Die [ehemalige] Richtlinie 2004/18/EG ist dahingehend auszulegen, dass eine überwiegende Finanzierung durch den Staat vorliegt, wenn die Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge finanziert werden, die nach öffentlich-rechtlichen Regeln auferlegt, berechnet und erhoben werden. Derartige Krankenkassen sind für die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie als Einrichtungen des öffentlichen Rechts und damit als öffentliche Auftraggeber anzusehen (Rs. Oymanns).[148]
81
Bei der Frage, ob Ärztekammern als öffentliche Auftraggeber des Vergaberechts anzusehen sind, wurde neben der Finanzierung auch auf die Aufsicht durch öffentliche Stellen abgestellt.
Die [ehemalige] Richtlinie 2004/18/EG ist dahingehend auszulegen, dass eine Einrichtung wie eine berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts weder das Kriterium der überwiegenden Finanzierung durch die öffentlichen Stellen erfüllt, wenn sich diese Einrichtung überwiegend durch Beiträge ihrer Mitglieder finanziert, zu deren Festsetzung und Erhebung sie durch ein Gesetz ermächtigt wird, das nicht den Umfang und die Modalitäten der Tätigkeiten regelt, die sie im Rahmen der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben, die mit diesen Beiträgen finanziert werden sollen, ausübt, noch das Kriterium der Aufsicht öffentlicher Stellen über ihre Leitung allein deshalb erfüllt, weil die Entscheidung, mit der sie die Höhe der Beiträge festsetzt, der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde bedarf (Rs. IVD).[149]
82
Auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens haben sich vergaberechtliche Fragestellungen ergeben, so insbesondere im Zusammenhang mit Aufträgen über Notfall- und Krankentransportleistungen.[150]
Die Richtlinie 2014/24/EU ist dahingehend auszulegen, dass die darin vorgesehene Ausnahme vom Geltungsbereich der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe sowohl für die Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter, die unter den CPV-Code 75252000-7 (Rettungsdienste) fällt, als auch für den qualifizierten Krankentransport gilt, der neben der Transportleistung die Betreuung und Versorgung in einem Krankentransportwagen durch einen Rettungssanitäter, unterstützt durch einen Rettungshelfer, beinhaltet und unter den CPV-Code 85143000-3 (Einsatz von Krankenwagen) fällt, sofern er tatsächlich von ordnungsgemäß in erster Hilfe geschultem Personal durchgeführt wird und einen Patienten betrifft, bei dem das Risiko besteht, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert (Rs. Falck Rettungsdienste GmbH, Falck AS).[151]
6. Sozialpolitik
83
Die Union verfolgt gemäß Art. 151 AEUV unter anderem die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die Sicherstellung eines angemessenen sozialen Schutzes. Zu diesem Zweck führen die Union und die Mitgliedstaaten Maßnahmen durch, die der Vielzahl der einzelstaatlichen Gepflogenheiten Rechnung tragen. Diese Bestimmungen sind im Abschnitt Sozialpolitik geregelt, betreffen jedoch das Sozial- und Arbeitsrecht gleichermaßen.
84
Zur Verwirklichung der in Art. 151 AEUV genannten Ziele unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf zahlreichen Gebieten, etwa in den Bereichen der Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer, der Arbeitsbedingungen und der sozialen Sicherheit und dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer (Art. 153 Abs. 1 AEUV). Hierzu können das europäische Parlament und der Rat durch Richtlinien entsprechende Mindestvorschriften erlassen (Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV). In diesem Zusammenhang wurde im Hinblick auf die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer mit der Richtlinie 89/391/EWG[152] über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz eine Rahmenrichtlinie erlassen. Sie enthält die allgemeinen Grundsätze, die in einer Reihe von Einzelrichtlinien näher ausgeführt wurden, etwa im Rahmen der praktisch bedeutsamen Richtlinie 93/104/EG[153] über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, welche zwischenzeitlich durch die Richtlinie 2003/88/EG[154] abgelöst wurde.
85
In diesem Zusammenhang ergingen einige Entscheidungen insbesondere zur Frage der Einordnung des Bereitschaftsdienstes.[155]
Der Bereitschaftsdienst, den Ärzte oder Pflegepersonal im Krankenhaus leisten, stellt in vollem Umfang Arbeitszeit dar, auch wenn es den Betroffenen in Zeiten, in denen sie nicht in Anspruch genommen werden, gestattet ist, sich an ihrer Arbeitsstelle auszuruhen. Entscheidend für die Einstufung als Arbeitszeit ist, dass die Arbeitnehmer sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen müssen, um gegebenenfalls sofort ihre Leistungen erbringen zu können (Rs. Jaeger).[156]
Dies gilt auch für Rettungsassistenten, bei denen es im Rahmen des Rettungsdienstes zwischen den Notfalleinsätzen zwangsläufig zu Phasen der Untätigkeit kommt. Eine Überschreitung der in der Richtlinie vorgesehenen wöchentlichen Höchstarbeitszeit ist nur bei ausdrücklicher und freier Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers rechtswirksam. Es genügt nicht, dass der jeweilige Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag verweist, der eine solche Überschreitung erlaubt (Rs. Pfeiffer u.a.).[157]
7. Allgemeine Gleichbehandlung
86
Gemäß Art. 19 AEUV kann der Rat unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.
87
Zur Verwirklichung der in Art. 19 AEUV genannten Ziele wurden mehrere Rechtsakte erlassen, hierbei unter anderem die Richtlinie 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft,[158] die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.[159]
88
In Bezug auf die Richtlinie 2000/78/EG sind mehrere Entscheidungen ergangen, u.a. zur Altersgrenze für Vertragsärzte.
Die Richtlinie 2000/78/EG steht einer nationalen Maßnahme, mit der für die Berufsausübung eines Vertragsarztes eine Höchstaltersgrenze, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, entgegen, wenn diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Vertragsärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altersgrenze nicht für Ärzte außerhalb des Vertragsarztsystems gilt (Rs. Petersen).[160]
89
Mehrere Entscheidungen beschäftigen sich auch mit dem kirchlichen Arbeitsrecht, zuletzt in Sozial- und Gesundheitseinrichtungen.[161] Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines katholischen Chefarztes wegen dessen Wiederheirat kann eine unzulässige Diskriminierung darstellen.[162]
8. Gesundheitswesen
90
Der Gesundheitsbereich hat sich in den Verträgen nur СКАЧАТЬ