Название: AGB-Recht
Автор: Martin Schwab
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Recht in der Praxis
isbn: 9783811455337
isbn:
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Allerdings hat die hier vertretene Auffassung, wonach das „Aushandeln“ von Vertragsbedingungen sich zwischen Unternehmern an den gleichen Maßstäben ausrichtet wie im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern, die Konsequenz, dass den beteiligten Parteien Spielräume für taktische Verhandlungsführung eröffnet werden: Erkennt der andere Vertragsteil die AGB des Verwenders als unwirksam, wird er auf ein „Aushandeln“ keinen Wert legen, sondern den Vertrag in dem Bewusstsein abschließen, sich später jederzeit auf die Unwirksamkeit berufen zu können[42]. Der andere Vertragsteil mag sogar versuchen, die Verhandlungen so geschickt an den als unwirksam erkannten Klauseln vorbei zu führen, dass er den Verwender aktiv von dem möglichen Gedanken ablenkt, jene Klausel zur Disposition zu stellen; insoweit ist von einer „AGB-Falle“ die Rede[43]. Indes gibt dies alles keinen Anlass, die Voraussetzungen für das „Aushandeln“ von Vertragsbedingungen im unternehmerischen Geschäftsverkehr abzusenken. Der Verwender kann der „Falle“ jederzeit entgehen, indem er sich bei der Formulierung seiner Geschäftsbedingungen um ein ausgewogenes Gefüge von Rechten und Pflichten bemüht. Und auch die Art und Weise des Verhandlungsverlaufs lässt sich beeinflussen: Die Historie der Veränderung einer Klausel lässt sich dokumentieren, indem Vertragsentwürfe mit einem Textverarbeitungsprogramm abgefasst werden, das den Modus „Änderungen nachverfolgen“ kennt, und dann mit der jeweiligen Version (Datum und Uhrzeit) abgespeichert werden[44]. Und das Begleitschreiben, das der Verwender dem ersten Vertragsentwurf beilegt, lässt sich so formulieren, dass für den anderen Vertragsteil – glaubhaft! – die Bereitschaft erkennen lässt, sich auf Änderungswünsche des anderen Vertragsteils einzulassen[45].
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Besonderheiten sind zu beachten, wenn der Inhalt des geschlossenen Vertrags weitreichenden und in erheblichem Umfang zwingenden gesetzlichen Determinanten unterliegt. So liegt es namentlich in Berufsfeldern, in denen bestimmte Gebührensätze gesetzlich vorgegeben sind. Nach § 5 II 4 GOZ sind zahnärztliche Gebühren, welche den 2,3-fachen Gebührensatz überschreiten, nur zulässig, wenn Schwierigkeit und Zeitaufwand der konkreten Behandlung diese Überschreitung rechtfertigen. Daraus ist zu schließen, dass eine Überschreitung des Gebührensatzes durch AGB nicht zulässig ist. Nach § 2 II 3 GOZ darf eine Honorarvereinbarung aber auch keine Erklärungen enthalten, welche nicht in § 2 II GOZ vorgesehen sind; es darf daher insbesondere nicht dokumentiert werden, dass über den Gebührensatz Verhandlungen stattgefunden haben. Vor diesem Hintergrund hat es das BVerfG für mit Art. 12 I GG unvereinbar erklärt, wenn einem Zahnarzt, der dem Abschluss der Honorarvereinbarung ein vorgefertigtes, nach Maßgabe der jeweils konkret geplanten Behandlung auszufüllendes Schriftstück zugrunde legt, der Nachweis abverlangt wird, er habe die Abweichung vom gesetzlich normierten durchschnittlichen Gebührenfaktor (2,3) ernsthaft zur Disposition gestellt[46].
