Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt. Jesmyn Ward
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Название: Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt

Автор: Jesmyn Ward

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783956142284

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СКАЧАТЬ Tisch, direkt auf den Spiegel mit dem Koks darauf. Ich konnte mich nicht mehr runterbeugen, ohne mit dem Gesicht in seinem Schoß zu landen, also saßen wir nur da und starrten uns an, und ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, damit meine Freunde nicht dachten, ich hätte den Verstand verloren. Sie grölten die Countrysongs mit, knutschten unbekümmert wie Teenager in dunklen Ecken oder liefen mit untergehakten Armen in Zickzackreihen nach draußen in die Dunkelheit. Given guckte mich an wie damals, als wir klein waren und ich die neue Angelrute zerbrochen hatte, die er gerade erst von Pop bekommen hatte: mordlüstern. Als ich runterkam, rannte ich fast zu meinem Auto. Ich zitterte so stark, dass ich kaum den Schlüssel ins Zündschloss bekam. Given stieg neben mir ein, auf den Beifahrersitz, wandte den Kopf und starrte mich mit steinerner Miene an. Ich höre auf, sagte ich. Ich schwöre, ich werde es nie wieder tun. Er fuhr mit mir bis nach Hause, und ich ließ ihn im Auto sitzen, während die Sonne aufging und den Rand des Horizonts in weiches Licht tauchte. Ich schlich in Mamas Schlafzimmer und betrachtete sie im Schlaf. Staubte ihren Altar ab: ihren Rosenkranz, der über der Marienfigur in der Ecke hing, machte mich an den blaugrauen Kerzen, den Flusskieseln, den drei getrockneten Rohrkolben und der einzelnen Yamswurzel zu schaffen. Als ich Givennicht-Given zum ersten Mal sah, erzählte ich meiner Mama nichts davon.

      Durch einen Telefonanruf bei Michaels Eltern würde ich alles erfahren, was ich wissen musste. Ich könnte einfach zum Hörer greifen, die Nummer wählen und beten, dass Michaels Mutter ranging. Es wäre unser fünftes Gespräch, und ich würde sagen: Hallo, Mrs Ladner, ich weiß nicht, ob Sie Bescheid wissen, aber Michael kommt morgen raus, und ich und die Kinder und Misty fahren ihn abholen, Sie brauchen also nicht hin, okay, Ma’am, auf Wiederhören. Aber ich will nicht, dass Big Joseph rangeht und einfach auflegt, nachdem ich nur in die Sprechmuschel geatmet habe, ohne ein Wort zu sagen, während er auch kein Wort sagt. Immerhin könnte ich dann sicher sein, dass er Mrs Landner rangehen lassen würde, wenn ich es noch mal versuchte, damit sie sich mit dem Anrufer rumschlagen müsste, wer es auch sein mochte: Witzbold, Geldeintreiber, verwählt, die Schwarze Kindsmutter von seinem Sohn. Aber ich will mit alldem nichts zu tun haben: will weder in abgehackten Sätzen mit Michaels Mutter reden noch Big Josephs bleiernes Schweigen ertragen. Deshalb fahre ich landeinwärts zum Kill, den Kofferraum mit großen Wasserkanistern und Baby-Feuchttüchern und Schlafsäcken und Taschen mit Klamotten vollgepackt, um eine Nachricht in den Briefkasten am Ende ihrer Auffahrt zu stecken, eine atemlose Nachricht. Dasselbe, was ich hastig gesagt hätte. Ohne Punkt und Komma. Unterschrieben mit: Leonie.

      Michael hatte noch nie ein Wort mit mir gesprochen. Eines Tages in der Schule, ein Jahr nach Givens Tod, setzte sich Michael in der Mittagspause neben mich auf den Rasen, berührte meinen Arm und sagte: Tut mir leid, dass mein Cousin so ein blöder Idiot ist. Ich dachte, das war’s. Dass Michael nach dieser Entschuldigung weggehen und nie wieder mit mir sprechen würde. Aber so war es nicht. Er fragte mich ein paar Wochen später, ob ich mit ihm Angeln gehen wollte. Ich sagte Ja und spazierte einfach durch die Haustür hinaus. Es war nicht mehr nötig, mich wegzuschleichen, meine Eltern waren völlig in ihrer Trauer versunken. Auf die Spinne fixiert: blind für das Netz. Als Michael und ich uns zum ersten Mal trafen, gingen wir mit unseren Angeln auf den Pier hinaus, weg vom Strand; ich hatte Givens Angel dabei und trug sie vor mir her wie eine Opfergabe. Wir redeten über unsere Familien, über seinen Vater. Er sagte: Er’s alt – ’n alter Dickschädel. Mehr brauchte er nicht zu sagen, ich wusste auch so, was er meinte. Er wäre stocksauer, wenn er wüsste, dass ich mit dir hier bin und dass ich dich küssen werde, bevor der Abend rum ist. Oder, kürzer gesagt: Nigger bleiben für ihn Nigger. Und ich schluckte die bittere Galle, dass sein Vater so war, und ließ sie durch mich hindurchgleiten, denn der Vater ist nicht der Sohn, dachte ich. Denn wenn ich Michael in der scheckigen Dunkelheit unter dem Laubendach am Ende des Piers anschaute, konnte ich den Schatten von Big Joseph in ihm erkennen; ich betrachtete seinen langen Hals und seine langen Arme, seinen schlanken, muskulösen Körper, den schmalen Brustkorb, und ich konnte sehen, wie die Jahre ihn aufweichen und seinem Vater angleichen würden. Wie Fett ihn umlagern würde, wie er sich in seinem stattlichen Knochengerüst einrichten würde, ähnlich wie ein Haus sich in die Erde schmiegt. Ich musste mir immer wieder sagen: Sie sind nicht gleich. Michael beugte sich über unsere Angeln, und seine Augen veränderten ihre Farbe wie die Wolkenberge am Himmel vor einem Unwetter: tiefdunkles Blau, Wassergrau, Spätsommergrün. Er war gerade so groß, dass sein Kinn, wenn er mich umarmte, auf meinem Kopf lag und ich unter ihm geborgen war. Als gehörte ich dorthin. Und ich wollte Michaels Mund auf mir spüren, denn von dem Moment an, als ich im Schatten des Schulschildes gesessen hatte und ihn über den Rasen auf mich zukommen sah, hatte er mich gesehen. Hatte durch Haut in der Farbe von Kaffee ohne Milch, durch schwarze Augen und durch pflaumenbraune Lippen hindurchgeschaut und mich gesehen. Sah die wandelnde Wunde, die ich war, und kam, um Balsam für mich zu sein.

