Die neue Medizin der Emotionen. David Servan-Schreiber
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Название: Die neue Medizin der Emotionen

Автор: David Servan-Schreiber

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783956140846

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СКАЧАТЬ einer Studie, die mehrere tausend leitende Angestellte einbezog, bezeichneten über 70 Prozent sich als »ein Gutteil der Zeit« – das heißt praktisch die ganze Zeit – »erschöpft«. Und 50 Prozent schätzten sich als eindeutig »ausgelaugt« ein!15 Wie können kompetente, engagierte Männern und Frauen, für die ihre Arbeit ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität ist, es so weit kommen lassen? Die Anhäufung chaotischer Phasen – die sie selber kaum bemerken –, die tagtäglichen Beeinträchtigungen ihrer emotionalen Ausgeglichenheit entziehen ihnen auf die Dauer Energie. Zu dem Zeitpunkt fangen wir dann an, von einer andere Stelle oder, im persönlichen Bereich, von einer anderen Familie, einem anderen Leben zu träumen.

      Auf der anderen Seite durchleben wir aber auch Augenblicke der Kohärenz. Dies fällt uns ebenfalls nicht immer auf – es sind nicht unbedingt Entzückungsausbrüche oder ekstatische Momente. Josh, Sohn eines Ingenieurs, besucht oft seinen Vater und dessen Team in einem Labor in Kalifornien, das sich mit der Erforschung der Kohärenz beschäftigt. Stets begleitet ihn seine Labradorhündin Mabel. Eines Tages kamen die Ingenieure auf die Idee, die Herzkohärenz bei Josh und Mabel zu messen. Waren sie voneinander getrennt, war der Herzrhythmus bei beiden halb chaotisch, halb kohärent, völlig normal also. Sobald man sie jedoch zusammenließ, ging dieser Zustand in Kohärenz über. Trennte man sie wieder, verschwand diese beinahe augenblicklich. Bei Josh und Mabel führte die schlichte Tatsache des Zusammenseins zu Kohärenz. Das spürten sie offenbar instinktiv, denn sie waren unzertrennlich. Für sie war das Zusammensein gewiss keine außergewöhnliche Erfahrung, sondern etwas, das sie gefühlsmäßig schlicht brauchten. Etwas, das ihnen in jedem Moment gut tat. Josh fragte sich nie, ob er nicht lieber einen anderen Hund hätte, und Mabel wollte bestimmt kein anderes Herrchen. Ihre Beziehung bescherte ihnen innere Ausgeglichenheit und Kohärenz, war im Einklang mit ihrem Herzen.

      Der Zustand der Kohärenz beeinflusst auch die anderen physiologischen Rhythmen; vor allem die natürlichen Schwankungen des Blutdrucks und der Atmung gleichen sich rasch der Herzkohärenz an, und alle drei Systeme stimmen sich aufeinander ab.

      Es handelt sich hier um ein der »Phasenanpassung« von Lichtwellen in einem Laserstrahl vergleichbares, in diesem Fall tatsächlich als »Kohärenz« bezeichnetes Phänomen. Und eben diese Angleichung verleiht dem Laser seine Energie und Kraft. Dieselbe Energie in Form von Licht, das eine 100-Watt-Glühbirne ineffizient in alle Richtungen streut, reicht aus, um ein Loch in eine Metallplatte zu bohren, wenn sie durch Phasenangleichung kanalisiert wird. Entsprechend bedeutet Kohärenz für den Körper reine Energieeinsparung. Das war zweifelsohne der Grund, weshalb sich ein halbes Jahr nach einem Tag Kohärenztraining 80Prozent der bereits erwähnten Führungskräfte nicht mehr als »ausgelaugt« bezeichneten. Und sechsmal weniger als vorher beklagten sich noch über Schlaflosigkeit, achtmal weniger fühlten sich noch »angespannt«. Es scheint in der Tat zu genügen, nutzlosen Energieverlust zu vermeiden, um eine natürliche Vitalität wiederzuerlangen.

      Charles ermöglichten einige Stunden Kohärenztraining vor dem Computer, sein Herzklopfen unter Kontrolle zu bringen. Daran ist nichts Magisches oder Geheimnisvolles. Indem er zwischen diesen Sitzungen jeden Tag ein wenig übte, sicherte er seine Fortschritte ab und verstärkte von neuem die Aktivität seines parasympathischen Systems, das heißt, seiner physiologischen Bremse. Ist man erst einmal, wie ein durchtrainierter Jogger, »in Form«, wird es immer leichter, sich ihrer zu bedienen. Und mit einer funktionierenden Bremse, die man jederzeit betätigen kann, kommt die Physiologie nicht einmal mehr dann ins Schleudern, wenn die äußeren Umstände sich schwierig gestalten. Zwei Monate nach der ersten Sitzung trieb Charles wieder Sport und schlief so leidenschaftlich mit seiner Frau, wie ihre Beziehung dies verdiente. Und er hatte gelernt, sich, wenn er seinem Chef gegenüberstand, auf die Gefühle in seiner Brust zu konzentrieren, um seine Kohärenz zu wahren und nicht zuzulassen, dass seine physiologischen Reaktionen außer Rand und Band gerieten. Er war nun sogar in der Lage, mit mehr Taktgefühl zu antworten und leichter die richtigen Worte zu finden, um die Aggressivität anderer wirkungslos verpuffen zu lassen, ohne sie zu verletzen.