3. Beweisfragen
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Tipp
Wenn es in einer rechtlichen Auseinandersetzung auf die Frage ankommt, ob eine vorformulierte Vertragsbedingung „im Einzelnen ausgehandelt“ und damit zur Individualabrede geworden ist, so muss erfragt werden, was die Parteien anlässlich der konkreten Klausel besprochen haben. Zur Vorbereitung der Prozessführung sind mögliche Zeugen zu ermitteln, die den Gang der Vertragsverhandlungen aus eigener Wahrnehmung bekunden können.
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Steht fest, dass die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert ist, und bleibt streitig, ob der Verwender sie ernsthaft zur Disposition gestellt hat, so trifft den Verwender die Beweislast für das Vorliegen einer Individualabrede[47]. Kann er diesen Beweis nicht führen, so ist die Klausel AGB. Der Beweis der Individualabrede ist nicht schon dadurch geführt, dass der Verwender sich auf dem Vertragsformular mittels einer vorgedruckten Klausel bestätigen lässt, der Vertrag sei individuell ausgehandelt worden. Würde man solche „Bestätigungen“ ausreichen lassen, so wäre es dem Verwender ein leichtes, dem Kunden den Schutz der §§ 305 ff. BGB abzuschneiden[48]. Die formularmäßige Bestätigung des „Aushandelns“ von Klauseln gerät vielmehr ihrerseits mit § 309 Nr. 12 b BGB in Konflikt und ist damit unwirksam[49]. Folgerichtig mutieren AGB auch nicht dadurch zu Individualabreden, dass der Verwender dem Kunden ein vorformuliertes Schriftstück mitgibt, auf dem der Kunde bestätigt, er habe ausreichend Zeit gehabt, diesen durchzulesen, die einzelnen Bestimmungen zu prüfen und zur Kenntnis zu nehmen und erkläre sich mit allen Bedingungen vorbehaltlos einverstanden[50]. Um eine Verwandlung einer vorformulierten Vertragsbedingung in eine Individualabrede beweisen zu können, empfiehlt sich die Anfertigung eines entsprechenden Gesprächsvermerks – und zwar auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr[51]. Und selbst hier ist Vorsicht geboten: AGB werden nicht dadurch zur individualabrede, dass die Parteien sie übereinstimmend zu einer solchen erklären[52]. Denn dies würde darauf hinauslaufen, den Parteien die Möglichkeit zu geben, die Geltung der §§ 305 ff. BGB als Ganzes abzubedingen. Das widerspricht indes zur Gänze dem Schutzanliegen des AGB-Rechts: Die Gefährdung der materiellen Privatautonomie durch ein strukturelles Ungleichgewicht wird nicht dadurch beseitigt, dass die Parteien übereinstimmend erklären, es gebe kein solches Ungleichgewicht. Die Ungleichgewichtslage besteht im Kontext der §§ 305 ff. BGB im Vorformulieren und Stellen von Vertragsbedingungen. Das Vorliegen einer solchen Situation muss objektiv festgestellt werden. Die blanke Notiz, man habe die Klauseln individuell ausgehandelt, genügt folglich zum Nachweis einer Individualabrede nicht. Der Gesprächsvermerk sollte daher genau beschreiben, welche Streitpunkte Gegenstand der Verhandlungen waren. Bei AGB, die von Dritten vorformuliert wurden, kann es freilich zweifelhaft sein, ob die Verwendung von einem Vertragsteil vorgeschlagen wurde oder von beiden. Wer sich hier auf §§ 305 ff. BGB berufen will, muss beweisen, dass die Initiative für die Einbeziehung des Formulars vom anderen Vertragsteil ausging[53]. Gelingt dieser Beweis, ist zu vermuten, dass derjenige, welcher die Einbeziehung angeregt hat, die AGB gestellt hat.
Anmerkungen
Zutreffend BGH NJW 1983, 385, 386.
Zutreffend Heinrichs NJW 1977, 1505, 1507 f.; Jaeger NJW 1979, 1569, 1572 f.; Petev JR 1978, 4, 7; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 48.
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