      Big Joseph und Michaels Mutter wohnen auf einem Hügel, in einem niedrigen Landhaus mit weißen Wänden und grünen Rollläden. Es wirkt groß. In der Auffahrt stehen zwei Lieferwagen, strahlen neue, glänzende Pick-ups, die die Sonne reflektieren und Lichtblitze in alle Richtungen schicken. Ein roter Lieferwagen und ein weißer. Drei Pferde grasen auf den parzellierten Wiesen, die ans Haus angrenzen, und eine Schar Hühner rennt über den Hof, duckt sich unter die Pick-ups und verschwindet hinter dem Haus. Ich fahre rechts ran und halte kurz vor ihrem Briefkasten; der grasbewachsene Seitenstreifen am Straßenrand ist hier nicht so breit und grenzt an einen mindestens hüfttiefen Graben, sodass ich aussteigen und zu Fuß zum Briefkasten gehen muss, statt einfach dicht ranzufahren und meinen Zettel vom Wagen aus einzuwerfen. Es ist ein paar Tage her, seit es zuletzt geregnet hat. Als ich zum Kasten gehe, knirscht das trockene Gras unter meinen Füßen. Es sind keine anderen Autos auf dieser Straße unterwegs. Sie wohnen weit oben im Kill, wo bloß noch wenige Häuser und Wohnwagen auf den weiten Feldern stehen, am Ende einer Sackgasse.

      Gerade als ich die Briefkastenklappe öffne, höre ich ein Summen, das zu einem Brummen anschwillt, aus dem ein Dröhnen wird, und dann kommt ein Mann auf einem riesigen Aufsitzrasenmäher mit Verdeck ums Haus gefahren, eins von diesen superteuren Modellen, die so groß wie ein Traktor sind. So einer kostet so viel wie mein Auto. Ich lege den Zettel in den Briefkasten. Der Mann fährt auf das nördliche Ende der Grasfläche zu, biegt nach links ab und fährt langsam in Richtung Straße. Er will anscheinend den Rasen von oben nach unten mähen, in langen, geraden Streifen.

      Ich fasse den Türgriff an, ziehe die Autotür auf, und sie quietscht, als Metall gegen Metall schabt. »Mist.«

      Er schaut hoch. Ich steige ins Auto.

      Der Rasenmäher wird schneller. Ich drehe den Schlüssel um. Der Motor stottert und geht aus. Ich drehe den Schlüssel zurück, starre auf das Armaturenbrett, als könne ich den Motor zum Anspringen bringen, wenn ich nur lange genug hinschaue. Vielleicht hilft Beten.

      »Mist, Mist, Mist.«

      Ich drehe den Schlüssel erneut um. Der Motor heult auf und springt an. Der Mann, der, wie ich jetzt erkenne, Big Joseph ist, hat seinen Plan, zuerst den oberen Teil des Gartens zu mähen, aufgegeben und fährt jetzt diagonal über die Grasfläche, um schneller bei mir und dem Briefkasten zu sein. Und dann zeigt er mit dem Finger, und ich sehe das Schild, das knapp einen Meter vom Briefkasten an einen Baum genagelt ist. Betreten verboten.

      Er beschleunigt.

      »Verdammt noch mal!«

      Ich schalte auf Drive, schaue nach hinten, ob die Straße frei ist, und sehe ein Auto kommen, einen grauen SUV. Angst steigt in mir auf, bis zu den Schultern, dann den Nacken hoch, brodelnd und erstickend. Ich weiß gar nicht, wovor ich mich fürchte. Was kann er schon machen, außer mich zu beschimpfen? Was kann er tun? Ich bin nicht in seiner Auffahrt. Gehört der Straßenrand nicht dem County? Aber bei dem Tempo, mit dem er mich mit dem Rasenmäher ansteuert, der Art und Weise, wie Big Joseph auf den Baum zeigt, wie dieser Baum, eine Sumpfeiche, aufragt und seine Äste, die fast schwarzen Äste mit den Millionen von dunkelgrünen Blättern bis über die Straße ausbreitet, der Entschlossenheit, mit der dieser Mann auf mich zugerast kommt, muss ich СКАЧАТЬ