      DER UMGANG MIT STRESS

      Bei Laborexperimenten ermöglicht die Kohärenz es dem Gehirn, schneller und präziser zu arbeiten.16 Im alltäglichen Leben empfinden wir dies als Zustand, in dem wir ganz natürlich und ohne jegliche Anstrengung auf Ideen kommen: Ohne lange nachzudenken, fallen uns die richtigen Worte ein, um das, was wir sagen wollen, zum Ausdruck zu bringen, und wir handeln zügig, effizient. In dieser Verfassung sind wir auch eher bereit, uns auf alles mögliche Unvorhergesehene einzustellen, da unser Körper sich in einem optimalen Gleichgewicht befindet, wir allem gegenüber offen und in der Lage sind, Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu entwickeln. Kohärenz ist also kein Zustand der Entspannung im herkömmlichen Sinne des Wortes. Sie erfordert keine Absonderung von der Welt und auch keineswegs, dass um uns herum alles reglos, ja, nicht einmal, dass es ruhig ist. Im Gegenteil, sie entspricht einer Eroberung der Außenwelt, einem nahezu körperlichen Kontakt mit ihr, doch einem harmonischen, keinem konfliktgeladenen.

      So stellten Forscher in Seattle im Rahmen einer Studie mit fünfjährigen Scheidungswaisen fest, wie wichtig ihr physiologisches Gleichgewicht für ihre künftige Entwicklung war. Auf Kinder, deren Pulsvariabilität vor der Scheidung am höchsten war – und die daher am besten in der Lage waren, in einen Zustand der Kohärenz zu gelangen –, hatte die Auflösung ihrer Familie eine weit geringere Auswirkung gehabt, wie man drei Jahre danach feststellte.17 Zudem hatten sie sich eine größere Fähigkeit bewahrt, Zuneigung zu entwickeln, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich in der Schule zu konzentrieren.

      Céleste hat mir sehr anschaulich beschrieben, wie sie den Herzrhythmus gezielt einsetzt. Als ihr im Alter von neun Jahren ein Wechsel in eine andere Schule bevorstand, geriet sie regelrecht in Panik. Etliche Wochen vor Schulanfang begann sie Nägel zu beißen, weigerte sich, mit ihrer kleinen Schwester zu spielen und stand nachts mehrmals auf. Auf Befragen erklärte sie ohne zu zögern, am meisten Lust zum Nägelkauen habe sie, wenn sie an die neue Schule denke. Doch dann lernte sie sehr schnell – wie dies bei Kindern oft der Fall ist –, durch Konzentration ihren Puls zu kontrollieren. Einige Tage später erzählte sie mir, der erste Schultag sei sehr gut verlaufen: »Wenn ich mich aufrege, gehe ich in mein Herz und rede mit der kleinen Fee darin. Sie sagt mir, dass alles gut gehen wird, und manchmal sagt sie mir sogar, was ich sagen oder machen soll.« Als ich das hörte, musste ich lächeln. Hätten wir nicht alle gern eine kleine Fee, die immer bei uns ist?

      Der Begriff der Herzkohärenz und die Tatsache, dass man ohne weiteres lernen kann, sie zu kontrollieren, laufen allen überkommenen Vorstellungen hinsichtlich der Art und Weise zuwider, wie man am besten mit Stress umgeht. Chronischer Stress führt zu Angstgefühlen und Depression. Er hat, wie man weiß, auch negative Auswirkungen auf den Körper: Schlaflosigkeit, faltige Haut, Bluthochdruck, Herzklopfen, Rückenschmerzen, Hautprobleme, Verdauungsschwierigkeiten, Anfälligkeit für Infektionen, Unfruchtbarkeit, Impotenz. Schließlich beeinträchtigt er auch die sozialen Beziehungen und die beruflichen Leistungen: Reizbarkeit, Verlust der Fähigkeit, anderen zuzuhören, Nachlassen der Konzentration, Rückzug auf sich selber und Fehlen von Teamgeist – all diese Symptome sind charakteristisch für eine Überforderung, die ebenso aus Arbeit wie aus dem Gefühl resultieren kann, in einer festgefahrenen Beziehung zu stecken. Beides kostet uns viel Energie. In einer solchen Situation ist die gängigste Reaktion, sich auf die äußeren Gegebenheiten zu konzentrieren. Man sagt sich: »Wenn ich nur meine Situation ändern könnte, hätte ich einen viel klareren Kopf, und es ginge mir auch körperlich besser.« Gleichzeitig beißen wir die Zähne zusammen, warten auf das nächste Wochenende oder die Ferien und träumen von der besseren Zeit »danach«. Alles werde in Ordnung kommen, »wenn ich erst einmal die Schule abgeschlossen … wenn ich eine andere Stelle habe … wenn die Kinder aus dem Haus sind … wenn ich meinen Mann verlasse … wenn ich erst einmal in Pension bin« und so weiter. Leider läuft es nur selten so. Wahrscheinlich tauchen in anderen Situationen genau die gleichen Probleme wieder auf, und die Wunschvorstellung von einem Paradies, das gleich um die Ecke oder an der nächsten Kreuzung liegt, wird sehr schnell wieder zur Hauptmethode, mit Stress umzugehen. СКАЧАТЬ