklären oder im Register streichen, „wenn eine solche Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann“ (Art. 27 Abs. 1 EMRK).
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Die durch das 11. P-EMRK geschaffenen, in Art. 26 Abs. 1 EMRK verankerten und seit 1998 für die Filterung eingehender Beschwerden zuständigen, aus drei Richtern bestehenden Ausschüsse (Committee) – sie erledigten schon vor Inkrafttreten des 14. Protokolls 90 % aller eingehenden Beschwerden – dürfen nun zeitgleich mit der Entscheidung über die Zulässigkeit auch (endgültig) über die Begründetheit einer Beschwerde befinden, dies allerdings nur auf der Grundlage einer „gefestigten Rechtsprechung“ des Gerichtshofs (well-established case-law; Art. 28 EMRK).
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Auf der Zulässigkeitsebene wurde neben der seit jeher möglichen Feststellung einer Beschwerde als offensichtlich unbegründet (Art. 35 Abs. 3 lit. a Var. 1 EMRK) eine weitere Möglichkeit der materiellen Filterung eingeführt. Eine Beschwerde kann jetzt auch dann als unzulässig eingestuft werden (Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK), wenn (kumulativ) der Bf. keinen erheblichen Nachteil erlitten hat (significant disadvantage), der Fall bereits von einem nationalen Gericht gebührend geprüft wurde (duly considered, vgl. zur neuerlichen Änderung hierzu Rn. 252) und keine menschenrechtlichen Besonderheiten aufweist (unless respect for human rights […] requires an examination).
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Zur sog. pilot judgment procedure, die nicht Aufnahme in das 14. Protokoll gefunden hat, aber vom Gerichtshof bereits praktiziert wird, grundlegend: EGMR (GK) Broniowski v. Polen, Urt. v. 22.6.2004, Nr. 31443/96, §§ 189 ff.; siehe auch Rn. 478.
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Auch durch das 15. Protokoll zur EMRK vom 24.6.2013 (CETS 213) werden zahlreiche Reformen des Kontrollsystems bewirkt. So wird nach dessen Inkrafttreten eine Beschwerde künftig auch dann vom Gerichtshof als unzulässig eingestuft werden können, wenn der Fall noch keiner gebührenden Prüfung (duly considered) durch ein nationales Gericht unterzogen worden ist (Art. 5 des 15. P-EMRK). Auch wird die Verweisung einer Rechtssache an die Große Kammer des Gerichtshofs nach Art. 30 EMRK künftig ungeachtet des Widerspruchs einer Partei möglich sein (Art. 3 des 15. P-EMRK). Besonders hervorzuheben ist außerdem die Verkürzung der Beschwerdefrist für das Individualbeschwerdeverfahren (Art. 35 Abs. 1 EMRK) von derzeit sechs auf nur mehr vier Monate (Art. 4 des 15. P-EMRK). Es ist zu erwarten, dass auch diese durch das 15. Protokoll zur EMRK bewirkten Veränderungen zu einer Reduzierung der Arbeitsbelastung des Gerichtshofs beitragen werden.
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Die durch das 16. Protokoll zur EMRK vom 2.10.2013 (CETS 214) neu geschaffene Möglichkeit, konkrete Auslegungsfragen von nationalen Gerichten dem EGMR zur Vorabentscheidung vorzulegen, dürfte СКАЧАТЬ